„Das sind Momente, die vergisst man nicht“
Helmut Sporer leitet das Kommissariat für besonders brutale Delikte: Mord, Totschlag, Vergewaltigung. Der Ermittler erzählt, was sich in den letzten Jahren verändert hat – und welche Fälle ihn nicht mehr loslassen
Herr Sporer, gibt es einen Fall aus den letzten Jahren, der Sie besonders beschäftigt hat?
Helmut Sporer: Da gibt es einige Fälle. Vielleicht zwei Beispiele: Der Fall des Kinderarztes Harry S. mit den Sexualstraftaten zum Nachteil vieler Kinder hat unseren dienstlichen Alltag total gesprengt. Eine Frage war auch: Wie kann so ein Mann so lange unerkannt agieren? Wir wussten, der Täter muss gut mit Kindern umgehen können, so wie er sich verhalten hat. Und irgendwann war klar, wieso er das konnte. Daneben fällt mir der Doppelmord in Hirblingen ein; der Tag, als wir die Leichen der Frauen ausgegraben haben. Es war kalt, die Kollegen fingen an zu graben. Und wir wussten ja nicht, sind wir wirklich am richtigen Platz? Und dann kommt plötzlich ein Körperteil zum Vorschein, das war kaum fassbar. Das sind Momente, die vergisst man nicht. Auf der einen Seite ist man erleichtert, der Klärung eines perfiden Verbrechens ein gutes Stück näher zu sein, auf der anderen Seite ist es manchmal unglaublich brutal.
Dadurch, dass Ihr Kommissariat derart gravierende Delikte bearbeitet, sind Ihre Beamten besonderen Belastungen ausgesetzt. Wie steht man das durch? Sporer: Die Frage wird öfter gestellt. Zunächst: Wir müssen immer einen Spagat bewältigen zwischen der professionellen, nüchternen Ermittlungsarbeit und einer Anteilnahme, die zwangsläufig da ist. Für die Menschen, die zu uns kommen, die Angehörigen, die Geschädigten – für die ist oft das Unglück, die Katastrophe ihres Lebens passiert. Für uns ist es tägliche Arbeit. Die Menschen haben einen Anspruch darauf, dass ihr Anliegen professionell bearbeitet wird, aber auch auf die nötige Empathie. Da legen wir viel Wert drauf.
Aber wie verarbeitet man es, Mordfälle oder schwere Sexualstraftaten zu ermitteln?
Sporer: Natürlich nimmt man manches mit nach Hause. Es gibt eine Reihe von Berufen, die sich mit den Schattenseiten des Lebens beschäftigen. Das muss man sich zutrauen, sonst wäre man gar nicht hier. Man lernt das auch. Was die Verarbeitung angeht: Wir haben eine Reihe von Angeboten, sei es der soziale Dienst der Polizei, seien es Geistliche, die speziell für die Polizei da sind. Wir haben Mediation und Supervision, es gibt Gesprächsmöglichkeiten. Ein Teil der Beamten nimmt das wahr, andere sagen, mir reicht es, wenn wir in der Gruppe noch mal drüber reden. Denen hilft es, wenn sie merken, den anderen geht es auch nahe.
Zuletzt gab es Debatten, ob die Zahl der Messerattacken im Land zunimmt. Ist das hier auch ein Thema?
Sporer: Das Messer ist in unserem Bereich eigentlich schon immer die bevorzugte Tatwaffe, insofern ist es nicht ganz neu. Wobei wir die letzten Jahre eine Steigerung festgestellt haben. Wenn ich sage „wir“, meine ich das Kommissariat 1 – wir bearbeiten Tötungsdelikte, auch gefähr- liche Körperverletzungen der schwereren Art, die am Rande des Tötungsdeliktes sind. 2016 und 2017 hatten wir vergleichsweise mehr Messerattacken.
Dabei sind die Zahlen der Polizeistatistik an sich ja gut. Augsburg ist zuletzt sicherer geworden.
Sporer: Was unser Kommissariat angeht, sind die Zahlen ungefähr gleich geblieben. Wir haben immer um die 10 bis 15 Mordfälle und Totschlagsdelikte pro Jahr, inklusive Versuche. Vollendete Delikte haben abgenommen. Das liegt auch an der hervorragenden medizinischen Versorgung. Es können immer mehr Schwerstverletzte gerettet werden. Die Deliktsstruktur hat sich etwas verändert. Das klassische Familiendrama war die letzten Jahre etwas rückläufig. Aber die Messerstechereien, ich gehe jetzt mal vom Zeitraum ab 2014 aus, haben zugenommen, gerade im öffentlichen Raum. Das hat eine andere Qualität in der Wirkung auf die Leute. Bei der Mehrzahl der Fälle gab es eine Vorbeziehung. Trotzdem kann man das Gefühl haben, es könnte jeder Opfer sein, es ist jeder gefährdet. Darum wirkt es in der Bevölkerung anders.
Wenn Sie vom Zeitraum ab 2014 sprechen: Welche Rolle spielt der Zuzug von Flüchtlingen für Ihre Arbeit? Sporer: Er spielt eine Rolle, das zeigt die Statistik. Bei Tötungsdelikten ist laut veröffentlichter Kriminalstatistik in Bayern etwa jeder fünfte Tatverdächtige ein Zuwanderer, der Anteil nichtdeutscher Tatverdächtiger bei Tötungsdelikten lag in Bayern 2017 bei 43,6 Prozent. In Augsburg hatten wir bislang bei gefährlichen Körperverletzungen mit Messer einen Anstieg zu verzeichnen. Man braucht oft einen Dolmetscher, der Sachverhalt ist schwieriger zu ermitteln, die Sprachbarriere und die kulturellen Unterschiede machen die Arbeit nicht einfacher.
Für welche Aufgaben ist Ihr Kommissariat noch zuständig?
Scorer: Wir haben vier Abteilungen. Neben der Mordkommission kümmern wir uns um Brandstiftungen, Waffen, Sexualdelikte sowie Milieukriminalität,
„Das Messer ist schon immer die bevorzugte Tatwaffe.“
da geht es um Menschenhandel und Prostitution.
Themen, die auf besonders großes öffentliches Interesse stoßen. Überfallartige Vergewaltigungen etwa sorgen bei vielen für Angst. Pro Jahr gibt es bei uns nur wenige solcher Fälle.
Sporer: Das Gros der Sexualstraftaten spielt sich im sozialen Nahbereich ab. Aber jede überfallartige Vergewaltigung bleibt bei der Bevölkerung besonders im Gedächtnis haften. Denken Sie an die versuchte Vergewaltigung letztes Jahr in der Berliner Allee. Wir beobachten eine deutliche Zunahme an Anzeigen von Sexualdelikten – das liegt auch am neuen Strafrecht mit dessen Kerngedanken „Nein heißt Nein“. Zumindest die sexuellen Belästigungen, etwa das Begrapschen, können nun besser verfolgt werden als früher. Es gibt, anders als früher, auch vermehrt Sexualdelikte mit Prostituierten als Opfer. Hier sind Zuwanderer als Tatverdächtige überproportional vertreten.