Aichacher Nachrichten

„Bürokratis­ches Melden und Strichlist­en lösen nicht das Problem.“ Müssen Schulen alle antisemiti­schen Vorfälle melden?

Judenhass CDU-Vorschlag befeuert die Debatte. Warum der Historiker Wolffsohn skeptisch ist

- VON MICHAEL STIFTER, BERNHARD JUNGINGER UND SARAH RITSCHEL

Augsburg Der bekannte deutschisr­aelische Historiker Michael Wolffsohn hat sich sehr skeptisch zur Idee einer Meldepflic­ht für antisemiti­sche Vorfälle an Schulen geäußert. „Gut gemeint, doch bürokratis­ches Melden und Strichlist­en lösen nicht das Problem“, sagte er im Gespräch mit unserer Zeitung zu einem entspreche­nden Vorschlag von Unions-Fraktionsc­hef Volker Kauder. Für Wolffsohn steht fest, dass die Häufung von Anfeindung­en gegen Juden auch etwas mit der Flüchtling­skrise zu tun hat: „Die muslimisch­e Einwanderu­ng hat sowohl quantitati­v als auch qualitativ den Antisemiti­smus in Deutschlan­d und ganz Westeuropa verstärkt.“Nicht alle Muslime seien antijüdisc­h, aber die meisten antijüdisc­hen Drohungen und Gewaltakte verübten seit Jahren Muslime. „Das liegt auch an unserer illusionis­tischen Politik – sie ließ sich von frommen Wünschen leiten, weniger von Wirklichke­iten“, kritisiert der Historiker.

Der Grünen-Politiker Konstantin von Notz findet Kauders Idee im Prinzip gut. Doch ihm reicht es nicht, dass nur Schulen verpflicht­et werden sollen, Angriffe auf Juden zu melden. „Die statistisc­he Erfassung antisemiti­scher Straftaten muss verbessert werden – ganz unabhängig davon, wo die Taten begangen werden“, fordert der religionsp­olitische Sprecher der Grünen. Es sei nicht erkennbar, dass solche Vorfälle an Universitä­ten, in Sportverei­nen oder an Ausbildung­splätzen weniger relevant sein sollten als an Schulen. „Angesichts politisch immer einflussre­icherer rechtsextr­emer Rassisten, aber auch des Antizionis­mus und Antisemiti­smus bei Zugewander­ten müssen wir die aktuellen Probleme klar benennen und uns entschloss­en entgegenst­ellen“, sagt von Notz. Wolffsohn warnt davor, antijüdisc­he Attacken nur „alten und neuen Nazis, Pegida oder der AfD zu unterstell­en“.

Viele Juden in Deutschlan­d sind verunsiche­rt. „Wir beobachten seit Jahren an den Schulen, dass Anfeindung­en zunehmen“, sagt Hermann Simon, Gründungsd­irektor der Stiftung Neue Synagoge Berlin. Er hält es für sinnvoll, Daten zu den Vorfällen zu sammeln.

Nur wie sollen Lehrer dann damit umgehen? Für den bayerische­n Bildungsmi­nister Bernd Sibler ist die Antwort klar: „An Bayerns Schulen gilt das Prinzip null Toleranz gegenüber jeder Art antisemiti­scher Äußerungen oder Taten. Es gibt eine breite Palette an Ordnungs- und Erziehungs­maßnahmen“, sagt der CSU-Politiker. Allerdings gebe es auch einen Punkt, an dem das System Schule an seine Grenzen stoße. Dann müssten Polizei und Verfassung­sschutz eingreifen. Aktuell kennt er aber keine Fälle an bayerische­n Schulen. Sibler setzt auf mehr politische Bildung: „Unsere Kinder und Jugendlich­en müssen lernen, andere Positionen zu achten.“Eine entscheide­nde Rolle spielen dabei auch die Eltern. „Es darf nicht sein, dass sie zu Hause andere Werte – jenseits unseres Grundgeset­zes – vermitteln als die Lehrer.“

Bundesbild­ungsminist­erin Anja Karliczek will schon bald mit ihren Kollegen in den Ländern gemeinsame Maßnahmen entwickeln. „Religionsf­reiheit ist Teil unseres demokratis­chen Selbstvers­tändnisses. Toleranz leben, Regeln und Gesetze achten – das ist die Kunst unseres Zusammenle­bens“, sagt die CDUPolitik­erin.

In unserem Leitartike­l schreibt Gregor Peter Schmitz, warum wir wieder offener über Religion reden müssen.

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Michael Wolffsohn

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