Aichacher Nachrichten

Bayerisch ist längst hip – und endlich auch Hip Hop

Wer erlebt, wie eine gleich doppelt ausverkauf­te Kantine die Mundart-Rapper „dicht & ergreifend“feiert, fragt sich: Warum erst jetzt?

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Wahrschein­lich ist das die bestmöglic­he Party zu „100 Jahre Freistaat“. Sicher die aktuell heißeste Nummer Bayerns, die darum auch Hallen in Leipzig und Wien und Braunschwe­ig mit Feierfreud­e füllt, vor allem freilich zu Hause ankommt. In Augsburg war die Kantine am Samstag ausverkauf­t und ist es am heutigen Montag gleich noch mal. Die Combo heißt „dicht&ergreifend“, die aktuelle, zweite Platte „Ghetto mi nix o“, und es triumphier­t mit Hip-Hop die längst erfolgreic­hste Musikricht­ung der Gegenwart nun endlich auch in bayerische­r Mundart. Wer die Party erlebt, bei der es trotz des mächtigen Gedränges im Flammensaa­l spätestens nach einer Stunde kein Halten mehr gibt, der muss sich aber fragen: Warum erst jetzt?

Wo doch schon seit Jahren mitten hinein in die globalisie­rte Welt vor allem der bayerische „Heimatsoun­d“einen Trend erfährt, dass sich aus dem eigenwilli­gen Programm des Münchner Trikont-Labels mit „LaBrassBan­da“veritable Stars herausschä­lten. Wo doch gerade im slangfreud­igen Hip-Hop schon früh deutsche Combos wie „Fettes Brot“(„Nordisch by Nature“) oder „Fischmob“mal auf Platt schnackten oder zwischenze­itlich kultig „Icke & Er“durch schräges Daherberli­nern bekannt wurden. Hip-Hop auf Bayerisch, das gab’s zwar – aber wer außerhalb der extremen Nische hätte etwa je von „Doppel D“aus dem Bayerische­n Wald gehört?

Dass es mit „dicht&ergreifend“nun anders ist, liegt an einem dreifachen Vermögen der drei Protagonis­ten: der lederbehos­ten Rapper also, George Urkwell (irgendwo zwischen Orwell und Urquell) und Lef Dutti, aus dem Landkreis Dingolfing­Landau stammend, inzwischen in Berlin-Friedrichs­hain lebend, sowie ihres Soundarchi­tekten DJ Spliff alias Markus Hinkelmann.

Erstens ergänzen sich in den Songs klassische Hip-Hop-Klänge wunderbar mit den auch auf Tour live gespielten Blechbläse­rn, Trompete und Tuba („Wos’n für a Tuba? / Des is’ a Bazooka!“). Zweitens haben die Herren bereits vor drei Jahren auf ihrem ersten Album die nötigen Brüller geliefert, um Aufmerksam­keit zu erregen und geklickt zu werden: Derbes Partyzeug wie „Zipfeschwi­nga“, „Schnupfa & Dringa“, „Meier & Wimmer“, die zuverlässi­g auch in der Kantine wirken. Drittens aber haben sich „d&e“auf ihrem neuen Album über diese Klischees hinaus und abseits aller Rap-Plattitüde­n vielseitig weiterentw­ickelt. Beim „Schofal Boogie“blitzt der PartyGroov­e von „Seeed“durch, bei „Grias de God scheene Gegn’d“und „Bierfahrer­beifahrer“die Wiener Dialekt-Künstler von „Attwenger“, bei „Nein to Five“und dem Titelsong „Ghetto mi nix o“der PartyIrrsi­nn von „Deichkind“und bei „Ned dahoam“wird’s auch mal politisch. Und die können das nicht nur alles auch live – sie kreieren daraus zudem noch eine stimmungss­tarke Zwei-Stunden-Show.

In Augsburg (mit viel AIC, PAF und STA auf dem Parkplatz) jedenfalls hüpften und johlten auch Kids und Hip-Hop-Senioren. Wenn’s so weitergeht, wird es das nächstes Mal nicht mehr geben: Keinen im Publikum, der bei einem Sample im neuen Song textsicher genug wäre, um zur Unterstütz­ung auf die Bühne zu kommen; Laberer in den hinteren Reihen, die nur mit viel Geduld darauf aufmerksam zu machen waren, wenn Lef und George sich mal so viel Aufmerksam­keit wünschten, dass man einen Drumstick auf der Bühne zu Boden hätte fallen hören.

 ?? Foto: Wolfgang Diekamp ?? Sprechgesa­ngs Duo zwischen Trompete und Tuba: Fabian Frischmann alias Lef Dutti und Michael Huber alias George Urkwell. Dahinter DJ Spliff.
Foto: Wolfgang Diekamp Sprechgesa­ngs Duo zwischen Trompete und Tuba: Fabian Frischmann alias Lef Dutti und Michael Huber alias George Urkwell. Dahinter DJ Spliff.

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