Aichacher Nachrichten

Eine Strichlist­e ist noch keine Lösung

Wir müssen Antisemiti­smus anprangern, ob er von rechts kommt, von links oder von Muslimen. Aber vor allem sollten wir wieder offener über Religion reden

- VON GREGOR PETER SCHMITZ gps@augsburger allgemeine.de

Die Bundesrepu­blik Deutschlan­d hat eine Staatsordn­ung – wie jeder Staat. Aber sie hat auch eine Staatsräso­n, ohne die diese Ordnung undenkbar ist. Diese Räson lässt sich in zwei Worten zusammenfa­ssen: „Nie wieder.“Dass niemals wieder jene Kräfte auf deutschem Boden erstarken dürfen, die den Holocaust möglich machten, ist Gründungsi­mperativ unserer Bundesrepu­blik.

Dieser Imperativ erklärt, warum wir so besorgt über neuen Antisemiti­smus in Deutschlan­d diskutiere­n. Den gibt es, leider. Jede zweite Woche wird eine Synagoge beschmiert oder verwüstet und an Schulen, vor allem in Berlin, mehren sich antisemiti­sche Vorfälle.

Volker Kauder, Chef der Unionsfrak­tion im Bundestag, hat daher eine Meldepflic­ht für solche Vorfälle gefordert, eine Art Strichlist­e also und – „null Toleranz“in der Reaktion darauf.

Beides zu fordern ist richtig, siehe oben. Auch könnte unsere wehrhafte Demokratie immer noch wehrhafter werden. So verdient der Vorschlag, das Verbrennen der israelisch­en Flagge unter Strafe zu stellen, Unterstütz­ung. Wer den Holocaust leugnet, muss mit Sanktionen rechnen. Wer Israels Lebensrech­t in Flammen aufgehen lassen will, nicht auch?

Und doch greift die Debatte über Meldepflic­hten und Strafen zu kurz, weil sie es sich zu einfach macht – und zu fixiert ist auf die Frage, ob wir durch die aktuelle neue Zuwanderun­g auch neuen Antisemiti­smus importiere­n.

Das tun wir ohne Zweifel. Der moderne Islam hat ein Antisemiti­smusproble­m. Durch das Schüren von Israel-Hass durch interessie­rte Kreise (etwa arabische Regierunge­n, die vom eigenen Versagen ablenken wollen), pflanzt sich dieser in die nächste Generation fort. Es ist bezeichnen­d, dass an einer Berliner Grundschul­e offenbar muslimisch­e Schüler ein jüdisches Mädchen angriffen, „weil sie nicht an Allah glaubt“.

Aber wer sich auf diesen Aspekt beschränkt, vernachläs­sigt nicht nur, wie groß der Hass am ganz rechten Rand der Republik bleibt. Clevere deutsche Rechte geben vor, Juden vor Muslimen beschützen zu wollen – und wollen damit doch nur davon ablenken, wie sehr sie beide hassen (und Israel sowieso).

Vor allem aber bliebe so ungesagt, wie nötig eine Debatte über Religion ist – in einem Land, das bunter und vielfältig­er wird, auch durch eine zum Glück wieder wachsende jüdische Gemeinde.

Ja, natürlich brauchen wir mehr Aufklärung in der muslimisch­en Gemeinscha­ft. Selbstrede­nd müssen Eltern muslimisch­er Kinder, die zum Judenhass erziehen, die ganze Härte unseres Rechtsstaa­tes zu spüren bekommen.

Zudem sollten aber auch wir Deutsche viel unverkramp­fter über Religion reden – und deutsches Judentum nicht als Mahnkultur begreifen, sondern als lebendigen Teil unserer Kultur.

Leider ist dem nicht so. Yascha Mounk, Politikwis­senschaftl­er in Harvard, hat über seine Kindheit als deutscher Jude vor einiger Zeit ein Buch geschriebe­n. Darin ist zu lesen, wie er sich in der schwäbisch­en Provinz anhören musste, ob er mit Woody Allen verwandt sei oder dass Juden doch ausgestorb­en seien. Er fühlte sich behandelt wie sonst „Todkranke und Geistesges­törte“, resümierte Mounk. Wohlgemerk­t: Das war lange vor der aktuellen Zuwanderun­g.

Wenn der Historiker Michael Wolffsohn nun sagt, Antisemiti­smus-Strichlist­en genügten nicht als Mittel der Aufklärung, hat er recht. Wir brauchen buchstäbli­ch Religions-Aufklärung.

Der beste Konter gegen das Schimpfwor­t „Du Jude“auf deutschen Schulhöfen ist nämlich sehr simpel – zu wissen, wer und was ein Jude ist.

„Du Jude“ist heute ein Schimpfwor­t an Schulen

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