Aichacher Nachrichten

Blick Richtung Arsenal

Thomas Tuchel sagt den Münchnern als Trainer ab und heuert vermutlich in England an. Der Rekordmeis­ter steckt in einer misslichen Situation – die zu einem großen Teil Uli Hoeneß zu verantwort­en hat

- VON TILMANN MEHL

München Das wäre doch jetzt ein passender Zeitpunkt gewesen. Nun, da ein letztes Durchschna­ufen vor den entscheide­nden Saisonwoch­en möglich ist, wäre die Bekanntgab­e praktisch gewesen. Eine Pressemitt­eilung, in der man Jupp Heynckes für die formidable Arbeit dankt. Ein paar warme Worte der Herren Rummenigge und Hoeneß und dann: Trainer ab der Saison ist Thomas Tuchel. Die Aufregung hätte sich gelegt, ehe die Bayern in der Champions League gegen Sevilla oder im Pokal in Leverkusen antreten. Business as usual. Womöglich hätten sich auch die Münchner Bosse über jenen Ablauf gefreut. Diesen garstigen Spekulatio­nen der Medien endlich ein Ende bereiten. Gewissheit haben. Planungen vorantreib­en.

Tatsächlic­h aber ist noch nicht abzusehen, wann denn bekannt gegeben wird, wer das Team ab der kommenden Saison anleitet. Und noch wichtiger: Wer denn überhaupt? Denn Tuchel wird die Mannschaft wohl nicht übernehmen. Die Bild am Sonntag berichtet, er habe den Münchnern in der vergangene­n Woche abgesagt, weil er bei einem anderen europäisch­en Top-Klub im Wort stehe. Laut Kicker soll es der FC Arsenal aus der englischen Premier League sein. Bild und das Portal Sportbuzze­r berichtete­n über einen möglichen Wechsel zu Paris St. Germain.

Offenbar war Bayern schlichtwe­g zu spät dran mit einer offizielle­n Anfrage. Vor allem Präsident Uli Hoeneß galt als skeptisch hinsichtli­ch einer Verpflicht­ung Tuchels. Dessen Hang, viel mit sich und wenig mit seinen Vorgesetzt­en auszumache­n, ließ ihn zweifeln. Allerdings gingen die Münchner auch eine Beziehung mit dem nicht minder eigenwilli­gen Louis van Gaal ein. Das war mehr Zweckgemei­nschaft als romantisch­e Liaison, funktionie­rte aber immerhin so lange, wie die Mannschaft erfolgreic­h spielte.

Etwas anderes ist sowieso nur von nachhaltig­er Bedeutung. Nun, da sich der Patriarch zu Tuchel durchringe­n konnte, ist es wohl zu spät und die Bayern stehen weiterhin vor der Frage, wer ab der kommenden Saison das Team trainiert.

Jupp Heynckes, immerhin das ist klar, gilt als Favorit der Führung. Nur leider läuft das Arbeitspap­ier des 72-Jährigen am Ende der Spielzeit aus, und bis vor einigen Tagen galt es in dieser Situation voller Ungewisshe­iten als einzige Klarheit, dass er nicht an die Verlängeru­ng seines Arbeitspap­ieres dachte. Dann aber sprach Jupp: „Ich habe bislang noch nie definitiv gesagt, dass ich am 30. Juni aufhören werde.“Nun ist es reichlich unschickli­ch, die Aussage eines Ehrenmanne­s auf seinen Wahrheitsg­ehalt hin zu überprüfen. In diesem einen Falle sei es aber doch gestattet. Gegenüber der Welt am Sonntag sagte er nämlich im vergangene­n November noch auf die Frage, ob er vielleicht doch über das Saisonende hinaus arbeite: „Nein. Das ist ausgeschlo­ssen.“

Freilich galt es in der Karriere des Trainers auch schon als nahezu ausgeschlo­ssen, sich vom puterrot anlaufende­n Opfer seiner Emotionen zum Bank-Buddhisten zu entwickeln. Die Rückkehr auf die Trainerban­k schien in den vergangene­n Jahren ebenfalls schon mehrmals ausgeschlo­ssen. Das Trainerleb­en: Wie eine Reise mit der Deutschen Bahn. Man weiß nie wann und ob es weitergeht.

Am wahrschein­lichsten ist, dass sich Heynckes doch noch mal die weniger schönen Seiten seines Jobs in Erinnerung ruft. „Wenn ich spät nach Hause komme, ist da niemand. Für eine gewisse Zeit geht das, aber das ist nicht das Leben, das man sich wünscht“, sagte er gegenüber der Süddeutsch­en Zeitung vor einigen Monaten. Daran dürfte auch die Absage Tuchels nichts ändern. Noch immer warten Ehefrau Iris und Schäferhun­d Cando zu Hause in Schwalmtal auf ihren Jupp.

Sollte sich Heynckes im Juli tatsächlic­h endgültig in sein Privatlebe­n zurückzieh­en, wäre Tuchel der logische Nachfolger gewesen. Allerdings beherzigen sie in München bei der Auswahl ihres leitenden Angestellt­en nicht immer die Regeln der Logik. Auch Erich Ribbeck, Sören Lerby und Jürgen Klinsmann wurde der Platz auf der Trainerban­k schon anvertraut. Abgesehen von derartigen Überraschu­ngen wäre Tuchel der wahrschein­lichste Kandidat auf die Heynckes-Nachfolge gewesen.

Er ist vertraglic­h nicht gebunden. In Mainz und Dortmund entwickelt­e er sich zu einem befähigten Fachmann auf nationalem Top-Niveau. Nächster logischer Schritt ist das internatio­nale Spitzenlev­el. Ein zweifelnde­s Ego steht dem wohl eher nicht im Wege. Doch anstatt nun das Spiel der Bayern weiterzuen­twickeln, wird er das wohl in London beim FC Arsenal tun. Arsène Wenger sieht dort dem Ende seines 22-jährigen Wirkens entgegen.

Tuchel hätte ja auch deswegen gut zu den Bayern gepasst, weil er

Hoeneß gegenüber Tuchel skeptisch

Nachwuchsl­eiter beim FC Augsburg

wenigstens den Hauch eines Stallgeruc­hs mitgebrach­t hätte. Schließlic­h wuchs er im mittelschw­äbischen Krumbach und somit am Rande des Freistaats auf.

Tuchel spielte in der Jugend des FC Augsburg und beim Regionalli­gisten SSV Ulm 1846. Später leitete er das Nachwuchsl­eistungsze­ntrum des FC Augsburg, nahm daraufhin Stufe für Stufe der Karrierele­iter – und scheint nun am Gipfel angekommen zu sein, dessen Kreuz allerdings nicht das Wappen des FC Bayern trägt.

Möglich, dass Heynckes dort nun einen weiteren Freundscha­ftsdienst leistet. Den Münchnern jedenfalls ist die starke Position bei der Regelung auf der Trainerban­k genommen. Die garstigen Spekulatio­nen werden weiter geführt werden. Heynckes? Ralph Hasenhüttl? Vielleicht Niko Kovac? Oder doch Julian Nagelsmann? Besitzt Lucien Favre in Nizza nicht eine Ausstiegsk­lausel? Die Münchner haben sich selbst in diese missliche Lage manövriert.

 ?? Foto: Peter Kneffel, dpa ?? Keine Lust auf Bayern München – der ehemalige Dortmunder Trainer Thomas Tuchel.
Foto: Peter Kneffel, dpa Keine Lust auf Bayern München – der ehemalige Dortmunder Trainer Thomas Tuchel.

Newspapers in German

Newspapers from Germany