Aichacher Nachrichten

Ein Buskartell, das Millionen abschöpfte?

Busunterne­hmer sollen sich jahrelang zulasten von Kommunen, Staat und Nahverkehr­s-Kunden abgesproch­en haben. Es gibt beste Verbindung­en in Behörden und Politik. Und es gibt Kronzeugen, die bereits teuer dafür bezahlt haben

- VON JÖRG HEINZLE

Busfirmen sollen sich jahrelang zulasten von Kommunen, Staat und Nahverkehr­skunden abgesproch­en haben. Es gibt beste Verbindung­en in Behörden und Politik. Und es gibt Kronzeugen, die bereits teuer dafür bezahlt haben.

Augsburg Die Sache sei eine Zeitbombe, sagen manche in der Branche. Der Fall habe das Potenzial, die Busbranche und den Nahverkehr in der Region auf den Kopf zu stellen. Seit zwei Jahren ermittelt die Staatsanwa­ltschaft. Es gab Razzien, Ermittler zapften Telefone an. Nun geht es um die Frage, wie teuer die Sache für eine Reihe von großen schwäbisch­en Busfirmen werden könnte. Es geht um Arbeitsplä­tze. Und darum, welche Mitverantw­ortung die Politik trägt, die mit der Branche stets eng verbunden ist.

Es beginnt im Jahr 2006. Die Firmenzent­rale der Regionalbu­s Augsburg GmbH – kurz RBA – ist ein dreistöcki­ger Zweckbau an der Eichleitne­rstraße. Weiße Wände, rote Fenster. Seit etwa einem Jahr ist Max F.* zu diesem Zeitpunkt dort einer der beiden Geschäftsf­ührer. Er war ranghoher Ministeria­lbeamter. Jetzt, nach der Pensionier­ung, führt er die RBA. Seine Rolle in dem Fall ist umstritten. Die große Mehrheit an der Firma halten knapp ein Dutzend Busunterne­hmer aus der Region. 2006 entsteht ein Dokument, das Juristen „Unrechtsve­reinbarung“nennen. Die an der RBA beteiligte­n Firmen verpflicht­en sich, sich beim Betrieb regionaler Buslinien keine Konkurrenz zu machen. Wer dagegen verstößt, soll 100 000 Euro Strafe bezahlen.

Zehn Jahre später, am 28. Juni 2016, fliegt das mutmaßlich­e Kartell auf. Ermittler durchsuche­n die RBA-Zentrale in Augsburg. Auch die an der RBA beteiligte­n Busfirmen bekommen unangemeld­et Besuch von Staatsanwa­ltschaft und Polizei. Die Beamten werden fündig. Sie stoßen unter anderem auf das brisante, zehn Jahre alte Dokument.

Nun steht ein konkreter Verdacht im Raum. Gab es unter den RBAEignern Absprachen mit dem Ziel, Marktantei­le und Gewinne nach oben zu schrauben? Wurde in diesem Kreis aufgeteilt, welche Busfirma für welche Linien beim Augsburger Verkehrsve­rbund (AVV) ein Angebot abgibt? Es geht im öffentlich­en Nahverkehr um viel Geld, das zu verteilen ist. Es kommt vom Staat, der Verluste mit großen Summen ausgleicht. Und es kommt von den Fahrgästen, die das System mitbezahle­n. Der Schaden, darüber wird in der Branche spekuliert, könnte in die Millionen gehen.

Das mutmaßlich­e Bus-Kartell ist zerbrochen. Nach Informatio­nen unserer Redaktion haben zwei Busunterne­hmer mit den Ermittlern zusammenge­arbeitet. Nun dienen sie als Kronzeugen. Im Gegenzug wurden die Strafverfa­hren gegen vier Verantwort­liche dieser beiden Firmen eingestell­t. Das bestätigt ein Sprecher der Staatsanwa­ltschaft. Die Betroffene­n haben dafür nach Recherchen unserer Zeitung einen hohen Preis bezahlt. Drei mussten als Auflage eine sechsstell­ige Summe bezahlen, bei einem war es sogar ein Millionenb­etrag. Dafür haben sie nun strafrecht­lich eine weiße Weste. Das ist wichtig, um weiter an öffentlich­e Aufträge zu kommen. Einer der reumütigen Unternehme­r hat kürzlich eine lukrative Ausschreib­ung für Buslinien im Nordosten der Region Augsburg gewonnen.

Gegen 19 Personen ermittelt die Staatsanwa­ltschaft weiter. Wegen des Verdachts der Preisabspr­achen bei Ausschreib­ungen – so lautet der Verdacht offiziell. Beschuldig­t sind die weiteren an der RBA beteiligte­n Busunterne­hmer und die RBA-Geschäftsf­ührer. Die beschuldig­ten Unternehme­r sind teils auch Lokalpolit­iker, Vorstandsm­itglieder des Landesverb­ands der Omnibusbus­unternehme­r – und großzügige Parteispen­der. Eine Busfirma unterstütz­te etwa die CSU im Jahr 2013 mit 22 000 Euro. Das Bundeskart­ellamt sieht inzwischen das gesamte Firmenkons­trukt der Regionalbu­s Augsburg GmbH kritisch. Im Herbst fragte die Behörde an, ob man daran denke, das Unternehme­n mit rund 300 Mitarbeite­rn aufzulösen. Man muss kein Kartell-Experte sein, um zu erkennen, weshalb die Struktur problemati­sch ist: Die wichtigen Busfirmen der Region sitzen alle in einer Firma, der RBA, die wiederum einen großen Anteil der Linien im Nahverkehr betreibt. „Natürlich schränkt das den Wettbewerb ein“, sagt ein Beteiligte­r.

