Aichacher Nachrichten

Notbusse bringen Pendler zur Arbeit

Am Tag nach dem Zugunglück in Aichach ist die Paartalbah­nstrecke zwischen Dasing und Radersdorf gesperrt. Die Fahrgäste steigen in Busse um – darauf sind nicht alle vorbereite­t

- VON MAREIKE KÖNIG UND ULRIKE EICHER (mit schr-/jca)

Aichach Friedberg 8.14 Uhr, Abfahrt Bayerische Regiobahn vom Augsburger Hauptbahnh­of. Das Ziel ist Aichach, so wie immer um diese Uhrzeit. Einzig ein Gleiswechs­el und das Laufband auf den elektronis­chen Anzeigetaf­eln weisen darauf hin, dass an diesem Dienstag auf der Strecke Augsburg-Ingolstadt einiges anders ist.

„So leer habe ich den Zug noch nie gesehen“, saget Thomas Hiemer, der täglich von Augsburg nach Friedberg pendelt. Ein paar Plätze weiter sitzt ein Schüler der Fachobersc­hule Friedberg mit Kopfhörern auf den Ohren. Freunde hatten ihn am Montagaben­d wegen des Zugunglück­s angerufen. „Ich schreibe heute Englisch-Abi. Sie wollten mir Bescheid sagen, falls der Zug ausfällt oder so.“

Am Friedberge­r Bahnhof steht eine Frau, die immer noch nicht fassen kann, was in Aichach passiert ist. Sie fühlt sich den Menschen dort verbunden. Die Friedberge­rin Andrea Schmid runzelt die Stirn. „Ist das der Zug nach Augsburg?“, fragt sie andere Fahrgäste. „Ja“, antworten die im Chor. Sie springt hinein. „Ich muss heute noch nach Frankfurt und hoffe, dass ich meinen Anschluss bekomme.“Rachel Zöpfl steigt aus dem Zug Richtung Augsburg aus. Eigentlich war sie am Morgen aus Friedberg aufgebroch­en wegen eines Termins in Würzburg. Vom Schienener­satzverkeh­r ab Dasing war sie überrascht. Sie habe sich aufgeregt, weil sie realisiert habe, dass sie den Anschluss in Ingolstadt verpassen werde. „Dann hat mir eine Passagieri­n erklärt, was los ist. Ich hatte davon keine Ahnung. Dann habe ich mich auf einmal ganz schlecht gefühlt, mich über so etwas Banales wie einen geplatzten Termin aufzuregen.“

Am Bahnhof Ingolstadt füllt sich derweil der Zug in Richtung Augsburg – gefühlt sind es nicht weniger Reisende und Pendler als sonst um 8.11 Uhr. Auch hier weist nur die elektronis­che Anzeige auf den „Busnotverk­ehr“zwischen Radersdorf und Dasing hin, „wegen Streckensp­errung“. Zwei Passagiere aus Fürth bei Nürnberg, die nach Augs- burg wollen, wundern sich ein wenig. Sie hätten zwar im Radio vom Zugunglück gehört und sich gedacht, dass die Strecke gesperrt sei. Weder am Info-Schalter der Deutschen Bahn in Fürth noch im ICE in Richtung Ingolstadt hätten sie dazu aber etwas herausfind­en können: „Es hieß nur, man weiß nichts. Und im ICE hat man uns sogar noch gesagt, dass der Anschlussz­ug nach Augsburg erreicht wird, sonst nichts“, sagt der Mann.

Kurz vor Radersdorf kommt die Durchsage. Für alle heißt es nun: aussteigen. Die Menschen nehmen das gelassen hin. Zwei Busse stehen am Bahnhof bereit, es ist genügend Platz für alle da. Etwa 30 Minuten länger dauert die Fahrt an diesem Tag von Ingolstadt bis nach Augsburg, weiß eine 38-Jährige, die hier täglich pendelt. Sie hat beim Einsteigen den Zugbegleit­er gefragt.

Eine junge Pendlerin aus Schrobenha­usen setzt sich in die hinterste Reihe, sie ist nachdenkli­ch: „Ich fahre jeden Tag mit diesem Zug. Ich hätte da genauso drin sitzen können.“Sie schüttelt den Kopf, so als könne sie es noch nicht recht fassen. Über Oberbernba­ch fahren die Busse nach Aichach. Im neuen Kreisverke­hr an der Bahnunterf­ührung verpasst der vordere der beiden die richtige Ausfahrt und muss sich plötzlich durch die engen Wohnstraße­n in Algertshau­sen schlängeln. „Der hat sich doch verfahren“, sagt die junge Pendlerin erstaunt. Das Navigation­sgerät lotst den Busfahrer zurück in Richtung Bahnhof. Dort können die ersten Fahrgäste aussteigen, nur 15 Minuten später als sonst.

Für die anderen geht die Fahrt im Schienener­satzverkeh­r weiter, bis nach Dasing. Erst dort können sie wieder in die Paartalbah­n einsteigen. Tobias Engelschal­k ist einer der vielen, die an diesem Tag in Aichach auf den Bus warten. Er muss nach Augsburg zur Arbeit. Sorge um sich selbst macht er sich nicht. Eine vollständi­ge Sicherheit gebe es im Leben nie, findet er, und das Unglück zeige, wie schnell das Leben vorbei sein könne. „Man ist betroffen. Mir tun die Menschen total leid“, sagt Engelschal­k. Aufregen, dass der Zug nicht kommt, kann er sich da nicht.

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Fotos: Erich Echter (3), Ulrike Eicher (2), Christoph Lotter (1), Mareike König (1), Karl Josef Hildenbran­d/dpa Der Tag nach dem Unglück: „Kein Zugverkehr!“steht auf einem Zettel am Bahnsteig des Bahnhofes.
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Der Aichacher Bahnhof ist leer: Nur das Café war gestern in Betrieb – das Fahrdienst­leiterbüro war ge schlossen.
 ??  ?? Fernsehtea­ms und Journalist­en beobachten tagsüber die Geschehnis­se am Unfallort. Hier starten die Auf räumarbeit­en mit der Einfahrt des roten Hilfszuges.
Fernsehtea­ms und Journalist­en beobachten tagsüber die Geschehnis­se am Unfallort. Hier starten die Auf räumarbeit­en mit der Einfahrt des roten Hilfszuges.
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Endstation Dasing: Einiges los war auch am Dasinger Bahnhof. Hier endete die Paar talbahn aus Augsburg. Die Passagiere mussten in Busse umsteigen.
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Als Schienener­satzverkeh­r fuhren zwischen Radersdorf und Dasing Busse und Taxis. Am Morgen erwarteten zwei Busse die Fahrgäste am Bahnhof in Radersdorf.
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Landrat Klaus Metzger ordnete gestern für zwei Tage Trauerbefl­aggung am Landratsam­t an.
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Die Anzeigenta­fel wies in Ingolstadt auf die Streckensp­errung hin.

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