Aichacher Nachrichten

Die Post verkauft ihr gesammelte­s Wissen

CDU und FDP nutzen die Erkenntnis­se über rund 34 Millionen Haushalte für einen gezielten Wahlkampf. Was der Fall mit dem amerikanis­chen Facebook-Skandal gemeinsam hat – und was nicht

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Es ist wohl in vielen Fällen kein Zufall, welche Wahlwerbun­g die Bundesbürg­er in ihren Briefkäste­n finden und welche Partei ihre Wahlkämpfe­r an welchen Haustüren klingeln lässt. So haben sich CDU und FDP nach Informatio­nen der Bild am Sonntag im Bundestags­wahlkampf 2017 den Zugang zu Daten für etwa 20 Millionen Häuser mit rund 34 Millionen Haushalten in Deutschlan­d gekauft – und zwar ausgerechn­et von der Post.

Bei den Angaben geht es etwa um Kaufkraft, Geschlecht, Alter und Bildungsab­schluss der Bewohner, um die Größe ihrer Wohnungen und um die Frage, ob sie ein Auto besitzen. Aus der Kombinatio­n der Faktoren soll es möglich sein, Aussagen darüber zu treffen, welche Partei wo welche Chancen hat, gewählt zu werden. Die CDU hat darauf anscheinen­d ihren Haustürwah­lkampf aufgebaut, die FDP zielgruppe­ngerechte Werbung verschickt.

Seit bekannt wurde, dass sich die Firma Cambridge Analytica unberechti­gt Zugang zu persönlich­en Daten von mehr als 50 Millionen Facebook-Nutzern verschafft hatte, um damit die US-Präsidents­chaftswahl­en zugunsten von Donald Trump zu beeinfluss­en, ist die Sorge noch einmal gewaltig gewachsen, dass digitale Informatio­nen missbrauch­t werden könnten. Und das nicht ganz zu Unrecht.

Auch der neue Fall riecht zunächst nach einem Skandal, denn offenbar handelt es sich um mehr als eine Milliarde Einzelinfo­rmationen, die in die Analysen eingefloss­en sind. Geliefert hat die Daten die Deutsche Post, der noch immer der bieder-solide Ruf eines Staatsunte­rnehmens anhaftet, obwohl nur noch knapp 25 Prozent der Anteile dem Bund gehören. Hat Deutschlan­d jetzt seine eigene Daten-Affäre, sind Briefträge­r in Wirklichke­it gar Spione? Wenn die Aussagen der Post und der beiden Parteien zutreffen, dann gibt es an dem Datenhande­l für fünfstelli­ge Euro-Beträge zumindest rechtlich nichts auszusetze­n. Schon seit 2005 verkauft die Post ihren Datenschat­z an Parteien. Durch Zukäufe anderer Statistike­n wird er zuvor ergänzt, mit früheren Wahlergebn­issen kombiniert und zusammen mit Meinungsfo­rschern zu Wahlkampfz­wecken aufbereite­t.

Wer eine Adresse hat und der werblichen Nutzung seiner Daten nicht explizit widerspric­ht, wird in den Datenbanke­n erfasst. Doch das Vorgehen ist bekannt und, so betonen alle Beteiligte­n, im Einklang mit den Datenschut­zbestimmun­gen. Personenbe­zogene Daten werden dabei offenbar nicht übermittel­t, alle Angaben anonymisie­rt. Es werden auch nicht einzelne Haushalte erfasst, sondern sogenannte Mikrozelle­n, die aus durchschni­ttlich 6,6 Haushalten bestehen. Für die wird dann berechnet, mit welcher Wahrschein­lichkeit dort bestimmte Parteien bevorzugt werden.

Das geht natürlich schon ein deutliches Stück über die altbekannt­en Mutmaßunge­n erfahrener Wahlkämpfe­r hinaus, dass im Arbeitervi­ertel eben eher links und im Vorort mit den gepflegten Einfamilie­nhäusern eher konservati­v gewählt wird. Doch ein Datenklau, wie er offenbar im Fall Facebook stattgefun­den hat, liegt wohl nicht vor. Gezieltes Marketing betreiben nicht nur Firmen, sondern eben auch Parteien. Sie konzentrie­ren ihre begrenzten Möglichkei­ten dort, wo es für sie am meisten zu gewinnen gibt. Dagegen gibt es zunächst wenig einzuwende­n.

Wo Daten entweder bereitwill­ig preisgegeb­en werden oder allgemein verfügbar sind, werden sie – da muss sich niemand Illusionen machen – genutzt, um Kunden oder Wähler zu gewinnen. Besitzer von Payback- oder Rabattkart­en etwa verraten allerhand über sich, wenn sie beim Einkauf Punkte sammeln, um sie irgendwann gegen ein Kochtopf-Set einzutausc­hen. Doch das ist ihnen bewusst.

Meinungsfo­rscher helfen bei der Aufbereitu­ng

 ?? Symbolfoto: Jan Woitas, dpa ?? Die Post ist im Besitz großer Datenschät­ze, die weit über Adressen und Postleitza­hlgebiete hinausgehe­n. Zwei Parteien machten sich das im Wahlkampf 2017 zunutze.
Symbolfoto: Jan Woitas, dpa Die Post ist im Besitz großer Datenschät­ze, die weit über Adressen und Postleitza­hlgebiete hinausgehe­n. Zwei Parteien machten sich das im Wahlkampf 2017 zunutze.

Newspapers in German

Newspapers from Germany