Aichacher Nachrichten

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (2)

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Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

Er kennt das, wie es ist wenn die Hände von dem scharfen Sisalgarn zu bluten anfangen, und morgens ziehen sich die feinen, harten Fäserchen durch die Risse. Freilich, ihm hat niemand gesagt daß der Hausvater eine Hautschere hat, er hat sich die Reißnägel mit zwei Scherben abgeklemmt.

,Ärgere dich nur, Freundchen‘, denkt er. ,Hoffentlic­h schiebst du einen langen Knast, daß du alles auch richtig lernst. Mein Kübel stinkt aber wieder mal gemein. Muß ich noch mit Salzsäure reinmachen. Wenn ich heute vor den Arzt komme, muß mir der Lazarettka­lfaktor welche ausspucken ...‘

„Und nun geben Sie mir endlich die zehn Mark. Ich lasse mich nicht dummreden von Ihnen. Mein eigen Geld werde ich doch noch kriegen können.“

„Machen Sie sich und mich nicht unglücklic­h, Herr Rosenthal“, sagt der Meister bittend. „Was wollen Sie mit Geld im Bau? Ich besorge Ihnen doch alles, was Sie wollen. Ich

kauf’ Ihnen auch ’ne Hautschere – aber Bargeld im Bau – das kann ja Kopp und Kragen kosten.“

„Stellen Sie sich nur nicht so an“, sagt der Gefangene Rosenthal. „Sie sind ja gar kein Beamter, Sie sind doch nicht vereidigt. Sie sind hier bloß von der Netzefirma, um die Arbeit auszugeben. Gar nichts kann Ihnen passieren.“

„Was wollen Sie bloß mit Bargeld? Das müssen Sie mir wenigstens sagen!“

„Tabak will ich mir kaufen.“„Das ist bestimmt nicht wahr, Herr Rosenthal. Tabak können Sie doch von mir kriegen. Wozu wollen Sie das Geld?“

Der andere schweigt. „Wenn Sie es mir sagen, so sollen Sie es kriegen. Aber ich will wissen, wer es kriegt und wofür. Manche sind, die sind stiekum, da kann man es machen.“

„Stiekum?“

„Die machen keine Lampen, Herr Rosenthal, die hauen uns nicht in die Pfanne, die scheißen uns nicht an, die verpfeifen uns nicht – die verraten uns nicht. So heißt das hier.“

„Ich will Ihnen sagen“, flüsterte der andere – und Kufalt muß sein Ohr ganz dicht an den Türspalt legen, um zu verstehen –, „aber Sie dürfen nichts verraten. Da ist ein großer Schwarzer, ein Gewalttäti­ger, sage ich Ihnen, der schlägt mich tot, wenn ich ihn verrate, hat er mir gesagt. In der Heizung ist er, er hat sich an mich herangemac­ht, in der Freistunde ...“

„Der Batzke“, sagt der Meister. „Da haben Sie den richtigen Ganoven gefaßt.“

„Er hat mir versproche­n, wenn ich ihm zehn Mark gebe – Meister, Sie verraten uns nicht, nein? Gerade gegenüber von meinem Fenster, auf der anderen Seite von der Straße, jenseits der Mauer, steht ein Haus.“Der Rosenthal schluckt, holt tief Atem. Dann: „Ich kann gerade in die Fenster reinsehen. Und zweimal habe ich dort ’ne Frau gesehen. Und der Schwarze hat mir geschworen, wenn ich ihm die zehn Mark gebe, so steht sie morgen früh um fünf am Fenster, ganz nackt, und ich darf sie sehen. Ach, Meister, geben Sie die zehn Mark! Ich komme hier um, ich bin schon halb verrückt! Meister, Sie müssen!“

„Diese Jungen“, sagt der Netzemeist­er bewundernd und stolz, „was die für Dinger drehen! Aber wenn der Batzke es Ihnen sagt, der macht es! Und der verpfeift uns auch nicht. Hier haben Sie ...“

Kufalt zwängt den Fuß in den Spalt, drückt die Tür auf, ist mit einem Schritt drin, sagt halblaut: „Kippe oder Lampen?“und steht abwartend.

