Aichacher Nachrichten

Der Wohlklang eines Monsters

Christian Thielemann dirigiert Puccinis „Tosca“. Für Überwältig­ung aber sorgt Ludovic Tézier als perverser Scarpia

- VON STEFAN DOSCH

Salzburg Giacomo Puccinis „Tosca“gehört zu den beliebtest­en Opern überhaupt. Einer der Gründe, warum das so ist, liegt gewiss darin, dass das Stück Sex and Crime zu bieten hat – verkörpert in der Gestalt des römischen Polizeiche­fs Scarpia. Genau genommen müsste die Oper nach ihm benannt sein, denn Scarpia ist das Zentralges­tirn, um das sich alles dreht.

Er ist nicht nur einer, der Genuss dabei empfindet, wenn er andere leiden sieht. Dieser Sadist verknüpft seine Perversion auch unverhohle­n mit seinem sexuellen Begehren. Nie würde die Sängerin Floria Tosca ihm aus freien Stücken zu Willen sein. Scarpia aber besitzt das Mittel, sie gefügig zu machen: Er lässt ihren Geliebten, den Maler Cavaradoss­i, foltern. Die Seelenqual der Tosca beim Hören der Schreie Cavaradoss­is, diese doppelte Tortur, genießt Scarpia, das entfacht seinen Trieb.

Wie jetzt Ludovic Tézier dieses menschlich­e Monster auf die Bühne des Großen Salzburger Festspielh­auses bringt, ist außergewöh­nlich: Bevor er Tosca zu seinem perfiden Spiel empfängt, kleidet er sich an, und wie er sich dabei genussvoll das Hemd in die Hose stopft und den Reißversch­luss hochholt, darin liegen schon alle Absicht und alle Gewissheit des Gelingens. Es gibt in dieser Neuinszeni­erung für die Salzburger Osterfests­piele zahlreiche solche Details, die Scarpias Grausamkei­t bezeichnen. Schwer zu sagen, ob das alles eine Meisterlei­stung der Personenfü­hrung durch die Regie ist oder doch eher der exzeptione­lle gestische Instinkt des Sängerdars­tellers.

Tézier überwältig­t jedenfalls auch als Sänger. Nirgendwo ein Forcieren, um die Bestie zu markieren, stattdesse­n ein facettenre­icher, zu großer Fülle sich steigernde­r Bariton – Schönheit des Bösen, ein Paradox der Oper.

Anja Harteros ist eine ebenbürtig­e Tosca, mit stimmliche­r Leuchtkraf­t in den dramatisch­en Spitzen und einer warmen, trag- und wandlungsf­ähigen Mittellage, die unverzicht­bar ist für lebensvoll­e Charakterg­estaltung. Eher eindimensi­onal ist der Cavaradoss­i von Aleksandrs Antonenko. Gerade in der Höhe ist der Tenor heldisch-monochrom mit Tendenz zu stählerner Härte, zudem wirkt er darsteller­isch unbeholfen. Christian Thielemann wiederum hat merklich viel vor mit Puccinis Partitur, will weg von der so oft zu hörenden dramatisch­en Dauererhit­zung. Doch der Dirigent verfällt dabei ins Gegenteil: Vieles klingt wie buchstabie­rt, zumal es Thielemann keineswegs immer gelingt, die mächtig aufrausche­nde Dresdner Staatskape­lle gegenüber den Sängern im Zaum zu halten.

Michael Sturminger­s Inszenieru­ng wirkt vor allem durch die Bühnenbild­er wie aus dem Opernkonve­ntionskata­log. 1. Akt Kircheninn­enraum, 2. Akt Palazzo-Interieur mit Monumental­fresken, 3. Akt Petersdom-Prospekt, alles wie immer bei „Tosca“. Und doch, noch vor Beginn der Oper sieht man, wie der die Handlung in Gang setzende Angelotti aus einem Polizeiwag­en flieht, eine Sirene heult, Maschinenp­istolen knattern. Keine Vergangenh­eit also, sondern Heute.

Richtig beherzt langt Michael Sturminger aber erst am Ende des zweiten Aktes hin. Scarpia, erdolcht von Tosca, reckt im letzten Moment, bevor der Vorhang fällt, noch einmal den Kopf in die Höhe – ein markiger Cliffhange­r für das finale Geschehen. Und tatsächlic­h: Als Cavaradoss­i erschossen daliegt und Tosca das Furchtbare realisiert, wankt ihr noch einmal der blutüberst­römte Scarpia entgegen, beide zücken Pistolen und schießen und fallen, nunmehr endgültig.

Mit dieser Festspiel-Inszenieru­ng hat Michael Sturminger „Tosca“zwar nicht neu erfunden. Aber er hat sie stark erzählt – anhand eines der fasziniere­ndsten Gewaltmens­chen der Operngesch­ichte.

Wiederholu­ng 2. April

 ?? Foto: OFS/Forster ?? Scarpia (Ludovic Tézier), Personifik­ation des Grausamen und der Perversion, nähert sich der Sängerin Tosca (Anja Harteros).
Foto: OFS/Forster Scarpia (Ludovic Tézier), Personifik­ation des Grausamen und der Perversion, nähert sich der Sängerin Tosca (Anja Harteros).

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