Unwahrscheinliches gelingt
Das Theater Augsburg bringt Terézia Moras preisgekrönten Roman „Das Ungeheuer“auf die Bühne. Es verblüfft, wie das lange Buch in einem kurzen, packenden Abend aufgeht
Schon der Roman „Das Ungeheuer“ist eine Herausforderung. Die Schriftstellerin Terézia Mora erzählt darin eine Geschichte aus zwei Perspektiven – und das parallel. Darius bewältigt den Selbstmord seiner Frau Flora nicht. Der IT-Spezialist stürzt ab und verbarrikadiert sich vor dem Leben, bis er den Entschluss fasst, die Asche seiner Frau selbst beizusetzen: irgendwo in Osteuropa. Mit dabei auf dieser Reise sind die Tagebuch-Aufzeichnungen seiner Frau, die Darius dabei zum ersten Mal liest. Die Romanseiten sind aufgeteilt. Oben wird Darius’ Roadtrip geschildert, unten ist Floras Stimme aus der Vergangenheit zu vernehmen. Darius muss erkennen, dass er Flora nie verstanden hat, dass sie ihm das, was sie ihren Texten anvertraut hat, nie erzählt hat, dass er sie im Grund nie wirklich kannte.
Der furiose Roman, der 2013 mit dem Deutschen Buchpreis ausge- zeichnet worden ist, ist von Nadine Schwitter für das Theater Augsburg adaptiert. Eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit: einen 680 Seiten starken Roman, der formal dermaßen fordernd ist, in rund 100 Minuten mit nur zwei Schauspielern und einer Musikerin auf die Bühne zu bringen. Aber manchmal gelingt das Unwahrscheinliche. Schwitter hat in ihrer Fassung den Roman auf seine Essenz verknappt. Darius und seine Ehe, der Selbstmord seiner Frau, das Tagebuch, der Entschluss, aufzubrechen, um einen Ort für die Urne zu finden, dann auch die Begegnung Darius’ mit der jungen Studentin Oda auf dem Trip durch Osteuropa – das alles ist eingefangen.
Gespielt wird im alten Orchesterprobensaal, im zweiten Stock des Theaterverwaltungsgebäudes an der Kasernstraße. Gleich zu Beginn kommt der schwächste Teil des Abends, der vom Publikum absolviert werden muss. Mit dem Aufzug werden die Gäste nach oben gebracht, jeweils sieben. In der Kabine wird kurz etwas aus dem Mythos von Orpheus und Eurydike eingespielt. Danach wartet man im Saal darauf, bis alle anderen Besucher sitzen. Die Sätze aus dem Aufzug sind da längst verpufft, das Publikum unterhält sich.
Dann aber zieht Klaus Müller als Darius die Zuschauer in die Seelenabgründe seiner Figur hinein, macht er Trauer, Verzweiflung, später auch den Schock spürbar, verliebt man sich mit ihm kurz in Oda (Linda Elsner), rast später mit ihm und ihr auf eine Klippe zu, weil Darius es nicht mehr erträgt, was Flora aufgeschrieben hat. Jetzt will er sich umbringen. Das geht unter die Haut – am stärksten in den Momenten, in denen Oda und Darius sich das erste Mal im Auto unterhalten. „Und deine Partnerin?“– „Ich bin ein Witwer.“Darius stockt, seine Stimme löst sich in Trauer auf. „Sie hat sich umgebracht.“
Mit wenigen Mitteln gelingen starke Bilder und Effekte. Ein Kassettenrekorder lässt Flora und ihr Tagebuch zu Wort kommen. Die Musikerin Ellen Mayer untermalt das Geschehen mal mit Melodielinien, mal mit verschiedenen Geräuschen. Die Schauspieler tauchen unter großen Planen ab und verstricken sich buchstäblich in undurchschaubaren Zwangszuständen.
Nach den letzten Sätzen schweigen die Zuschauer ungewöhnlich lange, umso heftiger fällt der Applaus aus. Die Schriftstellerin Terézia Mora sitzt im Publikum, will aber nicht auf die Bühne.
Es ist erstaunlich, wie schnell diese unter dem Label „Plan A“produzierten Abende – ausgeflaggt als interdisziplinäre und interkulturelle Plattform des Theaters – zu Form und Inhalt gefunden haben. Auch wenn ein interdisziplinärer Aspekt dieses Abends (die Video-Einblendungen) nicht wirklich tragend fürs Stück ist, gelingt die Romanadaption überzeugend.
ⓘ
Weitere Termine
April und am 15. Mai am 7., 15., 24.