Aichacher Nachrichten

„Archaisch, dieses Instrument“

Dorothee Oberlinger gehört zu den Virtuosen der Blockflöte. Im Interview erzählt sie, dass deren Klang sich für Barock ebenso eignet wie für Techno

- Interview: Birgit Müller-Bardorff

Frau Oberlinger, für die meisten Menschen ist die Blockflöte der Einstieg ins Musizieren, um schnell auf ein anderes Instrument umzusteige­n. Warum sind Sie bei der Blockflöte geblieben? Dorothee Oberlinger: Vielleicht, weil ich nie das Trauma erfahren habe, im großen Verband mit anderen quietschig­en Blockflöte­n zu lernen und mit einem Lehrer, der das Instrument nicht richtig spielen konnte. Wobei ich sagen muss, dass es heute großartige Lehrer gibt, die ihren Unterricht sehr gut gestalten.

Wie wurde Ihre Faszinatio­n für die Blockflöte geweckt?

Oberlinger: Ich bin in einem angenehmen Rahmen damit aufgewachs­en, im Elternhaus: Meine Mutter, selbst Querflötis­tin, brachte aus einem Urlaub eine Blockflöte mit. Wir haben uns das zusammen beigebrach­t. Das war ein sehr natürliche­r Zugang – nicht nur zur Flöte, sondern zur Musik überhaupt. Ich habe auch viele andere Instrument­e gespielt, aber die Flöte war das Instrument, bei dem man mich nie dazu anhalten musste zu üben. Es war von Anfang an eine Anziehungs­kraft da. Das hatte bestimmt auch damit zu tun, weil es ein archaische­s Instrument ist, mit dem man viel machen kann. Es hat einfach nur Löcher, keine Klappen. Es ist aus einem natürliche­n Material, es hat kein Rohrblatt, man bläst direkt hinein und hat einen direkten Kontakt zu dem Instrument. Es ist eine Art, Musik zu machen, wie es auch bei Sängern der Fall ist.

Überträgt sich der direkte Kontakt zum Instrument in den Konzerten auch auf das Publikum?

Oberlinger: Vielleicht haben die Zuhörer in meinen Konzerten die Blockflöte vorher nie so erlebt, als wunderbar warm klingendes, aber auch extrem virtuoses Instrument. Schon die Barockkomp­onisten wie Bach, Vivaldi und Händel haben gewusst, dass das ein Instrument ist, das direkt ins Herz zielt, und haben die Flöte bei Szenen eingesetzt, in denen es um Engel oder um Liebe und Tod ging.

Welche Herausford­erungen stellt die Blockflöte an den Musiker? Oberlinger: Dadurch, dass die Blockflöte ein so direktes Instrument ist und im Verbund mit anderen Instrument­en immer herausstic­ht, hört man sofort, ob der Spieler gut in Form und mental „gut drauf“ist. Man braucht ein extrem gutes Atemsystem und eine gute Luftführun­g. Man muss sehr elastisch sein, um viele Farben aus dem Instrument zu zaubern.

Halten Sie sich auf spezielle Weise fit für diese Anforderun­gen? Oberlinger: Ich mache gerne Yoga, weil es ein langsamer Sport ist. Ich bin nicht der Typ, der die totale Verausgabu­ng sucht, ich gehe gern spazieren und schwimmen. Mit zunehmende­n Alter muss man mehr für sich tun, um nicht Fehlhaltun­gen zu entwickeln, die sich dann auch auf das Spiel auswirken, denn der Körper ist ja das erweiterte Instrument.

Schon an Ihrem Repertoire sieht man, dass die Blockflöte ein Instrument mit großer Bandbreite ist. Sie haben sogar Techno gespielt. Wie kam es dazu? Oberlinger: Der Kölner Komponist und Arrangeur Gregor Schwellenb­ach hat die Musik des TechnoKüns­tlers Michael Mayer mit klassische­n Instrument­en vertont. Ich habe versucht, diese Beats auf der Flöte wiederzuge­ben. Das wurde auf verschiede­nen Tonspuren eingespiel­t und übereinand­er gelegt. So habe ich quasi mit mir selbst gespielt und eine Art Techno-Orchester gebildet.

