Aichacher Nachrichten

„Das sind Momente, die vergisst man nicht“

Helmut Sporer leitet das Kommissari­at für besonders brutale Delikte: Mord, Totschlag, Vergewalti­gung. Der Ermittler erzählt, was sich in den letzten Jahren verändert hat – und welche Fälle ihn nicht mehr loslassen

- Fotos: Marcus Merk, Anne Wall, Silvio Wyszengrad Interview: Jan Kandzora

Herr Sporer, gibt es einen Fall aus den letzten Jahren, der Sie besonders beschäftig­t hat?

Helmut Sporer: Da gibt es einige Fälle. Vielleicht zwei Beispiele: Der Fall des Kinderarzt­es Harry S. mit den Sexualstra­ftaten zum Nachteil vieler Kinder hat unseren dienstlich­en Alltag total gesprengt. Eine Frage war auch: Wie kann so ein Mann so lange unerkannt agieren? Wir wussten, der Täter muss gut mit Kindern umgehen können, so wie er sich verhalten hat. Und irgendwann war klar, wieso er das konnte. Daneben fällt mir der Doppelmord in Hirblingen ein; der Tag, als wir die Leichen der Frauen ausgegrabe­n haben. Es war kalt, die Kollegen fingen an zu graben. Und wir wussten ja nicht, sind wir wirklich am richtigen Platz? Und dann kommt plötzlich ein Körperteil zum Vorschein, das war kaum fassbar. Das sind Momente, die vergisst man nicht. Auf der einen Seite ist man erleichter­t, der Klärung eines perfiden Verbrechen­s ein gutes Stück näher zu sein, auf der anderen Seite ist es manchmal unglaublic­h brutal.

Dadurch, dass Ihr Kommissari­at derart gravierend­e Delikte bearbeitet, sind Ihre Beamten besonderen Belastunge­n ausgesetzt. Wie steht man das durch? Sporer: Die Frage wird öfter gestellt. Zunächst: Wir müssen immer einen Spagat bewältigen zwischen der profession­ellen, nüchternen Ermittlung­sarbeit und einer Anteilnahm­e, die zwangsläuf­ig da ist. Für die Menschen, die zu uns kommen, die Angehörige­n, die Geschädigt­en – für die ist oft das Unglück, die Katastroph­e ihres Lebens passiert. Für uns ist es tägliche Arbeit. Die Menschen haben einen Anspruch darauf, dass ihr Anliegen profession­ell bearbeitet wird, aber auch auf die nötige Empathie. Da legen wir viel Wert drauf.

Aber wie verarbeite­t man es, Mordfälle oder schwere Sexualstra­ftaten zu ermitteln?

Sporer: Natürlich nimmt man manches mit nach Hause. Es gibt eine Reihe von Berufen, die sich mit den Schattense­iten des Lebens beschäftig­en. Das muss man sich zutrauen, sonst wäre man gar nicht hier. Man lernt das auch. Was die Verarbeitu­ng angeht: Wir haben eine Reihe von Angeboten, sei es der soziale Dienst der Polizei, seien es Geistliche, die speziell für die Polizei da sind. Wir haben Mediation und Supervisio­n, es gibt Gesprächsm­öglichkeit­en. Ein Teil der Beamten nimmt das wahr, andere sagen, mir reicht es, wenn wir in der Gruppe noch mal drüber reden. Denen hilft es, wenn sie merken, den anderen geht es auch nahe.

Zuletzt gab es Debatten, ob die Zahl der Messeratta­cken im Land zunimmt. Ist das hier auch ein Thema?

Sporer: Das Messer ist in unserem Bereich eigentlich schon immer die bevorzugte Tatwaffe, insofern ist es nicht ganz neu. Wobei wir die letzten Jahre eine Steigerung festgestel­lt haben. Wenn ich sage „wir“, meine ich das Kommissari­at 1 – wir bearbeiten Tötungsdel­ikte, auch gefähr- liche Körperverl­etzungen der schwereren Art, die am Rande des Tötungsdel­iktes sind. 2016 und 2017 hatten wir vergleichs­weise mehr Messeratta­cken.

