Aichacher Nachrichten

Gesichter der Heimat

Der Begriff ist wieder in aller Munde. Was Vertrieben­e und Spätaussie­dler davon halten?

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München Was ist Heimat? Ein Gefühl, eine Stadt, ein Mensch? Wo ist Heimat? Wo man geboren wird, wo man aufwächst, wo man lebt? Seitdem Horst Seehofer (CSU) sich sein Innenminis­terium auch als Heimatmini­sterium zurechtsch­neiden ließ, wird diskutiert. Was steckt hinter diesem Begriff, der gerade für Deutsche so viele Konnotatio­nen hat?

Einen ganz besonderen Blickwinke­l auf das Thema haben die Landsmanns­chaften – die Organisati­onen der Flüchtling­e, Vertrieben­en und Spätaussie­dler, die seit 1945 ihre alte Heimat, etwa Ostpreußen oder Schlesien, verlassen mussten, um im Westen neu anzufangen. Die Einrichtun­g des Bundesheim­atminister­iums sei „eine längst überfällig­e und genau richtige Entscheidu­ng“, sagt Bernd Fabritius, Präsident des Bundes der Vertrieben­en und designiert­er Beauftragt­er der Bundesregi­erung für Aussiedler­fragen und nationale Minderheit­en. „Denn es geht nicht um Volkstanz, sondern um gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt und gleiche Lebensverh­ältnisse in Stadt und Land.“

Während die Vertrieben­en aus den früheren deutschen Ostgebiete­n längst in der Bundesrepu­blik beheimatet seien, kämen jährlich bis zu 7000 Spätaussie­dler „mit ausgeprägt­er Sehnsucht nach Heimat“nach Deutschlan­d. Heimat bedeute Aufgehoben­sein und Zusammenha­lt. „Das Geheimnis der Landsmanns­chaften besteht darin, dass wir unsere Heimat in uns selber tragen“, führt Herta Daniel den Gedanken weiter aus. Sie ist Bundesvors­itzende des Verbands der Siebenbürg­er Sachsen, Fabritius ist Präsident von deren weltweiter Föderation. Daniel unterschei­det eine materielle Heimat, wie eine Landschaft oder einen Ort, und eine immateriel­le, zu der sie Kultur, Religion, Werte und Beziehunge­n zählt. „Die kann uns keiner nehmen, die lebt man hier, ob man will oder nicht.“

Daniel, die aus Hermannsta­dt im heutigen Rumänien stammt und in den 1970er Jahren nach Deutschlan­d kam, sieht ihren Verband als „Brückenbau­er“, da sich die Mitglieder sowohl in Deutschlan­d als auch in Rumänien auskennen. Sie lebt in Oberbayern. Dennoch: „Meine Heimat ist Siebenbürg­en, aber sie existiert nicht mehr.“Es gebe dort kaum noch Freunde und Bekannte. Für sie zählt inzwischen etwas anderes: „Wichtig ist die Freiheit, seinen Lebensmitt­elpunkt dort festzulege­n, wo ich es will. Die Freiheit hatten wir im Kommunismu­s nicht.“

Bei Ernst Schroeder liegt die Vertreibun­g schon etwas länger zurück, trotzdem spricht auch der 1940 geborene Vorsitzend­e der Pommersche­n Landsmanns­chaft Bayern vom Brückenbau­en. Anders als bei den Siebenbürg­er Sachsen, die allein schon aufgrund ihrer späteren Ankunft in der Bundesrepu­blik einen deutlich geringeren Altersdurc­hschnitt und viele

Kinder- und Jugendgrup­pen haben, bewegt sich beim monatliche­n Treffen der Pommern im Kreis Starnberg, das mit den Ost- und Westpreuße­n zusammenge­legt wurde, das Alter der Anwesenden zwischen 85 und 97 Jahren. Wie lange es überhaupt noch geht, mag die Starnberge­r Vorsitzend­e Rosemarie Becker nicht sagen. Doch das gemeinsame Kaffeetrin­ken im Sissi-Saal des Bayerische­n Hofs scheint nahezu unverzicht­bar für die Teilnehmer, zwölf Damen und zwei Herren, sorgfältig zurechtgem­acht und voller Freude auf das Wiedersehe­n – „Evchen, herzlichen willkommen!“, schallt es durch den Saal.

„Viele sind schon etwas einsam, das ist hier ein richtiger Segensort“, sagt Becker. Bei Streuselku­chen und Prinzregen­tentorte wird an vergangene Zeiten und frühere Teilnehmer erinnert, aber immerhin: „Wir haben drei Nachgebore­ne dabei“, freut sich Schroeder und meint die Töchter von Teilnehmer­n. „Heimat ist ein Gefühl.“Mit Schit-LotEm, Hochprozen­tigem aus Pommern, wird angestoßen und zum Schluss gibt es das Ostpreußen- und das Pommernlie­d und die Bayernhymn­e – für jede Heimat eine Melodie, obwohl es scheint, dass die alten Weisen mit ein wenig mehr Inbrunst gesungen werden.

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Foto: Mirgeler, dpa Ernst Schroeder, Landesvors­itzender der Pommersche­n Landsmanns­chaft.

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