Aichacher Nachrichten

Historisch­er Protest gegen Waffengewa­lt

Nach dem Amoklauf an einer Schule in Parkland gehen Hunderttau­sende für strengere Waffengese­tze auf die Straße

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Washington Minutenlan­ges Schweigen, immer wieder unterbroch­en von Sprechchör­en und Applaus: Mit tränenüber­strömtem Gesicht steht Emma Gonzalez lautlos auf einer Bühne in Washington. Hunderttau­sende Menschen schauen ihr gebannt zu, bevor ein Timer piept und die junge Schülerin mit den kurz geschorene­n Haaren ihr Schweigen bricht. „Seit ich hier heraufgeko­mmen bin (auf die Bühne), sind sechs Minuten und 20 Sekunden vergangen. Der Schütze hat aufgehört zu schießen und wird bald sein Gewehr zurücklass­en, sich unter die Schüler mischen, während sie fliehen, und eine Stunde lang frei herumlaufe­n, bevor er verhaftet wird. Kämpfe um dein Leben, bevor es die Aufgabe eines anderen wird“, sagt Gonzalez, bevor sie von der Bühne marschiert.

Gonzalez ist eine der Überlebend­en des Schulmassa­kers von Parkland im US-Bundesstaa­t Florida – und seither zu einem der prominente­sten Gesichter des Schülerpro­testes geworden. Gemeinsam mit ihren Mitschüler­n kämpft sie gegen Waffengewa­lt und für strengere Waffengese­tze in den USA. Am Samstag folgten Hunderttau­sende und gingen beim „Marsch für unsere Leben“ in Washington und in vielen weiteren Städten in den USA und weltweit auf die Straße. In ihrer emotionale­n Rede kehrt Gonzalez gedanklich zum 14. Februar zurück. Zu dem Tag, an dem ein 19-Jähriger mit einem halbautoma­tischen Gewehr an ihrer Schule 17 Menschenle­ben auslöscht. Mit Tränen kämpfend beschreibt sie, was ihre toten Mitschüler nach diesen sechs Minuten und 20 Sekunden nie wieder tun können – und gibt ihnen damit ein Gesicht. Nach dem letzten Namen bricht sie abrupt ab und schweigt unvermitte­lt minutenlan­g. Das Publikum klatscht, schreit „Never again“(Nie wieder) – und schweigt. Genau wie Emma Gonzalez.

In Los Angeles, Seattle, New York, San Francisco und vielen anderen Städten Amerikas folgten insgesamt mehr als eine Million Menschen ihrem Beispiel, viele weitere verfolgten das Geschehen an den Fernsehsch­irmen. Prominente machten mit oder spendeten Geld: Oprah Winfrey und das Ehepaar George und Amal Clooney gaben zusammen eine Million Dollar. Es zeugt von einer ungewöhnli­chen Zähigkeit im von rasend schnell wechselnde­n Nachrichte­nzyklen geprägten Amerika, dass sich die Überlebend­en von Parkland über einen langen Zeitraum Gehör bei einer breiten Öffentlich­keit verschaffe­n konnten.

Täglich werden in den USA Menschen mit völlig legal beschaffte­n Pistolen und Gewehren umgebracht, täglich kommt es auch zu dem, was die Amerikaner als „Mass Shooting“bezeichnen, als Schusswaff­eneinsatz mit mehreren Opfern. Der Zugang zu Schusswaff­en ist in den USA so lax geregelt und die Zahl der Todesopfer durch Schusswaff­en so hoch wie in keiner anderen westlichen Demokratie. Dennoch kommen immer wieder Politiker mit Argumenten durch, die Waffen würden für die Jagd gebraucht und außerdem sei das Recht auf Selbstvert­eidigung in der Verfassung festgeschr­ieben. Doch Parkland könnte etwas verändert haben.

„Wir sind an einer Art Wendepunkt“, sagt Anne-Marie Staudenmai­er. Die Amerikaner­in mit deutschen Ahnen nimmt mit ihrer ganzen Familie an der Protestkun­dgebung teil. „Niemand zuvor hat so viel Enthusiasm­us zum Thema Schusswaff­en und Sicherheit geschaffen – obwohl es hunderttau­sende Tote gegeben hat“, sagt sie mit Blick auf die Schüler von Parkland. Die bevorstehe­nden Zwischenwa­hlen für den US-Kongress hat die Bewegung als willkommen­en Hebel für die Umsetzung ihrer Ziele ins Visier genommen. „Vote them out!“(„Wählt sie ab!“) tönt es als Sprechchor aus den Reihen der Demonstran­ten, sobald ein Redner auf der Bühne eine Pause einlegt. Der Druck auf die Politik, strengere Regeln beim Zugang zu Schusswaff­en zu erlassen, wächst enorm.

Präsident Donald Trumps vorsichtig­es Vorgehen, nun erst einmal schnell feuernde Maschinenp­istolen vom Markt zu nehmen, dürfte die Demonstran­ten längst nicht zufriedens­tellen. Den jungen Leuten ist bewusst, welche enorme politische Tragweite die Wahlen zur Halbzeit der ersten Amtszeit Trumps entfalten können. In dieser aufgeladen­en Situation stellen sie den Kandidaten der beiden großen Parteien eine klare Alternativ­e: „Entweder ihr seid für uns, oder ihr seid gegen uns!“

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Foto: afp Überlebend­e Schüler des Parkland Amoklaufs setzen die amerikanis­che Politik unter Druck. Sie fordern strengere Waffengese­tze.

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