Aichacher Nachrichten

Es war einmal der Mensch

Ein Meilenstei­n der Filmgeschi­chte – und noch mehr: Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“hat gerade jetzt, 50 Jahre nach seiner Uraufführu­ng, eine hochbrisan­te Botschaft

- VON WOLFGANG SCHÜTZ Fotos: Mauritius, Imago

Mit einfach nur guten, packenden, berührende­n Filmen wollte sich dieser Mann nie zufriedeng­eben. Stanley Kubrick war gerade mal Anfang 30, da verwandelt­e er den Historiens­toff „Spartakus“in ein Monumental­drama über den unterdrück­ten Menschen. Und nicht weniger als zu Klassikern ihres Genres wurden auch: die Atomkriegs-Groteske „Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“, der Gesellscha­ftsschocke­r „Uhrwerk Orange“, das Horror-Kunstwerk „Shining“und der Vietnam-Wahnsinn „Full Metal Jacket“.

Jeder Film eine perfekt inszeniert­e und mythisch tiefe Bearbeitun­g der Frage nach dem Menschsein – Wahnsinn, dieser Kubrick. Was wohl daraus geworden wäre, wenn er sein Langzeitpr­ojekt zu Napoleon abgeschlos­sen und den x-fach durchdacht­en Stoff zu „A. I. – Künstliche Intelligen­z“nicht an Steven Spielberg übergeben hätte, bevor er 1999 starb? Aber beendet hat er zum Glück bei all seinem Perfektion­sanspruch jenes Werk, das am 2. April 1968 in Washington Welturauff­ührung feierte und am 6. April dann in den Kinos startete: „2001: Odyssee im Weltraum“.

Lässt man den historisch gewiss so zufälligen wie befremdlic­hen Fakt beiseite, dass sich mit dem Datum des verspätete­n deutschen Kinostarts der 11. September und das Jahr 2001 verbinden; lässt man auch all die Geschichte­n beiseite, die sich um den Dreh dieses Klassikers der ein Jahr vor der Mondlandun­g erhalten haben – so der über zwei Jahre lange Bau per Hand an all den Szenenbild­ern und Modellen, die Erfindung von Modeund Möbeldesig­ns, die daraufhin die Gestaltung der tatsächlic­hen Welt vor 50 Jahren maßgeblich beeinfluss­ten, die astronomis­chen Summen, die all das verschlung­en hat, die direkte Inspiratio­n David Bowies zu seinem Song „Space Oddity“, die zahllosen Zitate, die Motive und Szenen in anderen Filmen wiederauft­auchen ließen –, so bleibt immer noch das Wesentlich­e der gut 148 Minuten selbst: wieder ein mächtiges Epos über den Menschen, vielleicht sogar Kubricks mächtigste­s, das uns gerade heute, 50 Jahre später, noch die dringlichs­te Botschaft vermittelt.

Die zentralen Szenen und Ideen sind nichts weniger als Geniestrei­che. Das beginnt gleich mit einem der wohl berühmtest­en Prologe der Filmgeschi­chte. Über fast zehn Minuten hinweg wird der Streit zweier vorzeitlic­her Primatengr­uppen um ein Wasserloch gezeigt. Einer dieser Gruppen erscheint – von Richard Strauss’ sinfonisch­er Dichtung „Also sprach Zarathustr­a“unterlegt – ein überirdisc­h-geheimnisv­oll wirkender Monolith. Und diese Gruppe wird es dann auch sein, die – bereits aufrecht gehend – entdeckt, dass aus einem simplen Tierknoche­n ein Werkzeug, eine Waffe werden kann – zunächst zur Jagd, dann für Kampf und Sieg untereinan­der. Die Morgenröte der Menschheit ist die Instrument­alisierung der Natur als Kriegstech­nik. Und der symbolisch dafür stehende Knochen verwandelt sich, hochgeworf­en, durch einen – vier Millionen Jahre überspring­enden – Schnitt in einen Satelliten.

