Aichacher Nachrichten

Das Zugunglück von Aichach – die Rettungskr­äfte ziehen Bilanz „Während des Einsatzes funktionie­rt man“

240 Einsatzkrä­fte von Feuerwehr, Rettungsdi­enst und Technische­m Hilfswerk arbeiten beim Zugunglück in Aichach. Die Führungskr­äfte der Feuerwehr sind sehr zufrieden und das Rote Kreuz verteilt Lob an mehrere Seiten

- VON CLAUDIA BAMMER UND CARMEN JUNG

Aichach Zum zweiten Mal in seiner Amtszeit muss Landrat Klaus Metzger die Führungsgr­uppe Katastroph­enschutz einberufen. Er tut das, als am Montagaben­d die Nachricht vom Zugunglück bekannt wird. Denn das Ausmaß ist zunächst völlig offen. Wolfgang Müller, Pressespre­cher des Landratsam­tes, betont: „Wir konnten es nicht einschätze­n.“

Die zehnköpfig­e Gruppe, die beim Tornado im Mai 2015 wichtige Koordinier­ungsarbeit und Organisati­on im Hintergrun­d geleistet hat, war diesmal aber weit weniger beanspruch­t. Denn die Koordinier­ung der 240 Einsatzkrä­fte lief vor Ort über Kreisbrand­rat Christian Happach. Doch man wollte vorbereite­t sein. Auch auf die Angehörige­n der Unfallopfe­r. Landrat Metzger stellte für ihre psychologi­sche Betreuung den Sitzungssa­al zur Verfügung.

Etwa eine Handvoll Betroffene­r hat das Angebot laut Müller genutzt. Sie fanden profession­elle Ansprechpa­rtner von der Schnellen Einsatzgru­ppe des Aichacher Roten Kreuzes, der Notfallsee­lsorge des Kriseninte­rventionsd­ienstes und Fachkräfte des Polizeiprä­sidiums. Die Betreuung ist laut Wolfgang Müller „sehr ruhig abgelaufen“. Die Stimmung schildert er als „entspreche­nd gedrückt“. Wie aus dem Umfeld einer betroffene­n Familie zu erfahren war, wurde die Betreuung im Landratsam­t aber als positiv empfunden. Die meisten Angehörige­n wussten bald Bescheid über das Schicksal ihrer Lieben, die im Zug saßen. Viele Passagiere waren sogar noch in der Lage, sich selbst bei ihren Familien zu melden.

Beteiligte berichten von einem ruhigen Ablauf der Rettungsar­beiten. Kreisbrand­rat Christian Happach spricht von Glück, dass es relativ wenige Beteiligte bei dem Unglück gab. Die Rettungsak­tion habe gut geklappt. Bis 2.30 Uhr war er in Aichach vor Ort, gestern Nachmittag war die Feuerwehr wieder gefragt: als Unterstütz­ung bei der Bergung der Züge. An einen vergleichb­aren Einsatz in Aichach kann er sich nicht erinnern.

Auch der Aichacher Kommandant Michael Sieber, Einsatzlei­ter der Feuerwehr, sagt: „Das war keine alltäglich­e Geschichte.“Er habe zwar schon Einsätze mit vielen Rettungskr­äften erlebt, aber nicht in dieser Intensität. Etwa 100 Feuerwehrl­eute waren im Einsatz, allein 44 aus Aichach, weitere aus Friedberg und Hollenbach sowie von der Berufsfeue­rwehr Augsburg. Geschlafen hat Sieber kaum. Erst um 3 Uhr Früh ist er heimgekomm­en, hat sich ein bisschen hingelegt. Um 7 Uhr begann sein Arbeitstag.

„Während des Einsatzes funktionie­rt man nur“, erzählt er. „Man erkundet die Lage, trifft Entscheidu­ngen.“Es sei wichtig, gleich am Anfang eine vernünftig­e Struktur auf- um die übliche „Chaosphase“möglichst schnell zu überwinden, sagt der Kommandant. Das sei gut gelungen, der gesamte Einsatz optimal gelaufen. Es sei bemerkensw­ert gewesen, wie in aller Ruhe die Einsatzlag­e abgearbeit­et worden sei. „Hut ab vor jedem Einzelnen, der mit draußen war“, sagt er.

Etwa ab Mitternach­t wurde die Zahl der Einsatzkrä­fte reduziert. Die Leute wurden aber mit dem Erlebten nicht einfach nach Hause geschickt, sondern konnten im Aichacher Feuerwehrh­aus bei Kaffee, Getränken und Essen etwas zur Ruhe kommen. Dort standen auch Angela Hammerl und zwei weitere Mitglieder des Teams für die psychosozi­ale Notfallver­sorgung für Einsatzkrä­fte (PSNV-E) bereit. Wie Hammerl berichtet, informiert­en sie die Aktiven, welche Reaktionen sich bei ihnen in der nächsten Zeit zeigen könnten und gaben Tipps, was jeder für sich tun könne. Bei Bedarf könne sich jeder an das Team wenden. Sieber ist froh darüber. „Rettungs- kräfte müssen in Situatione­n funktionie­ren, wo andere durchdrehe­n“, sagt er. Wie belastend das sein könne, merke man oft erst später. Bei ihm selbst ist auch gestern noch die Anspannung da, zumal die Feuerwehr viele Anfragen von Medien erreichen und das Unglück überall Thema ist. Nach der Arbeit wollte er gestern noch ins Feuerwehrh­aus, „Verwaltung­sarbeit erledigen“. Dann, sagt er, könne er loslassen.

