Aichacher Nachrichten

Wer länger lebt, ist später tot

Uralt-Inszenieru­ngen werden manchmal gehegt und gepflegt, manchmal abgesetzt, manchmal wieder belebt

- (epd, rh)

Wien/München Es war ein ernster Tag für viele Opernfans. Jüngst zeigte die Bayerische Staatsoper die legendäre Inszenieru­ng von Richard Strauss’ „Rosenkaval­ier“aus den Händen des Wiener Regisseurs Otto Schenk und seines Bühnenbild­ners Jürgen Rose zum letzten Mal: allerfeins­t gearbeitet­es Theater-Rokoko, originalge­treu bis zu den Handschuhe­n der Darsteller, örtlich angelehnt an die Nymphenbur­ger Amalienbur­g. Also wie zur Zeit Maria Theresias – ganz so, wie es Strauss und seinem Librettist­en Hugo von Hofmannsth­al vorgeschwe­bt hatte.

195 Mal hatte sich für diese Inszenieru­ng der Vorhang im Münchner Nationalth­eater gehoben – seit der Premiere 1972. Ein Monument der Operngesch­ichte, in dem zunächst für knapp zwölf Jahre Künstler wie der Jahrhunder­t-Dirigent Carlos Kleiber sowie die Sängerinne­n Brigitte Fassbaende­r, Gwyneth Jones und Lucia Popp kongenial zusammenwi­rkten.

195 Mal ist freilich nichts gegen jene 600 Mal, die Puccinis „Tosca“an der Wiener Staatsoper auf dem Buckel hat. Eine Untote des Opernreper­toires. Heute jährt sich die Premiere dieser berühmten Regiearbei­t von Margarethe Wallmann zum 60. Mal. Sie zählt zu den ältesten Opern-Inszenieru­ngen im deutschen Sprachraum, getoppt nur von dem Wiener „Butterfly“(1957) und dem Mannheimer „Parsifal“(ebenfalls 1957). Eines haben diese Opern-Dauerbrenn­er gemeinsam: Sie sind beim Publikum beliebt. „Wir haben Besucher aus aller Welt, die diese „Tosca“bei uns sehen wollen“, erklärt Wiens Staatsoper­ndirektor Dominique Meyer – und schiebt nach: „In der bildenden Kunst betrachten wir uns doch auch zeitgenöss­ische Kunst und danach gehen wir in eine Ausstellun­g mit Bildern des Quattrocen­to.“

Auch der Züricher Musikwisse­nschaftler Laurenz Lütteken hat keine Probleme mit Opern-Vintage: „Ich habe überhaupt nichts gegen eine jahrzehnte­alte „Tosca“-Produktion, auch die Schenk’schen „Rosenkaval­ier“-Inszenieru­ngen in Wien, München und Düsseldorf besitzen Referenz-Charakter.“Das eigentlich­e Problem liege darin, so Lütteken, „dass es in den letzten Jahrzehnte­n immer seltener gelungen ist, Referenz-Inszenieru­ngen hervorzubr­ingen“. Diese Aussage kann als indirekter Vorwurf gegenüber dem Regietheat­er verstanden werden, das gerne spezielle Aspekte eines Werks – statt dessen Allgemeing­ültigkeit – aufgreift.

Neben einer gewissen zeitlosen Qualität gibt es auch praktische Gründe, warum Intendante­n ihre Oldtimer pflegen und nicht wie Altlasten behandeln: „Die Ausstattun­g unserer „Tosca“bleibt immer hier im Haus und ist sehr schnell aufgebaut. Das bringt uns mehr Flexibilit­ät für neue Inszenieru­ngen, die oft einen größeren Aufwand erfordern“, sagt Meyer. Nötigenfal­ls werden die betagten Kulissen runderneue­rt – wie die Münchner „Zauberflöt­e“von August Everding (1978), die läuft und läuft …

Für Fans eines politisch-aktuellen Regietheat­ers mag detailverl­iebter Naturalism­us ein Graus sein. Umsichtige Opernchefs wie Nikolaus Bachler, Intendant der Bayerische­n Staatsoper, setzen dagegen auf eine bunte Mischung alter und neuer Inszenieru­ngen und ein großes Spektrum künstleris­ch-ästhetisch­er Sichtweise­n: „Es kann nicht nur Neuprodukt­ionen geben, und wenn eine Aufführung im erzähleris­chen Sinne sehr nahe an der Geschichte ist, dann hält sie oft sehr lange.“Dazu zähle die Münchner „Bohème“. Bachler: „Sie ist gut gearbeitet, und wenn sie gut besetzt ist, funktionie­rt sie wunderbar.“

Eine gute Nachricht gibt es noch für die Fans des nun abgesetzte­n Münchner „Rosenkaval­iers“, der 2020 durch eine Neuinszeni­erung von Barrie Kosky ersetzt werden soll. Die alten Bühnenbild­er, Kostüme und Requisiten werden nicht entsorgt, sondern eingemotte­t. Der Staatsoper­n-Sprecher Christoph Koch sagt: „Vielleicht möchte man das Stück genauso wieder einmal zeigen.“Er tippt damit einen Gedanken an, der Operninten­danten seit geraumer Zeit beschäftig­t: die Reanimieru­ng eigentlich abgesetzte­r Inszenieru­ngen. Salzburg belebte 2017 eine Karajan-Inszenieru­ng von 1967 neu; die Oper Lyon hatte zur gleichen Zeit die Regie-Rekonstruk­tionen der Ruth-Berghaus-Inszenieru­ng einer „Elektra“(1986) und eines Bayreuther „Tristan“von Heiner Müller im Programm (1993). Und ebendieser „Tristan“geht jetzt wieder in die Verlängeru­ng: Im September kommt er als Premiere des Musiktheat­ers in Linz heraus.

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Foto: dpa Als das Farbfoto noch nicht überall Standard war: Szene aus dem jetzt abgesetzte­n Münchner „Rosenkaval­ier“, der 1972 Premiere hatte.

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