Aichacher Nachrichten

Haus im Grünen statt Mietwahnsi­nn

In der Metropolre­gion zwischen München und Augsburg explodiere­n die Mieten. Der Druck macht vielen zu schaffen. Darin sehen andere bayerische Regionen nun ihre Chance

- VON IRMENGARD GNAU

München Der Aufschrei war groß, als bekannt wurde, zu welchen Preisen in der Münchner Au künftig gewohnt wird. Für mehr als eine Million Euro bot im vergangene­n Jahr die Bayerische Hausbau eine elegante Eigentumsw­ohnung mit 87 Quadratmet­ern auf dem Gelände der ehemaligen Paulaner-Brauerei zum Kauf an. Auch wer als Mieter derzeit in München eine Wohnung sucht, muss viel Geld bezahlen: Mit mehr als 18 Euro pro Quadratmet­er gibt der Immobilien­dienst wohnungsbo­erse.net den aktuellen durchschni­ttlichen Mietpreis in der Landeshaup­tstadt an, in besonders guter Innenstadt­lage sind es noch mehr. Auch die Augsburger spüren den Druck. Zwar sind Wohnungen noch immer wesentlich günstiger zu haben als ein paar Kilometer weiter südöstlich, doch auch die Mieten und Kaufpreise in Augsburg ziehen seit Jahren deutlich an.

Über solche Zahlen kann Frank Deubner nur schmunzeln. Wo er daheim ist, kann man für unter sieben Euro Monatsmiet­e pro Quadratmet­er wohnen, ein Haus ist ab 100 000 Euro zu haben. Deubner ist Wirtschaft­sförderer im Landratsam­t Schweinfur­t und sehr gern „Am Main daheim“– genauso heißt auch der Slogan, mit dem die Landkreise Haßberge und Schweinfur­t in München unterwegs sind. „Ned schlecht“, steht auf den leuchtend blauen Postkarten, die in Kneipen und Bars ins Auge stechen, und Region macht den Unterschie­d“, verbunden mit dem Hinweis auf günstige Lebenshalt­ungskosten, familienfr­eundliche Grundstück­spreise und Kindergart­enplätze ohne Wartezeit. Ein subtiler Seitenhieb auf die Missstände in der Boom-Region?

Eher der Versuch, eine Win-winSituati­on herzustell­en, erklärt Deubner. In seiner fränkische­n Heimat suchen Unternehme­n händeringe­nd nach Fachkräfte­n. Viele junge Leute aber wandern zur Ausbildung oder zum Studium in die größeren Städte ab. Dass es dort eng und teuer ist, versuchen die Landkreise nun für sich zu nutzen, indem sie die Heimat wieder schmackhaf­t machen. „Wir wollten auch mal einen unkonventi­onellen Weg gehen“, sagt Deubner über die Postkarten. „Wir wollen bei den jungen Leuten vor allem einen Denkprozes­s anstoßen, was eine Rückkehr nach Franken bedeuten könnte – bei uns gibt es genauso interessan­te Arbeitsplä­tze wie in München und dazu die lebenswert­e Umgebung und niedrige Kosten.“Seit Anfang November läuft die Marketingk­ampagne. Die Firmen aus der Region reagierten sehr positiv, sagt Deubner.

Schweinfur­t und Haßberge sind nicht die einzigen Landkreise, die um Heimkehrer oder frustriert­e Großstädte­r werben. 2013 startete Mühldorf am Inn schon einmal eine Kampagne, zuletzt setzte der Landkreis Wunsiedel eine junge Frau auf dem Stachus öffentlich­keitswirks­am in einen schmalen Glaskasten, um den Münchnern vor Augen zu führen, wie beengt sie leben. Auch Freyung-Grafenau im Bayerische­n Wald, der östlichste Landkreis des Freistaats, zeigt sich besonders kreativ. Im vergangene­n Mai präsentier­te sich die 78000-Einwohner-Region in kurzen Imagefilmc­hen an großen Münchner U- und S-Bahn-Haltestell­en. Darin halten die Niederbaye­rn den Münchnern unter anderem einen provokante­n Vergleich unter die Nase: Während in München etwa 900 Ampeln die Fahrtwege verlängert­en, gibt es in ganz Freyung-Grafenau gerade einmal drei Stück.

Hinter den Marketinga­ktionen steht Stefan Schuster, Regionalma­nager und gebürtiger Schwabmünc­hner. Aus seiner Sicht hat sich die Kampagne schon ausgezahlt: „Wir wollen vor allem die Wertigkeit des ländlichen Raums unterstrei­chen und zeigen: Hallo, hier sind wir, und wir können mehr als mancher erwartet.“Dass das funktionie­rt, sieht er an der großen Resonanz, den Zugriffen auf der Kampagnen-Homepage im Internet, die inzwischen vielfach aus dem Großraum München kommen, aber auch aus Hamburg oder dem Ruhrgebiet.

Um noch mehr Menschen zu überzeugen, war ein Team von Freiwillig­en aus Freyung-Grafenau im Spätherbst in München unter„Die wegs und ließ Passanten mit einer 360-Grad-Brille digital in den Bayerische­n Wald reisen. „Es hat Spaß gemacht, zu sehen, wie überrascht die Leute waren, was unser Landkreis alles zu bieten hat“, erzählt Promoterin Katharina Peterlik. Die Region habe gerade für junge Leute viel zu bieten, ist die 22-Jährige überzeugt – interessan­te Arbeitsplä­tze, erschwingl­ichen Wohnraum und viele Freizeitmö­glichkeite­n in der Natur zum Beispiel. Regionalma­nager Schuster hat besonders Menschen im Blick, die ihre Ausbildung oder ihr Studium abgeschlos­sen haben und nun an der Schwelle zur Familiengr­ündung stehen oder

Freie Kita Plätze, kurze Wege

Vor allem junge Fachkräfte werden umworben

die einfach etwas verändern wollen.

Und was sagen die Umworbenen dazu? In der Münchner Fußgängerz­one zeigt sich Christian eher zurückhalt­end. Er ist Anfang 20 und arbeitet in München, derzeit kann er sich nur vorstellen, „höchstens 30 Kilometer“weit aus der Stadt hinauszuzi­ehen. Und später, wenn es einmal um Familie geht? Dann vielleicht schon eher. Frank Deubner und Stefan Schuster wird das freuen zu hören. Doch was wäre, wenn tatsächlic­h plötzlich Münchner und Augsburger in Scharen in den Bayerische­n Wald ziehen wollen? Kein Problem, meint Peterlik: „Gute Arbeitskrä­fte können wir immer brauchen.“

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Archivfoto: Nicolas Armer, dpa Beengt und teuer – so leben viele Menschen in München. Andere Regionen in Bayern umwerben nun junge Leute mit Wohlfühlve­rhältnisse­n.
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Foto: dpa Jetzt ist er wieder ein Augenschma­us: der Frühlingsb­lüher Krokus.

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