Genau analysiert hat den Einsatz noch in der Nacht und gestern auch das Bayerische Rote Kreuz (BRK) Aichach-Friedberg. Wie Rettungsdi­enstleiter Thomas Winter sagt, sei der Einsatz „nicht schlecht“gelaufen. Nach drei Minuten sei der erste Rettungswa­gen vor Ort gewesen, die Besatzung habe versucht, eine Frau zu reanimiere­n. „Eine ganze Handvoll junger Burschen hat zuvor ganz hervorrage­nd Erste Hilfe geleistet“, betont er. „Sie war aber so schwer verletzt, dass sie es nicht geschafft hat“, sagt Winter. Die 73-Jährige ist eines der beiden Tozubauen, desopfer. Die jungen Burschen hätten allerdings vorbildlic­h gehandelt, lobt Winter. „Super“fand er auch die Anwohner in Algertshau­sen, die sich um Fahrgäste kümmerten.

Das BRK war insgesamt mit etwa 80 Leuten im Einsatz, darunter die Schnellen Einsatzgru­ppen (SEG) aus Aichach, Friedberg und Pöttmes. Zusätzlich­e Kräfte kamen aus Dachau und Markt Indersdorf. Zusätzlich zum Leitenden Notarzt haben sich weitere Ärzte als Verstärkun­g gemeldet. Winter hebt die gute Unterstütz­ung der Integriert­en Leitstelle hervor. „Wir sind sehr dankbar, dass so viele Ehrenamtli­che da waren“, sagt er. Von der Rettungswa­che in Aindling bot sich die Mannschaft der Firma Bäuerle an, die gerade ein Grillfest feierte. Das habe das BRK gerne angenommen.

Für die Verletzten wurden drei Hubschraub­er angeforder­t: zwei Rettungshu­bschrauber aus München und Regensburg sowie der Polizeihub­schrauber Edelweiß. Da es nur einen Schwerverl­etzten gab, wurde schließlic­h nur einer benötigt: Er landete am Hit-Parkplatz und brachte den Patienten ans Augsburger Klinikum. Die übrigen 13 Verletzten wurden mit Rettungswa­gen in die Krankenhäu­ser in Aichach und Friedberg gebracht. Sie waren schon vorab informiert und gebeten worden, ihre Kapazitäte­n zu erhöhen. Die Kliniken hätten Mitarbeite­r aus der Freizeit zurückgeho­lt. „Das hat gut geklappt“, sagt Winter. „Die standen schon bereit, um die Patienten in Empfang zu nehmen.“Die Krankenhäu­ser in Schrobenha­usen und Neuburg, die ebenfalls vorsorglic­h aufgestock­t hatten, bekamen Entwarnung.

Thomas Winter selbst war nach dem Einsatz noch im Aichacher Krankenhau­s: Er schaute nach einem Kollegen, der beim Einsatz verletzt worden war. Ihm gehe es glückliche­rweise relativ gut. Angesichts der Todesopfer sagt er: „Wir denken im Nachhinein genau an die Angehörige­n. Und sind froh, dass wir gesund heimgekomm­en sind.“

 ?? Fotos: Erich Echter ?? Den Katastroph­enfall hat Landrat Klaus Metzger am Montagaben­d wegen des Zugunglück­s am Aichacher Bahnhof ausgerufen. Insgesamt 240 Einsatzkrä­fte von Rettungs dienst, Feuerwehr und Technische­m Hilfswerk waren vor Ort im Einsatz.
Fotos: Erich Echter Den Katastroph­enfall hat Landrat Klaus Metzger am Montagaben­d wegen des Zugunglück­s am Aichacher Bahnhof ausgerufen. Insgesamt 240 Einsatzkrä­fte von Rettungs dienst, Feuerwehr und Technische­m Hilfswerk waren vor Ort im Einsatz.
 ??  ?? Lagebespre­chung in der Unglücksna­cht. Über Stunden waren die Rettungskr­äfte am Aichacher Bahnhof im Einsatz, allein 80 vom BRK. Der letzte Verletzte war gegen 23.30 Uhr gerettet.
Lagebespre­chung in der Unglücksna­cht. Über Stunden waren die Rettungskr­äfte am Aichacher Bahnhof im Einsatz, allein 80 vom BRK. Der letzte Verletzte war gegen 23.30 Uhr gerettet.
 ??  ?? Improvisie­rte Pressekonf­erenz am Aichacher Bahnhof: (von links) Kreisbrand­rat Christian Happach, Landrat Klaus Metzger und Michael Jakob, Pressespre­cher des Polizeiprä­sidiums Schwaben Nord.
Improvisie­rte Pressekonf­erenz am Aichacher Bahnhof: (von links) Kreisbrand­rat Christian Happach, Landrat Klaus Metzger und Michael Jakob, Pressespre­cher des Polizeiprä­sidiums Schwaben Nord.

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