Wenn Malerei den Raum flutet
Franziska Hünig bemalt alte Werbebanner aus Kunststoff. Ihre großen Materialinstallationen sind wuchtige Farbauftritte. Im Kunstverein verwirrt sie die Sinne
Gibt es das: Grüne Luft? Nein, sagt der Verstand. Aber hier, mittendrin in dieser Farbkammer, sagen die Sinne: ja, doch. Sieht so aus, als gäbe es das, grüne Luft! Es schimmert grün, es wabert grün, die Blicke tauchen ab im raumfüllenden Grün. Von der Stirnwand des tiefen Ausstellungsraums hängen grün bemalte Kunststoffplanen wie Tapetenbahnen nebeneinander und sie ergießen ihr Grün über den Boden, wo die Bahnen bis zur Mitte des Raumes rollen. Die weißen Wände leuchten grün – Franziska Hünig führt den Betrachter am Ende seines Ausstellungsrundgangs im Augsburger Kunstverein zu einem flimmernden Wasserfall der Malerei. Wand und Boden heben sich auf im Farbklang dieser Installation, deren Maße beeindrucken: 245x535x535 Zentimeter.
Franziska Hünig, geboren 1970 in Dresden, Meisterschülerin bei Professor´Hans-Jürgen Diehl an der Universität der Künste in Berlin (wo sie 1996 bis 2003 studierte), malt bevorzugt auf die Rückseiten von ausgedienten riesigen Kunststoff-Werbeplanen, die sie in lange Bahnen schneidet. Sie malt mit besenbreiten Pinseln und Bürsten, sie verdünnt die Acryl-Farben (bevorzugt: Gelb und grün) und der Auftrag ist oft wässrig, ungemein vielschichtig changierend zwischen deckend und zart durchscheinend. Hünig bemalt den Kunststoff, der bei ihr zum stumpf glänzenden Farbträger wird. Streifen, Flecken, ineinander verschwimmende abstrakte Formen, Zufallsgebilde: Es sind keine klassischen „Bilder“, sondern farbfließende Malerei-Installationen, die die in Berlin lebende Künstlerin in ihrer Einzelausstellung im Kunstverein Augsburg zeigt. Alle Arbeiten sind 2018 entstanden.
Die „ausgedienten“Bildmotive, die einst auf die Werbeplanen gedruckt wurden, tauchen bei Franziska Hünig wie zufällig immer wieder auf. Da liegt ein geknautschtes gelb bemaltes Banner auf dem Boden – und in einer Ecke des Kunststoffknäuels sieht man ins Riesige vergrößerte Haare. Am Ende einer langen bemalten Schärpe, die vom Geländer im ersten Stock frei herunterhängt ins Erdgeschoss, ist ein großes „T“auszumachen. Solche Bruchstücke, Ausschnitte und Überlappungen der bedruckten Werbebanner, deren Rückseiten die Künstlerin bearbeitet, gehören als reizvolles Spiel mit Zeigen und Verbergen zu diesen Arbeiten. Als Bildträger nutzt Franziska Hünig nicht nur Werbe-Großplakate, wie sie draußen an Hauswänden hängen, sondern auch dünne Aluminiumplatten, die dreidimensional verformt als Farbobjekte an der Wand hängen oder im Raum stehen. Hünig gibt ihren Arbeiten Titel, als seien es Computer-Dateien. „Install_18_4“heißt die eingangs beschriebene grüne Wandinstallation, „LW_18_1“bis „LW_18_3“sind die großflächigen Leinwände betitelt, die Hünig ebenfalls bemalt und ungerahmt an die Wand pinnt.
Vor drei Jahren zeigte der Kunstverein Augsburg im Höhmannhaus Arbeiten der in Frankfurt lebenden Franziska Kneidl – Malerei auf hauchdünnen Folien und Zellophanbahnen, die ebenfalls als dreidimensionale Farbgebilde in den Raum wucherten. Franziska Hünigs Werbebanner sind dagegen viel handfestere, starre, straffe Materialien, denen man im Faltenwurf und Herunterhängen ihre Schwere auch ansieht. Doch die Malerin kann auch anders – leicht, filigran, kleinformatig. Im Kunstverein zeigt die 47-Jährige zwölf wunderbare, in Tusche und Acryl gearbeitete Blätter (Titel: PAP_18_). Die exquisiten, zarten abstrakten Gespinste und Farblandschaften auf Papier sind ein intimes Echo der raumgreifenden Malerei-Texturen.
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Laufzeit der Ausstellung „CMYYK“von Franziska Hünig bis zum 1. Juni. Die Öffnungszeiten im Kunstverein Augs burg (Holbeinhaus, Vorderer Lech 20) sind Dienstag bis Sonntag von 11 bis 17 Uhr. Eintritt frei. Führungen 18. April (um 18 Uhr) und 6. Mai (um 15 Uhr).