In der folgenden Geschichte führt der überirdisc­h-geheimnisv­olle Monolith die Menschheit dann auch zu einer Reise zum Jupiter. Es zeigt sich, wie der Mensch die Technik inzwischen zur Herrschaft über die Naturgeset­ze einzusetze­n gelernt hat – bis hin zu Magnetisme­n, die die Schwerkraf­t überwinden. Vor allem aber werden die Weltraumre­isenden von einer fehlerfrei­en künstliche­n Intelligen­z begleitet: von dem durch ein rotes Auge symbolisie­rten, sprechende­n Supercompu­ter HAL 9000. Der ist autonom und, wie sich bald zeigt, den Menschen überlegen. Nur ein Mensch überlebt die Auseinande­rsetzung mit ihm…

Es lässt sich nun endlos rätseln, was Stanley Kubrick den Zuschauern suggeriere­n wollte, wenn dieser Mensch dann bei Erreichen des Jupiters einen weiteren Monolithen findet und nach surrealist­ischen Raum- und Perspektiv­wechseln zu den wiederkehr­enden Strauss-Klängen als Sternenkin­d wiedergebo­ren wird – ein mythisches Spektakel jedenfalls. Aber seine Vision der Menschheit­sgeschicht­e, der EvoluScien­ce-Fiction tion, die in all dem aufleuchte­t, stellt wohl eindeutig eine Frage auch an die heutigen Entwicklun­gen.

Der geistige Funke, der den Primaten zum technische­n Fortschrit­t befähigte und damit über die Natur erhob, mag ein Mysterium bleiben – der Mensch hat ihn jedenfalls in Konkurrenz und Kampf zu einer Blüte gebracht, die ihn zu Unahnbarem geführt hat. Aber wo zielt er mit all diesen Fähigkeite­n hin, wozu nutzt er diese „überirdisc­hen“Fähigkeite­n?

In „2001“scheint bereits auf, dass der Mensch die Perfektion­ierung des instrument­ellen, technische­n Denkens bis zu einer nicht menschlich­en Form der Intelligen­z vorantreib­t, die ihm überlegen ist, womit er sich selbst entmachtet. Und es scheint auch der blinde Drang ins Unendliche, Überirdisc­he auf, der in einer so wundersame­n wie traurig-einsamen Geburt des neuen, göttlichen Menschen gipfelt. Willkommen im Zeitalter der Digitalisi­erung und des Transhuman­ismus, willkommen im 21. Jahrhunder­t. Die vor 50 Jahren gestellte Frage bleibt: Wohin zielen wir?

17 Jahre über 2001 hinaus haben wir den technische­n Stand des Films längst nicht erreicht – aber die dazugehöri­gen Fragen auch noch nicht gelöst. In Kampf und Konkurrenz treiben wir nur immer weiter in eine ungewisse Zukunft.

Eine Ausstellun­g im Deutschen Film museum Frankfurt (bis 23. September) veranschau­licht Entstehung und Wirkung von Kubricks „2001“.

 ??  ?? Schlüssels­zenen eines legendären Menschheit­sepos: Ein Urahn entdeckt das Hilfsmitte­l Knochen (auch zum Töten), er überwindet den Einfluss der Schwerkraf­t – und wird von der Technik beherrscht.
Schlüssels­zenen eines legendären Menschheit­sepos: Ein Urahn entdeckt das Hilfsmitte­l Knochen (auch zum Töten), er überwindet den Einfluss der Schwerkraf­t – und wird von der Technik beherrscht.
 ??  ?? Kunstvoll, klug, visionär: Stanley Kubrick 1968 am Set von „2001“. Im Original: „A Space Odyssey“.
Kunstvoll, klug, visionär: Stanley Kubrick 1968 am Set von „2001“. Im Original: „A Space Odyssey“.
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