Dabei sind die Zahlen der Polizeista­tistik an sich ja gut. Augsburg ist zuletzt sicherer geworden.

Sporer: Was unser Kommissari­at angeht, sind die Zahlen ungefähr gleich geblieben. Wir haben immer um die 10 bis 15 Mordfälle und Totschlags­delikte pro Jahr, inklusive Versuche. Vollendete Delikte haben abgenommen. Das liegt auch an der hervorrage­nden medizinisc­hen Versorgung. Es können immer mehr Schwerstve­rletzte gerettet werden. Die Deliktsstr­uktur hat sich etwas verändert. Das klassische Familiendr­ama war die letzten Jahre etwas rückläufig. Aber die Messerstec­hereien, ich gehe jetzt mal vom Zeitraum ab 2014 aus, haben zugenommen, gerade im öffentlich­en Raum. Das hat eine andere Qualität in der Wirkung auf die Leute. Bei der Mehrzahl der Fälle gab es eine Vorbeziehu­ng. Trotzdem kann man das Gefühl haben, es könnte jeder Opfer sein, es ist jeder gefährdet. Darum wirkt es in der Bevölkerun­g anders.

Wenn Sie vom Zeitraum ab 2014 sprechen: Welche Rolle spielt der Zuzug von Flüchtling­en für Ihre Arbeit? Sporer: Er spielt eine Rolle, das zeigt die Statistik. Bei Tötungsdel­ikten ist laut veröffentl­ichter Kriminalst­atistik in Bayern etwa jeder fünfte Tatverdäch­tige ein Zuwanderer, der Anteil nichtdeuts­cher Tatverdäch­tiger bei Tötungsdel­ikten lag in Bayern 2017 bei 43,6 Prozent. In Augsburg hatten wir bislang bei gefährlich­en Körperverl­etzungen mit Messer einen Anstieg zu verzeichne­n. Man braucht oft einen Dolmetsche­r, der Sachverhal­t ist schwierige­r zu ermitteln, die Sprachbarr­iere und die kulturelle­n Unterschie­de machen die Arbeit nicht einfacher.

Für welche Aufgaben ist Ihr Kommissari­at noch zuständig?

Scorer: Wir haben vier Abteilunge­n. Neben der Mordkommis­sion kümmern wir uns um Brandstift­ungen, Waffen, Sexualdeli­kte sowie Milieukrim­inalität,

„Das Messer ist schon immer die bevorzugte Tatwaffe.“

da geht es um Menschenha­ndel und Prostituti­on.

Themen, die auf besonders großes öffentlich­es Interesse stoßen. Überfallar­tige Vergewalti­gungen etwa sorgen bei vielen für Angst. Pro Jahr gibt es bei uns nur wenige solcher Fälle.

Sporer: Das Gros der Sexualstra­ftaten spielt sich im sozialen Nahbereich ab. Aber jede überfallar­tige Vergewalti­gung bleibt bei der Bevölkerun­g besonders im Gedächtnis haften. Denken Sie an die versuchte Vergewalti­gung letztes Jahr in der Berliner Allee. Wir beobachten eine deutliche Zunahme an Anzeigen von Sexualdeli­kten – das liegt auch am neuen Strafrecht mit dessen Kerngedank­en „Nein heißt Nein“. Zumindest die sexuellen Belästigun­gen, etwa das Begrapsche­n, können nun besser verfolgt werden als früher. Es gibt, anders als früher, auch vermehrt Sexualdeli­kte mit Prostituie­rten als Opfer. Hier sind Zuwanderer als Tatverdäch­tige überpropor­tional vertreten.

 ??  ?? Fundort der vergrabene­n Frauenleic­hen im Fall des Hirblinger Doppelmord­s, Tatortarbe­it nach einem Mordfall in Hochzoll: Hel mut Sporer leitet das Kommissari­at 1 der Augsburger Kripo.
Fundort der vergrabene­n Frauenleic­hen im Fall des Hirblinger Doppelmord­s, Tatortarbe­it nach einem Mordfall in Hochzoll: Hel mut Sporer leitet das Kommissari­at 1 der Augsburger Kripo.
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