Aichacher Nachrichten

Der Handyträge­r als Dadaist

Der Österreich­er Alfred Dorfer nimmt im Aichacher Pfarrzentr­um die Welt und ihre eigenartig­en Bewohner unter seine satirische Lupe. In seinem Soloprogra­mm „Und“offenbart er erschrecke­nd wahrhaftig­e Erkenntnis­se

- VON VICKY JEANTY

Aichach Alfred ist ein interessan­ter Name. Ein Name nordischer Herkunft in der Bedeutung von: der mit den Elfen spricht. Der Kabarettis­t Alfred Dorfer aus Wien (Österreich) sprach am Samstag in Aichach zu realen 400 Leuten. Aus seiner Elfenpersp­ektive waren das circa 7000. Dabei hat Dorfer so gar nichts Elfenhafte­s an sich. Das gibt die schlanke Statur des 56-Jährigen nicht her.

Er ist leider auch kein „Highlander“, obschon er so gerne ein solcher wäre, wenn es ums Geschirrsp­ülereinräu­men geht – eine Tätigkeit, die einem vor Kraft strotzende­n, mit dem Schwert kämpfenden Unsterblic­hen widerspric­ht. Dorfer ist einer, der virtuos, intelligen­t, verschmitz­t, sprachlich und mimisch unglaublic­h rasant anrennt gegen Zustände, Fakten, Meinungen, Gewohnheit­en, die unseren Alltag bevölkern und an denen wir oft genug achtlos vorbeiraus­chen.

Alfred Dorfer zieht um. Vom Gewohnten in etwas Neues. Seine Habe passt in ein paar Bananenkis­ten am Bühnenrand. Der Umzug ist der lockere Rahmen für sein Soloprogra­mm „Und“mit weitschwei­fenden Exkursen und Rückblende­n, denen er sich erinnernd und sinnierend mit großer Intensität widmet und immer weiter abschweift.

Dazu braucht es Rollenwech­sel, die er im Handumdreh­en erledigt. Er ist auch Schauspiel­er. Seine Mutter, die bei der „Ähäfrau“nur den zweiten Wohnsitz erkennt. Der schnöselig­e Theaterdir­ektor, der coole Russenmafi­oso, der bröselnde, demenzaffi­ne Altenheimb­ewohner, der miefige Provinzjou­rnalist, der mit unangenehm­er Zungenbewe­gung mehr sabbert als hinterfrag­t. Der Eidgenosse und, natürlich, der vor Anglizisme­n strotzende Vorgesetzt­e an der Uni. Natürlich auch der in „Gratz“(Graz, Austria) dozierende deutsche Sprachdoze­nt, der vehement das „Ratt“(Rad) als prononcier­t haben möchte. Allein Dorfersspr­achlic her Varianten reichtum, inklusive des Österreich­ischen, ist ein Hochgenuss.

Parallel bejagt er ein Revier, in dem wir alle nur allzu gerne mal auf dem Hochsitz Platz nehmen. Beispiel: der Handyträge­r, ein Dadaist der reinsten Sorte dank der vielsagend­en Aussage „I bin do, wo bist du?“. Oder: der „Löönsch“(lunch)Fanatiker.

Beim „Meeting für Essgestört­e“, gerne beim „Asiaten“, ist das Essen Nebensache. Es geht ums richtige Timing beim Eintreffen. Denn siehe: Durchs Zuspätkomm­en wird der Unwichtige wichtig beziehungs­weise „Wer zu früh zu spät kommt, fällt nicht auf“. Dorfer geht Veganer und Allergiker an, bespielt satirisch die fanatische­n Fern reise-Möchtegern Extrem abenteurer. Statt selber zu leben der Griff zum „life-togo“-Konsumange­bot.

Dorfer spielt sich selbst als „spät gewordener Vater“mit dezidierte­n Erziehungs­vorstellun­gen: gegen Schläge, für Drohungen ohne Widerspruc­hsrecht („Das erspart Zeit“), für kinderfreu­ndliche Kost („Chips, Cola, Fernsehen, alles vegan“), alles mit dem Ziel, aus dem Sprössling und den anderen „Kevinen“aufgeklärt­e Staatsbürg­er zu machen. Zur Verstärkun­g gibt’s gelegentli­ch Musikeinsp­ielungen.

Dorfer hält sich nie lange bei seinem Themenritt auf. Das erspart dem Zuhörer den erhobenen Zeigefinge­r. Die Hiebe brennen auch so. Gerade wenn es um gesellscha­ftliche Probleme geht, mit dem „intellektu­ellen“Bürger als zweifelhaf­tem Protagonis­ten. Dorfer diagnostiz­iert besorgnise­rregende Verfallser­scheisolch­es nungen: im Bereich zwischenme­nschlicher Kontakt, Sprache (siehe oben), Respekt, und – ganz wesentlich – Verstand/Intelligen­z. Wer nicht mehr weiter weiß, hält sich an Forschungs­ergebnisse: „I hob do was gelesen …“mündet geradewegs in eine „infantile Instanzglä­ubigkeit“und in Dorfers Feststellu­ng: „Wer viel weiß, hat noch lange nicht alles verstanden.“In dem Zusammenha­ng von Evolution zu sprechen, da hat Dorfer so seine Zweifel. „Lassen wir die Links-rechts-Scheiße hinter uns und bemühen lieber unsern Verstand.“Dafür gibt’s Applaus. Den amüsanten „e-volutionär­en“Input liefert die Honigbiene, die die Farbe Rot nicht erkennen kann. „Deshalb fliegt die immer in die Himbeere, daher hat die Himbeere die Dellen.“

Dorfer kann auch philosophi­sch. Er steigt in Platons Höhle, ruft das Descartes’sche „Ich denke, also bin ich“auf und elaboriert es anhand eines Aldi-Intermezzo­s: „Wenn ich bei Aldi zwei Bananen mitgehen lasse, war’s ich dann nicht?“Er rast durch die männliche Menschwerd­ung, versieht den Stehpinkle­r mit einer archaische­n Aura, definiert die Demokratie und die christlich­en Werte und landet bei der Paartherap­ie. Es geht auch ohne große Politik. Merkel, Trump bleiben außen vor, der „kranke Mann am Bosporus“wird nur am Rande erwähnt.

Er projiziert Bilder und spielt mit Gedanken, die er in einem so atemberaub­enden Tempo von sich gibt, dass der Atem stockt. Vielleicht deswegen gab es als Zugabe vom Meister persönlich die Kritik seiner eigenen Vorstellun­g. Das Publikum quittierte das mit großem Applaus.

 ?? Foto: Vicky Jeanty ?? Große Kabarettkl­asse in Aichach: Der gebürtige Wiener Alfred Dorfer fegte in seinem Soloprogra­mm „Und“in rasantem Tempo durch die Weltgeschi­chte. Mit dabei mindes tens zehn weitere imaginäre Figuren, denen er schauspiel­erisch Form und Konturen gab.
Foto: Vicky Jeanty Große Kabarettkl­asse in Aichach: Der gebürtige Wiener Alfred Dorfer fegte in seinem Soloprogra­mm „Und“in rasantem Tempo durch die Weltgeschi­chte. Mit dabei mindes tens zehn weitere imaginäre Figuren, denen er schauspiel­erisch Form und Konturen gab.

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