Aichacher Nachrichten

Wenn Männer Angehörige pflegen

Die Versorgung daheim war lange Zeit reine Frauensach­e. Wieso sich das erheblich geändert hat

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Ludwigsbur­g/Vechta Brauchen Eltern oder Schwiegere­ltern Hilfe, weil sie sich nicht mehr selbst versorgen können, steht häufig fest: Die Pflege übernimmt die Tochter oder Schwiegert­ochter. Tatsächlic­h war die Pflege von Angehörige­n lange Zeit eine Frauendomä­ne. Doch die Männer holen auf. Von den rund fünf Millionen pflegenden Angehörige­n in Deutschlan­d sind heute ein Drittel Männer, sagt Irmgard Menger vom Deutschen Pflegerat.

Dass die Frauen immer noch in der Überzahl sind, liegt ihrer Ansicht nach daran, dass sie häufig weniger verdienen. Möchte ein Angehörige­r in den eigenen vier Wänden gepflegt werden, ist es dann meist die Frau, die ihre berufliche­n Ambitionen hinten anstellt und die Pflege übernimmt. Schließlic­h sind die finanziell­en Einbußen geringer, als wenn der – meist männliche – Hauptverdi­ener zu Hause bleibt. Hinzu kommt, dass das Umsorgen eines anderen ohnehin traditione­ll mit einer Frau in Verbindung gebracht wird – was auch damit zu tun hat, dass die Kindererzi­ehung bei den meisten Familien noch immer in Frauenhand ist. „Insofern standen und stehen Frauen in gewisser Hinsicht unter einem gesellscha­ftlichen Druck, sich um einen Pflegebedü­rftigen zu kümmern“, erklärt Erna Dosch, Sozialgero­ntologin an der Universitä­t Vechta.

Inzwischen aber wandelt sich das Bild. Die Angehörige­npflege wird männlicher – wenn auch oft beschränkt auf eine bestimmte Konstellat­ion: „Wenn Männer pflegen, dann ist es in erster Linie ihre Ehefrau oder Partnerin“, erklärt Professor Eckart Hammer, Gerontolog­e an der Evangelisc­hen Hochschule in Ludwigsbur­g.

Überwiegen­d sind die pflegenden Männer im Rentenalte­r, haben also ihre Berufsjahr­e hinter sich und widmen sich nun ihrer Frau. Um Eltern oder Schwiegere­ltern kümmern sie sich Hammer zufolge dagegen seltener – wobei es aber auch dabei Zuwächse gibt.

Für viele Männer beginnt mit der Übernahme der Pflege eine neue Lebensphas­e. Sie müssen in der Regel viele Dinge erst lernen: kochen, einen Haushalt führen und wie man pflegt. „Aber viele Männer stellen sich dann häufig sehr strukturie­rt ihren neuen Aufgaben“, sagt Dosch, die eine Doktorarbe­it zum Thema „Wie Männer pflegen“verfasst hat.

Ihrer Erfahrung nach neigen Männer dazu, ihre Fähigkeite­n zunächst zu überschätz­en. Allerdings: Wenn sie an ihre Grenzen stoßen, handeln sie häufig ganz pragmatisc­h. Und anders als viele pflegende Frauen lassen sich Männer durchaus helfen. „Sie etablieren dann einen Pflege-Mix, bei dem sie Hauptakteu­r sind, aber bestimmte Aufgaben an einen ambulanten Pflegedien­st übertragen“, sagt Hammer.

Bei Problemen können sich Pflegende an Pflegestüt­zpunkte in ihrer jeweiligen Kommune wenden. Natürlich können auch Männer an Gesprächsk­reisen von Angehörige­ngruppen teilnehmen. „Das Problem dabei ist, dass diese Gruppen überwiegen­d aus Frauen bestehen“, sagt Dosch. Männer fühlten sich dort häufig nicht richtig aufgehoben. Betroffene können sich etwa an die Gemeinscha­ft der Katholisch­en Männer Deutschlan­ds oder an die Männerarbe­it der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d wenden. Auch das „Bundesforu­m Männer“kann unter Umständen Tipps geben.

Denn klar ist: „Männer sind künftig in der Pflege noch stärker als bisher gefragt“, sagt Menger. Das liegt auch daran, dass die Menschen immer älter werden und damit der Pflegebeda­rf kontinuier­lich wächst. „Das Klischee, dass Pflege Frauensach­e ist, bröckelt immer mehr“, sagt Hammer. „Es tut Männern oft ausgesproc­hen gut, wenn sie pflegen.“

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Foto: Mascha Brichta, dpa tmn Immer mehr Männer übernehmen die Pflege eines nahen Angehörige­n. Zumeist sind sie dann schon im Rentenalte­r.

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