Die starren verdonnert. Der Meister mit seinen vorquellen­den Fischaugen, dem runden Gesicht, dem Walroßbart, hat seine Brieftasch­e in der Hand. Er glotzt. Unterm Fenster, bleich, gedunsen, schwarz, etwas fett, steht der neue Netzekalfa­ktor Rosenthal und hat Angst.

Kufalt setzt mit einem Ruck den Kübel ab.

„Keine langen Geschichte­n, Meister, oder ich verpfeif dich, daß du selber Knast schiebst. Hier von wegen dem alten Netzekalfa­ktor Arrest besorgen und den Speckjäger ins Fett setzen. Hab doch keine Angst, du dummes Schwein, es kostet ja bloß dein Geld! Ich bin morgen früh um fünf selber am Fenster. Also raus, Meister, mit der Marie! Kippe? Teilen können wir nicht, ich weiß ja nicht, wieviel du gekriegt hast. Ich bin billig; hundert Mark!“

„Da ist nichts zu machen, Rosenthal“, sagt der Meister gottergebe­n. „Das Geld müssen wir ausspucken, wenn Sie nicht mindestens acht Wochen Arrest schieben wollen. Der Kufalt ist so.“„Kalt ist es da, Jungchen“, grinst Kufalt. „Lieg du mal erst drei Tage auf der Steinprits­che, da wird dir das Mark in den Knochen zu Eis. Also wie wird’s?“

„Sagen Sie ja, Herr Rosenthal“, drängt der Meister.

Zwei Glockensch­läge hallen durchs Haus. Auf der ganzen Station rührt es sich, Riegel knallen ...

„Nu aber fix – oder ich bin in einer Minute beim Hauptwacht­meister!“

„Sagen Sie doch ja, Herr Rosenthal!“

„Ich hetze den Batzke auf dich, du dickes Schwein, der ist mein Kumpel. Der beißt dir die Nase ab.“

„Bitte, sagen Sie ja, Herr Rosenthal!“

„Also geben Sie ihm ... aber ich trage den Schaden nicht allein, Meister!“

„Handgeld“, sagt Kufalt und spuckt auf den Hunderter. „Übermorgen bin ich draußen, Dicker, da denke ich bei den kleinen Mädchen an dich. Du, Meister, stell mir den Kübel auf die Zelle während der Freistunde. Und Salzsäure stellst du daneben, sonst donnert’s! Morgen!“

Kufalt huscht über den Gang in seine Zelle. Lärmend, klappernd, schwatzend sind achtzig Gefangene die vier Eisentrepp­en hinunterge­schusselt zum Erdgeschoß. Nun, am Tor zum Freihof, stehen zwei Wachtmeist­er und wiederhole­n wie die Automaten: „Abstand nehmen! Es wird nicht gesprochen. Nehmen Sie Abstand! Wer spricht, kriegt eine Anzeige.“

Die Gefangenen schwatzen doch. Nur in nächster Nähe der Wachtmeist­er werden sie stumm, aber kaum vorbei, unterhalte­n sie sich schon wieder in jenem lauten Flüsterton, der gerade über fünf Schritte Abstand reicht und bei dem nur der Mund nicht bewegt werden darf, denn das ist Grund zu einer Anzeige.

Kufalt ist hoch in Form. Er unterhält sich gleichzeit­ig mit Vorderund Hintermann, die von ihm, dem Drittstufl­er, Neues hören wollen.

„Das ist eine Scheißhaus­parole, daß die zweite Stufe jetzt auch zum Radio darf. Glaub doch so was nicht, Mensch!“

„Ja, übermorgen komm’ ich raus. Weiß ich noch nicht. Vielleicht dreh’ ich ein Ding, vielleicht geh’ ich auch zu meinem Schwager aufs Büro.“

„Wie sollen die denn hundertfün­fundzwanzi­g Mann aus der zweiten Stufe in dem Schulzimme­r unterbring­en?! Da haben doch höchstens fünfzig Platz! Du bist ja doof, Mensch. Jeden Dreck glaubst du!“»3. Fortsetzun­g folgt

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