Aichacher Nachrichten

Wenn der Täter nicht zu finden ist

Allein in Bayern sind 100 Mordfälle ungelöst. Auch im „Tatort“verfolgten alte Fälle den Kommissar. Ein Polizeisee­lsorger erzählt, wie belastend das ist

- Interview: Fabian Huber

Herr Reuter, sind Polizisten aus der Mordkommis­sion bei Ihnen eigentlich besonders häufig in Betreuung? Markus Reuter: Nein, überhaupt nicht. Sogar eher weniger, weil sie mit ihrer Arbeit in der Regel einen Umgang finden, sodass sie eine direkte Betreuung oft gar nicht brauchen. Mit Umgang meine ich, dass die Kollegen eine Routine oder Rituale entwickelt haben, um zwischen Beruf und Privatlebe­n zu trennen – und zum Beispiel mit dem Wegschließ­en der Waffe auch die Gedanken und Probleme ,wegschließ­en‘ bis zum nächsten Dienst. Wenn sie zu mir kommen, dann sind das eher außergewöh­nliche Sachen, wo der „normale“Umgang nicht wirkt.

Außergewöh­nlich verhielt sich auch Kommissar Martin Rascher (Sebastian Blomberg) gestern im Mainzer „Tatort“. Er war getrieben von ungelösten Mordfällen, machte sich Schuldvorw­ürfe, brütete nach Dienstschl­uss über alten Akten. Alleine in Bayern gab es zwischen 1986 und 2016 100 unaufgeklä­rte Morde. Kommen Polizisten zu Ihnen, denen so etwas nachhängt? Reuter: In Einzelfäll­en gibt es so etwas sicherlich. Konkret kenne ich aber niemanden. Es gibt natürlich schon das Bestreben nach Aufklärung. Wenn ein Mörder nicht gefunden wird, wirft das auch Emotionen auf. Noch schwierige­r ist, wenn es einen Verdächtig­en gibt, der aber nicht überführt werden kann, weil die Beweislage unzureiche­nd ist. Das treibt Polizisten durchaus um. Was wir auch von Kollegen kennen, die in den Ruhestand gehen: dass einzelne ungelöste Fälle aus dem Berufslebe­n wieder auftauchen und sie sich fragen, ,Wie schließe ich das für mich ab?‘.

Und? Wie schließt man das für sich ab? Reuter: Da muss man individuel­l gucken, hinter die Kulisse schauen und sich fragen, warum der Fall einen immer noch nach Jahren beschäftig­t. Man muss dann auch oft sagen: ,Es gehört dazu, dass Dinge offenbleib­en.‘ Das ist nicht schön, aber es ist so. Das muss man dann auch akzeptiere­n. Hier können wir helfen, Möglichkei­ten aufzuzeige­n und individuel­le Wege zu finden.

Wegen welcher Dinge kommen Polizisten noch zu Ihnen?

Reuter: In der Regel sind wir ein aufsuchend­er Job, wir gehen selbst hin. Wenn wir Einsätze begleiten, Dienststel­len besuchen oder aus welchem Anlass auch immer mit Polizisten zu tun haben, kommt man immer wieder ins Gespräch. Wir besprechen dann oft die klassische­n Themen: die zunehmende­n Gewalterfa­hrungen, die Respektlos­igkeit, tätliche Angriffe, die Belastung, die der Dienst mit sich bringt – zum Beispiel die vielen Überstunde­n, der Schichtdie­nst, der sich extrem aufs Privatlebe­n auswirkt, weil man etwa bei Familienfe­iern einfach nicht da sein kann.

Zurück zum Hadern mit ungelösten Mordfällen: Bekannt ist das Feuerritua­l, bei dem belastende Dinge verbrannt werden, um sie loslassen zu können. Bei wichtigen Polizeiakt­en dürfte das schwierig werden. Was hilft also in diesen Fällen?

Reuter: Alles noch einmal aufzuarbei­ten und zu gucken: Was sind die belastende­n Punkte? Wo kommen die her? Warum ist jetzt genau dieser Fall so belastend? Und dann gibt es oft Bezüge, die irgendwo in das eigene Lebensumfe­ld hineinspie­len, weil es Parallelen gibt oder solche empfunden werden.

Inwiefern Parallelen?

Reuter: Wenn ein Kind zu Tode kommt und man ein Kind im gleichen Alter hat. Das ist eine zusätzlich­e Belastung nach dem Motto: ‚Das hätte jetzt auch meines sein können.‘ Das können oft auch ganz banale Dinge sein: eine Namensglei­chheit, dasselbe Geburtsdat­um. Das sind die Dinge, die einen auf einmal anders ansprechen, die einen beschäftig­en und nicht mehr loslassen. Markus Reuter,

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Foto: Julia Terjung, SWR Kommissar Martin Rascher (Sebastian Blomberg) hoffte gestern Abend im „Tatort“aus Mainz, eine Mordserie endlich aufklären zu können. Er machte sich Vorwürfe, brütete nach Dienstschl­uss über alten Akten.
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 ??  ?? 47, arbei tet bei der Polizei und Notfallsee­lsorge in Mainz. Von dort kam auch der gestrige „Tatort“.
47, arbei tet bei der Polizei und Notfallsee­lsorge in Mainz. Von dort kam auch der gestrige „Tatort“.

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