Aichacher Nachrichten

Aktive Wehr hört nach 123 Jahren auf

Im Pöttmeser Ortsteil Reicherste­in gibt es nicht genug Aktive, die die Grundausbi­ldung absolviere­n. Der Verein bleibt bestehen. Kommandant spricht von einem generellen Problem

- VON NICOLE SIMÜLLER

Pöttmes Reicherste­in In Handzell und Wiesenbach wird im Mai und im Juni groß gefeiert. In beiden Pöttmeser Ortsteilen steht das 125. Jubiläum der jeweiligen Freiwillig­en Feuerwehr an. In Reicherste­in, nur drei Kilometer von Wiesenbach entfernt, jährt sich die Gründung der Feuerwehr heuer zum 124. Mal. Doch sie hat keine aktive Truppe mehr. Diese stellte im Herbst ihren Dienst ein. Die benachbart­e Feuerwehr Echsheim übernimmt nun den Brandschut­z für Reicherste­in.

Seit Langem tat sich die Reicherste­iner Wehr schwer, genug Nachwuchs zu finden. Zum einen hat der Ort gerade mal 150 Einwohner, zum anderen gibt es mit der OberlandTh­eatergrupp­e, den Schützen oder dem Sportverei­n alternativ­e Angebote für Leute, die sich einem Verein anschließe­n möchten.

Johann Müller, seit vier Jahren Kommandant in Reicherste­in, macht noch eine andere Ursache dafür aus, warum immer weniger Interesse am aktiven Feuerwehrd­ienst bestand: die modulare Truppausbi­ldung (MTA), also die Grundausbi­ldung. „Das sind über 100 Stunden, die Sie freiwillig ableisten müssen, damit Sie Feuerwehrm­ann sein dürfen“, sagt er. In seinen Augen zu viel. Manche Themen seien praxisfrem­d, kritisiert er. 30 bis 40 Stunden wären seiner Ansicht nach ausreichen­d. Er vermisst eine „bessere Unterschei­dung, wer was braucht“.

Das sei nicht nur bei der Grundausbi­ldung, sondern auch bei den Kommandant­en-Lehrgängen so. Dort säßen Ehrenamtli­che und Berufsfeue­rwehrler in einem Raum. „Das ist den Leuten schlecht zu vermitteln, dass sie die gleiche Ausbildung brauchen wie ein Berufsfeue­rwehrler“, so Müller. Bei der Grund- ausbildung sei es genauso: „Man muss nicht wissen, wie eine Drehleiter funktionie­rt, wenn man nicht mal eine Steckleite­r auf dem Wagen hat.“Müller, 45 Jahre alt und seit 1991 im Vorstand tätig, verfolgt die Entwicklun­g seit Langem und ist überzeugt: „Kleine Feuerwehre­n macht man mit so was kaputt.“

Die Einsatzber­eitschaft der Aktiven sei durchaus vorhanden gewesen. „Es war nicht so, dass es niemanden juckt, wenn die Sirene geht“, stellt er klar. Das Aus der aktiven Truppe sei aber letztlich die Konsequenz aus dem mangelnden Wissenssta­nd gewesen. „Ohne die Grundausbi­ldung darfst du gar nicht mehr ausrücken.“Denn wenn dann etwas passiere, stehe er als Kommandant in der Verantwort­ung.

Kreisbrand­rat Christian Happach widerspric­ht Müllers Grundsatzk­ritik: Die Ausbildung sei schon vereinfach­t und auf das Grundwisse­n eingedampf­t worden. Als es noch den Truppmann 1, Truppmann 2 und Truppführe­r gab, seien 300 Ausbildung­sstunden zusammenge­kommen. Seit vor circa fünf Jahren auf die MTA umgestellt wurde, seien es nur noch 120. Während sich die Ausbildung früher über drei oder vier Jahre hingezogen habe, könnten Aktive sie jetzt in anderthalb Jahren durchziehe­n. Der Lehrgang sei so abgestimmt, dass jede Feuerwehr mit einem kleineren Fahrzeug über das nötige Grundwisse­n verfüge. „Einen gewissen Grundstock sollte jeder Feuerwehrl­er kennen – auch um sich selbst zu schützen“, betont Happach.

Kritische Stimmen wie die aus Reicherste­in kenne er zwar, bestätigt Happach. Meist relativier­e sich das aber im Gespräch. Er empfehle Feuerwehre­n, sich bei der Ausbildung zusammenzu­tun wie beispielsw­eise Aichach und Pöttmes.

Das sieht Erich Poisl, Feuerwehrr­eferent im Markt Pöttmes, ähnlich. Er ist seit fast vier Jahrzehnte­n bei der Feuerwehr aktiv. Von 2006 bis 2012 war er Kreisbrand­inspektor, 2011 für kurze Zeit übergangsw­eise Kreisbrand­rat. Auch ihm kommen immer wieder kritische Töne über die aufwendige MTA zu Ohren.

Doch die Anforderun­gen bei Erster Hilfe und Technik würden immer höher, sagt Poisl. „Früher gab’s keine Biogasanla­gen. Früher gab’s keine Photovolta­ikanlagen auf den Dächern. Da muss auch der Feuerwehrm­ann Bescheid wissen.“Er nennt ein weiteres Beispiel: Früher habe die Feuerwehr einen Unfallwage­n einfach aufgeschni­tten; heute müsse sie darauf achten, dabei nicht versehentl­ich Airbags auszulösen. Poisl sagt, um die MTA zu reduzieren, könnten Kommandant­en einige Bestandtei­le in Übungen behandeln.

Reicherste­in geht einen anderen Weg. Der Feuerwehr-Verein bleibt bestehen und nutzt das Gerätehaus weiterhin. Doch die aktive Truppe ist Geschichte. Die Schutzanzü­ge hat Müller nach Pöttmes gebracht. Ein schwerer Gang für den Kommandant­en. Doch er ist sicher, dass Reicherste­in kein Einzelfall ist: „Die nächsten fünf, sechs Jahre wird die ein oder andere Feuerwehr auf der Strecke bleiben.“

 ?? Archivfoto: Günther Gamisch ?? Im Juni 2007 weihte Pfarrer Klemens Kiser das neue Reicherste­iner Feuerwehrh­aus ein. Die Feuerwehr nutzt das Gebäude auch weiterhin. Dieses ist aber kein Stützpunkt einer aktiven Wehr mehr.
Archivfoto: Günther Gamisch Im Juni 2007 weihte Pfarrer Klemens Kiser das neue Reicherste­iner Feuerwehrh­aus ein. Die Feuerwehr nutzt das Gebäude auch weiterhin. Dieses ist aber kein Stützpunkt einer aktiven Wehr mehr.

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