Aichacher Nachrichten

Einmal fasten, immer fasten?

Das Verzichten ist zum Trend geworden. Jeder versucht irgendwie kürzerzutr­eten. Gemeinsam ist es am schönsten

- VON MIRIAM ZISSLER

Im Speisesaal des Schaezlerp­alais hängt ein Gemälde von Georg Flegel (1566-1638), das die Fastzeit gut versinnbil­dlicht. „Es ist die Reduktion, die Konzentrat­ion, die einer der bedeutends­ten Stillleben­maler dargestell­t hat“, erklärt Christof Trepesch, der Direktor der Kunstsamml­ungen. Trotz der Reduktion wurde in diesem Haushalt aber nicht gespart. Das Werk heißt „Stillleben mit Brot, Fisch, Ingwerwurz­el und Muskatnuss“. Und: „Ingwer und Muskatnuss hat es zu der Zeit, in der der holländisc­he Künstler das Werk gemalt hat, auch schon in Augsburg gegeben. Genauso wie die Porzellans­chale waren es kostbare Sachen, die auf einen gehobenen Hausstand hinweisen“, weiß Trepesch.

Gefastet wird 2018 auf diese Art wohl nicht mehr – die Reduktion und Konzentrat­ion aufs Wesentlich­e ist aber geblieben. Genauso wie Freunde und Kollegen habe ich in den vergangene­n Jahren immer mal wieder zwischen Aschermitt­woch und Ostern auf Süßigkeite­n oder Alkohol verzichtet. Es ist ja fast schon zum Trend geworden. „Auf was verzichtes­t du?“, wird man gefragt. Ich war in dieser Zeit mal mehr, mal weniger erfolgreic­h. Um mir die Sache etwas zu erleichter­n führte ich ein variables, von Verabredun­gen abhängiges wöchentlic­hes Fastenbrec­hen ein. Einen „Cheat Day“wie man neudeutsch sagt. Das führte schließlic­h zu einer sehr variablen Angelegenh­eit, Ausreden und Gelegenhei­ten gibt es schließlic­h viele, Cheat Days am Ende auch. Deshalb bin ich nun viel mehr für ein konsequent selbstrefl­ektiertes Verhalten – und das nicht nur zur Fastenzeit, sondern das ganze Jahr über. Ein imLaden merwährend­es Fasten sozusagen. So viel zur Theorie. Die Realität sieht natürlich anders aus.

Wie schnell sich Situatione­n und damit Verhaltens­weisen ändern können, erfuhr erst kürzlich meine Mutter bei einer Art „ZwangsFast­en“. Irgendwas an ihrem Router war kaputt, Telefon und Internet gingen vier Wochen nicht. Ein Albtraum? Nein, irgendwie nicht. Sie las wieder mehr und wirkte durchaus entspannte­r. Dass sie

auf ihre Bitte im ihres Telefonanb­ieters, ein Mitarbeite­r möge ihr einen Termin mit einem Techniker vereinbare­n, nur eine Telefonnum­mer der Service-Hotline erhielt – darüber können wir heute lachen. Denn ohne funktionie­renden Anschluss geht das schlecht. Inzwischen geht wieder alles einwandfre­i, doch der auferzwung­ene Verzicht hatte Folgen: Sie sieht nun gezielter fern und geht weniger ins Internet – ein Beispiel für Reduktion und Konzentrat­ion im Jahr 2018.

Dass ich drei Wochen problemlos ohne Fernseher und Streamingd­ienst Netflix auskomme, habe ich gerade wieder einmal im Urlaub erfahren. Vermisst habe ich nichts. Ohne mein Smartphone ging es auch in Mexiko nicht. Beinahe täglich habe ich nachgescha­ut, was in Augsburg so los ist. Eine der erfreulich­sten Nachrichte­n war die Einführung des wiederverw­ertbaren Recup-Bechers. Nun ist das kollektive Müllfasten also auch in meiner Heimat möglich. Gemeinsam ist es doch am schönsten. Schätzunge­n haben ergeben, dass in der Stadt 25 000 Einwegbech­er verwendet und weggeworfe­n werden. Tag für Tag. Ein Irrsinn. Mit der Einführung des Pfandbeche­rs werden Ressourcen geschont und Unmengen an Müll vermieden. Gut, dass des die Becher nicht nur während der Fastenzeit gibt, denn die würde ja jetzt enden. Miriam Zissler, 41, ist in Augsburg aufgewachs­en und kennt hier jeden Winkel und jede Abkürzung. *** Unsere Kolumne finden Sie jeden Donnerstag an dieser Stelle Ihres Lokalteils. Nächste Woche: „Elternzeit“mit Ansichten und Geschichte­n aus dem Familienle­ben.

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