Aichacher Nachrichten

Die Sonne färbte sich schwarz

Ein Vulkan veränderte Europa und brachte die Isländer zu Gott

- VON ANDRÉ ANWAR

Stockholm Einem Team aus Naturwisse­nschaftler­n und Mittelalte­rhistorike­rn ist es erstmals gelungen, den gewaltigen Ausbruch des isländisch­en Vulkans Eldgjá im frühen Mittelalte­r genau zu datieren und dadurch extreme Klimaphäno­mene in Europa zu erklären.

Der Ausbruch soll demnach im Frühling 939 nach Christus begonnen und bis zum Herbst 940 gedauert haben und zog den Forschern zufolge sehr kalte Sommer nach sich. Eldgjá spie damals so gewaltige Mengen Lava aus, dass große Teile Islands verwüstet wurden. Ein dunkler Ascheschle­ier und übel riechende Schwefelga­se zogen über den Himmel. Der Lavastrom mit einem geschätzte­n Volumen von 20 Kubikkilom­etern hätte ausgereich­t, um „ganz England bis zu den Knöcheln“mit der heißen Glut zu füllen, schreiben die Wissenscha­ftler. Dadurch erscheinen nach Angaben des Vulkanolog­en und Studienlei­ters Clive Oppenheime­r auch viele Einträge in mittelalte­rliche Chroniken in einem neuen Licht. Heftige Winter und kalte Sommer, magere Ernten und Hungersnöt­e können demnach als logische Konsequenz­en von atmosphäri­schem Dunst bewertet werden.

Bemerkensw­ert an der britischen Studie, die nun im Fachmagazi­n Climatic Change erschienen ist, ist neben der bislang unbekannte­n genauen Datierung des Ausbruchs die Verbindung zu einer bahnbreche­nden religiösen Wende auf der Vulkaninse­l. Historisch­e Quellen belegen, dass die Insel im Nordatlant­ik im neunten und frühen zehnten Jahrhunder­t nach Christus hauptsächl­ich von Wikingern aus Skandinavi­en besiedelt war. Die Siedler brachten dabei ihren Glauben an Götter mit. Der Vulkanausb­ruch, der schon bald nach ihrer Ankunft stattfand, muss den damaligen Menschen wie der Weltunterg­ang vorgekomme­n sein. „Einige der ersten Migranten, die als Kinder nach Island kamen, könnten Zeugen des Vulkanausb­ruchs gewesen sein“, vermutet Oppenheime­r. Laut den Forschern sollen die ersten christlich­en Missionare auf Island die Katastroph­enstimmung bewusst genutzt haben, um den Isländern den Wechsel zum trostspend­enden Christentu­m schmackhaf­t zu machen.

Islands bekanntest­es mittelalte­rliches Gedicht, das „Völuspá“, ist laut historisch­en Quellen im Jahr 961, also bald nach dem Vulkanausb­ruch, aufgetauch­t. Darin werden das Ende der Heidengött­er und die Ankunft von nur einem einzigen Gott vorhergesa­gt. Mit anderen Worten, es geht um die Christiani­sierung Islands. Untermalt wird das mit Beschreibu­ngen einer apokalypti­schen Welt, die der des Vulkanausb­ruchs verblüffen­d ähnelt: „Die Sonne färbt sich schwarz, das Land sinkt ins Meer, die strahlende­n Sterne fallen vom Himmel, Dampf steigt auf, Flammen züngeln gegen den Himmel selbst.“

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Foto: Halldor Kolbeins, dpa Aktive Vulkane prägen die Landschaft Is lands bis heute.

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