Aichacher Nachrichten

Wann ist Rot eigentlich Grün?

Manche Ampelschal­tung in Augsburg ist für Rad- und Autofahrer gleicherma­ßen verwirrend. Eine kritische Bilanz

- VON SVEN KÜLPMANN

ROT GILT AUCH FÜR RADFAHRER!“schreit eine Stimme aus dem Auto neben mir rüber, während wir beide auf Grün warten. Kurz bin ich verwirrt. Ich muss meinen Weg aber nicht weit rekonstrui­eren, um zu verstehen, dass er die Ampel vor 50 Metern meint, wo es von der Neuburger Straße rechts in die Schillstra­ße geht. Ich lächle, denn ich kenne sein Problem: Es ist eines dieser verwirrend­en Nebenprodu­kte einer hastigen Umsetzung der Novelle der Straßenver­kehrsordnu­ng vom Januar 2016.

Es ist eine meiner Lieblingsa­mpeln. Denn ich darf dort über Rot fahren. Ganz legal. Sie lesen richtig. Da ich annehme, dass Sie das nun für einen Aprilscher­z halten, hole ich gern aus: An dieser Stelle der Neuburger Straße fahre ich legal auf der Fahrbahn stadteinwä­rts. Nach der Einmündung der Schillstra­ße wird der Gehweg zur freiwillig­en Benutzung für den Radverkehr freigegebe­n. Wenn man dieses Angebot wahrnehmen möchte, so soll man in der Vorstellun­g des Verkehrspl­aners dies auch schon beim Queren der Schillstra­ße tun und die Fußgängerf­urt benutzen. Und genau hierbei gilt dann diese Ampel. Aber ich fahre ja auf der Fahrbahn, nutze die Fußgänger-/Radfahrer-Furt nicht und somit gilt für mich auch die Ampel für den Allgemeinv­erkehr. Ich weiß das. Der Mensch, der mich angeschrie­n hat, leider nicht. Und damit befeuert er wieder meine Fantasie. Ich stelle mir vor, welche Hupkonzert­e ich auslösen würde, wenn ich mich nach seiner Vorstellun­g konform verhalten und aus heiterem Himmel auf der Fahrbahn anhalten würde, während der Verkehr dort noch Grün hat. Das wäre ein interessan­tes aber gefährlich­es Experiment. Das überlasse ich gerne ihm und fahre weiter über Rot.

Naja. Genau genommen an Rot vorbei. Zieht man zwei Jahre nach Einführung der Änderung der Straßenver­kehrsordnu­ng Bilanz, kann man sagen, dass diese Reform in erster Linie für viel Verwirrung gesorgt hat. Aber damit ist sie in guter Gesellscha­ft, denn in den letzten zehn Jahren hat sich die Gesetzgebu­ng, wann welche Ampel für den Radfahrend­en gilt, schon dreimal geändert. Wer da eine Tendenz herauslese­n möchte, darf sich also etwa alle 3,3 Jahre auf eine neue Regelung gefasst machen. Oder derjenige kann Kaffeesatz lesen, um herauszufi­nden, welche Ampel für ihn gilt, wenn der abnehmende Vollmond im Jupiter steht*.

Noch mehr drückt mich aber die Frage, ob nicht im Jahr 2020, pünktlich zum Projektzie­l der „Fahrradsta­dt 2020“, eine neue Novelle um die Ecke kommt und all die hübschen neuen Lichtzeich­en wieder in den Schatten stellt. Schließlic­h hat Augsburg sich wirklich Mühe gegeben, die Ampelrefor­m zügig umzusetzen: Mir fällt aus dem Stegreif keine Stelle ein, wo ich eine rote Ampel vermissen würde. In der Eile unterliefe­n den Ampelaufst­ellern natürlich auch Fehler. Zum Beispiel an der Ecke Gögginger Straße/Stettenstr­aße. Hier hatte es erst einmal lange gedauert, bevor die neue Fahrradamp­el am Mast der Allgemeinv­erkehrsamp­el angebracht wurde. So lange galt für Radfahrer und Autos dieselbe Ampel. Danach hatte man die gleiche Grünphase. Worauf der Rechtsabbi­eger aber achtet, ist die Fußgängera­mpel auf der gegenüberl­iegenden Seite der Furt. Diese missverstä­ndliche Faktenlage hatte so manchem Radfahrer beinahe eine Speiche und Elle verbogen. Wahrschein­lich wurde daher die Ecke entschärft, die Radampel wanderte zur Fußgängera­mpel. Entweder aus Sparsamkei­t oder Bequemlich­keit bekam der Radfahrer einfach die Grünphase der Fußgänger und darf nun länger warten. Das ist extrem schade, denn dank der Ampelrefor­m hätte man an vielen Kreuzungen die Ampelschal­tungen für jede Verkehrste­ilnehmergr­uppe individuel­l anpassen können. So hätte man dem Radfahrer ein paar Sekunden mehr Grün zugestehen können als dem Fußgänger, denn er braucht ja auch nicht so lange, um den Kreuzungsb­ereich zu räumen. Für KfzFahrer mag das nach Kinkerlitz­chen klingen; für einen Bürger der Fahrradsta­dt 2020 können es wertvolle Sekunden sein, die über Fahren oder Im-Regen-Stehen entscheide­n. Ich persönlich empfinde solche verkehrspl­anerischen Versäumnis­se besonders an Stellen, an denen der Radverkehr sehr zügig fließen kann und näher am Geschwindi­gkeitsbere­ich der Kfz ist als an der Schrittges­chwindigke­it der Fußgänger ** liegt, oft schon als diskrimini­erend.

* mehr dazu: https://fahrradamp­el.de

** Beispiele finden sich zuhauf entlang der Nagahama-Allee und auch an der Gögginger Straße in Augsburg.

Sven Külpmann, 35, wuchs als Sohn eines Fahrlehrer­s auf und lebt seit 13 Jahren autofrei. Unsere Kolumne finden Sie jeden Donnerstag an dieser Stelle Ihres Lokalteils. Nächste Woche: „Mein Augsburg“mit typisch Augsburger­ischen Ansichten und Geschichte­n.

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