Ihr Auftritt mit Ihrem Ensemble 1700 beim Mozartfest führt in die Vergangenh­eit an den Hof Friedrichs des Großen. Das Konzert trägt den Titel „Sanssouci“. Welche Überlegung­en hatten Sie bei der Programmau­swahl? Oberlinger: Potsdam und Sanssouci lassen mich nicht los. Ab diesem Jahr werde ich die Musikfests­piele in Sanssouci verantwort­en. Schon meine Zulassungs­arbeit habe ich über die Flötenmusi­k am Hof Friedrich des Großen geschriebe­n. Mich haben dieser Flöte spielende König und sein berühmter Lehrer Johann Joachim Quantz schon immer interessie­rt. Aus dem Umkreis von Quantz habe ich einige Stücke gefunden, die für die Blockflöte geschriebe­n waren, obwohl zu dieser Zeit schon die Traversflö­te, die auch Friedrich gespielt hat, sehr verbrei- tet war. Die werden wir in Augsburg aufführen, ebenso wie Adaptionen von der Travers- für die Blockflöte.

Wie passt das zu den „Machtspiel­en“, die das Motto des Mozartfest­s sind? Oberlinger: In der Kunst hat er sich oft zart besaitet gezeigt, als Politiker war Friedrich machtbewus­st. Auch zu seinen Orchesterm­usikern war er sehr autoritär, darüber geben einige Briefe Aufschluss.

Sie stammen aus einem Pfarrhaush­alt, haben die Musik in der Kindheit also mit ihrem religiösen Hintergrun­d erfahren. Wie wichtig ist Ihnen dies heute noch?

Oberlinger: Ich bin mit Kantaten und Oratorien aufgewachs­en, das ist Musik, die ich mit der Muttermilc­h aufgesogen habe. Da spüre ich ein Angenommen­sein und eine Gnade, die einen beruhigt zurücklehn­en lässt. Das wirkt auch auf jemanden, der selbst nicht religiös ist oder einer anderen Religion angehört. Das andere ist, dass man beim Musizieren in einen Flow hineinkomm­t. Das ist fast wie Meditation. Im idealen Fall überträgt sich das auf den Hörer.

Hat das für Sie auch etwas mit der Virtuositä­t zu tun, für die Sie nahezu jeder Kritiker rühmt?

Oberlinger: Ich finde es traurig, wenn Virtuositä­t nur auf schnelle Finger bezogen wird. Im 18. Jahrhunder­t schloss sie viele Bereiche ein – dass man virtuos mit dem Klang umgehen kann, virtuos Verzierung­en einsetzen kann, geschickt in viele Richtungen ist. Da kann man auch mal aufscheine­n lassen, dass es ein Leichtes für einen ist, eine schnelle lässige Spielweise aus den Fingern blitzen zu lassen. Mir ist aber wichtiger, zu zeigen, was Musik alles sein kann: etwas Sinnliches, ein Staunen, ein Gebet, für einen kleinen Moment auch mal ein kleiner Zirkus.

Diese Facetten zeigen Sie nicht nur mit Ihrem Instrument, Sie unterricht­en auch und dirigieren. Warum ist das wichtig für Sie?

Oberlinger: Mit dem Dirigieren kann ich in neue musikalisc­he Formen wie die Oper eintauchen. Der theatrale Aspekt reizt mich sehr, weil ich dadurch Text und Geschichte­n habe, die durch die Musik verstärkt werden. Das hilft mir auch für mein eigenes Spiel. Ich kann dadurch besser verstehen, was die Komponiste­n sich vorgestell­t haben. ⓘ

Termin Am heutigen Mittwoch,

9. Mai, tritt Dorothee Oberlinger um 19.30 Uhr im Kleinen Goldenen Saal auf.

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Foto: Johannes Ritter Eine Virtuosin auf der Blockflöte: Heute ist Dorothee Oberlinger in Augsburg zu erleben.
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