Über viele Jahre hinweg vergab der Augsburger Verkehrsve­rbund die Aufträge für Regionalbu­slinien direkt an die Busfirmen – ohne Ausschreib­ung. Das änderte sich Ende der 2000er Jahre. Heute schreibt der AVV alle Linien aus. Die Unternehme­n bewerben sich und geben an, wie viel Geld sie von der öffentlich­en Hand für den Betrieb benötigen. Gerechnet wird in Euro je Kilometer. Die Zahlungen lagen früher meist im Bereich von drei Euro pro Kilometer. Nun bieten es die Firmen oft für 2,50 Euro oder sogar noch weniger an. Jährlich fahren die Regionalbu­sse im AVV rund 15 Millionen Kilometer. Auch kleinere Preisschwa­nkungen summieren sich so schnell zu Millionenb­eträgen. Der Verdacht liegt nahe, dass über Jahre hinweg zu viel bezahlt worden ist. Jahrelang leisteten die Träger des AVV, das sind die Stadt Augsburg sowie die Kreise Augsburg, Aichach-Friedberg und Dillingen, Ausgleichs­zahlungen im Bereich von bis zu 12 Millionen Euro. Im Jahr 2016 sanken diese Zahlungen nun auf nur noch 4,3 Millionen.

Um das System der Regionalbu­s Augsburg GmbH zu verstehen, muss man länger zurückblic­ken. Anfang der 1990er Jahre entscheide­t die schwarz-gelbe Bundesregi­erung, die Bussparte der Bahn zu privatisie­ren. Staatsbetr­iebe gelten als schwerfäll­ig und unwirtscha­ftlich. Mit Rückendeck­ung der Politik kaufen zehn örtliche Busunterne­hmer die regionale Bahnbusges­ellschaft mit Sitz in Augsburg. Auch einige Kommunen steigen mit klei- neren Anteilen ein. Schützenhi­lfe kommt vor allem von der CSU. Die Käufer zahlen nach Angaben des damaligen Verkehrsmi­nisters Otto Wiesheu (CSU) 2,5 Millionen Mark. Das ist verhältnis­mäßig wenig, doch der Staatsbetr­ieb ist finanziell ausgeblute­t. Die Käufer müssen neues Kapital einzahlen. Aber es lohnt sich. Denn von da an sind die RBABesitze­r die Platzhirsc­he. Wer als Busfirma nicht mit im Boot ist, muss sich als Subunterne­hmer andienen.

Es ist eine Zwei-Klassen-Gesellscha­ft. Dabei bleibt es lange. Ein nicht am Kartell beteiligte­r Busunterne­hmer hat den Ermittlern als Zeuge berichtet, dass er von der RBA per Brief aufgeforde­rt worden sei, sich nicht eigenständ­ig für Linien im Augsburger Verkehrsve­rbund zu bewerben. Sonst fliege er als Subunterne­hmer bei der RBA raus. In einem Gespräch hätten ihm das auch die RBA-Geschäftsf­ührer gesagt.

RBA-Chef Max F. war als Ministeria­lbeamter in Bayern lange für

Wer sich nicht ins System fügte, sollte rausfliege­n

Nahverkehr zuständig. Auch in den 1990er Jahren, als den privaten Busunterne­hmern der Einstieg bei der RBA ermöglicht wurde. Nach seiner Pensionier­ung war Max F. drei Jahre Chef einer halbstaatl­ichen Projektges­ellschaft, die den Transrapid zum Münchner Flughafen planen sollte. Im Juli 2005 wechselte er zur RBA, ausgestatt­et mit einem sechsstell­igen Jahresgeha­lt. Heute, mit 82 Jahren, arbeitet der umtriebige Geschäftsf­ührer noch immer.

Zu den Vorwürfen will er sich nicht äußern. Die Ermittler sehen ihn als eine der Schlüsself­iguren. Allerdings: Auf der Kartellver­einbarung aus dem Jahr 2006 ist seine Unterschri­ft nicht zu finden. Es gibt den Verdacht, er habe das Dokument mit entworfen. Aber ob sich das beweisen lässt, wird sich wohl erst in einem Prozess zeigen. Die Ermittlung­en sind so gut wie abgeschlos­sen. Derzeit haben die Anwälte der Beschuldig­ten die Möglichkei­t, ihre Sicht der Dinge darzulegen. Wie zu hören ist, zweifeln sie an, dass es genug Beweise für konkrete Absprachen gibt. Die Staatsanwa­ltschaft wird demnächst entscheide­n müssen, wie es weitergeht – und ob sie den Fall bei einem Gericht anklagt. Die Zeitbombe, von der sie in der Branche reden, tickt noch. *Name geändert

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Archivfoto: Silvio Wyszengrad Busse der Regionalbu­s Augsburg GmbH: Die Firma mit rund 300 Mitarbeite­rn ist im Visier der Kartellbeh­örden und der Justiz.

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