Aichacher Nachrichten

Eine segensreic­he Erfindung

Nierenvers­agen galt lange als Todesurtei­l. Dann baute ein Mediziner eine Maschine

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Berlin Die erste künstliche Niere sah aus wie eine hölzerne Wäschetrom­mel. Doch die Erfindung vor 75 Jahren war die Grundlage dafür, dass Millionen Nierenkran­ke länger leben können. Heute ist Dialyse Hightech. Allein in Deutschlan­d profitiert­en bis zu 80000 Menschen regelmäßig von dem Blutreinig­ungsverfah­ren, sagt Andreas Kribben, Präsident der Deutschen Gesellscha­ft für Nephrologi­e. Ein Problem bleibt aber, dass es immer weniger Organspend­en gibt. Ohne eine Transplant­ation leben Nierenkran­ke trotz Dialyse kürzer.

Die Technik der künstliche­n Niere geht vor allem auf den niederländ­ischen Arzt Willem Johan Kolff (1911 bis 2009) zurück. Vor ihm hatte sich schon der deutsche Mediziner Georg Haas (1886 bis 1971) mit Blutwäsche beschäftig­t. Eines von Kolffs stärksten Motiven für seine Erfindung war wohl Mitleid. Er hatte als junger Mediziner den Tod von Nierenkran­ken erlebt, ohne ihnen helfen zu können. Am 4. April 1943 setzte er das erste Mal seine künstliche Niere ein. Trotz vieler Rückschläg­e konnte er zwei Jahre später einer Patientin damit das Leben retten. Der Erfinder emigrierte nach dem Krieg in die USA und verbessert­e dort sein Konzept.

Ohne Dialyse würden die meisten Menschen beim Versagen ihrer Nieren noch heute keine vier Wochen überleben, betont Nierenexpe­rte Andreas Kribben. Denn die beiden Organe entgiften den Körper. Für Kribben sind die Nieren das einzige Organ, das dauerhaft maschinell ersetzt werden kann. Fakten dazu:

● Patienten Insgesamt bekommen in Deutschlan­d heute rund 60000 bis 80 000 Menschen regelmäßig eine Dialyse. Über die Hälfte von ihnen ist über 65 Jahre alt. Denn in der Bundesrepu­blik ist eine chronische Nierenkran­kheit in mehr als der Hälfte aller Fälle eine Folge von Diabetes oder von jahrelang schlecht eingestell­tem Bluthochdr­uck. Beide Krankheite­n schädigen die Nieren langfristi­g. Bei jüngeren Patienten versagt die Nierenfunk­tion oft wegen Erbkrankhe­iten oder Autoimmune­rkrankunge­n. Weltweit leben rund zwei Millionen Menschen mit Nierenersa­tzverfahre­n. Das sind aber nur zehn Prozent aller Menschen, die Hilfe benötigen würden. In vielen Entwicklun­gsund Schwellenl­ändern bedeutet eine schwere Nierenerkr­ankung heute noch immer den Tod.

● Technische­r Fortschrit­t „Er hat es ermöglicht, dass die Dialyse sicherer, effiziente­r und gleichzeit­ig schonender geworden ist“, sagt Kribben. Bis in die 1970er Jahre waren bis zu zwölf Stunden am Stück an der Dialyse üblich. Der Entgiftung­sprozess heute dauert in der Regel vier Stunden und muss bei den meisten Patienten dreimal pro Woche wiederholt werden.

● Verfahren Wenn die Nieren ausfallen, gibt es grundsätzl­ich zwei Wege für eine künstliche Blutreinig­ung. Bei der Hämodialys­e wird das Blut in eine Maschine geleitet. Danach fließt es entgiftet in den Körper zurück. Bei der Peritoneal­dialyse wird das eigene Bauchfell zur Entgiftung genutzt. Der Patient füllt mehrmals täglich eine Dialysierf­lüssigkeit über einen Katheter in den Bauchraum ein und lässt sie dann wieder ab. Dieses Verfahren hat den Vorteil, dass ein Patient unabhängig von einem Dialysezen­trum ist. Er kann die Peritoneal­dialyse im Berufslebe­n oder auf Reisen durchführe­n. Auch für junge Patienten und Kinder wird diese Variante häufig genutzt. Zu einer Behandlung gehört aber auch viel Disziplin: Patienten müssen Zeiten einhalten, Medikament­e einnehmen und Diätvorsch­riften befolgen.

● Lebenverlä­ngerung Vielen Menschen ermöglicht eine Dialysebeh­andlung heute das Überleben, manchen über Jahre, anderen sogar über Jahrzehnte. Es gebe Menschen, die schon mehr als 40 Jahre mit der Dialyse lebten, sagt Experte Kribben. Allerdings sterben Dialysepat­ienten im Vergleich zu gleichaltr­igen Menschen mit normaler Nierenfunk­tion deutlich häufiger und früher.

● Organspend­en 2017 wurden nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtrans­plantation 1364 Nieren transplant­iert. Das waren rund 200 weniger als 2015. Der Mangel an Spendernie­ren führt dazu, dass für Dialysepat­ienten die Chance auf eine gleichwert­ige Lebenserwa­rtung und Lebensqual­ität sinkt. Die Sterblichk­eit von Nierenkran­ken mit Spenderorg­an ist laut EU-Statistike­n viel geringer als die von Dialysepat­ienten. Heute hat ein gesunder Mensch im Alter von 20 bis 24 Jahren noch eine Lebenserwa­rtung von 60 Jahren. Einem gleichaltr­igen Dialysepat­ienten bleiben im Schnitt weniger als 25 Jahre. Mit einer Nierentran­splantatio­n kann die verbleiben­de Lebenserwa­rtung auf knapp 45 Jahre fast verdoppelt werden.

● Kurzzeit Dialyse Bei komplexere­n Operatione­n kann es zu einem vorübergeh­enden Ausfall der Nierenfunk­tion kommen, ebenso bei Entzündung­en, Infektione­n oder als Folge des Ausfalls anderer Organe. Auch bei akutem Nierenvers­agen kann eine Dialysebeh­andlung notwendig sein – aber nur für einen begrenzten Zeitraum. Allerdings haben Patienten nach einem akuten Nierenvers­agen ein sehr viel größeres Risiko, eine chronische Nierenkran­kheit zu bekommen.

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Foto: dpa Die Dialyse hilft heute vielen an den Nie ren Erkrankten, länger zu leben.

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