Die geballte Macht der Musik
„Freistil“heißt das Festival im Festival. Das Programm ist sensationell – sowohl die Stücke als auch die Interpreten
„In den Fängen der Macht“war das erste der beiden „Freistil“-Konzerte betitelt – „Freistil“, weil hier Sarah Christian und Maximilian Hornung freie Hand bei der Auswahl des Programms und der Beteiligten hatten. Am Freitag wurde das Thema des Mozartfestes nicht spielerisch beleuchtet, hier zeigte die „Macht“die konkret bedrohliche, politische Seite. Und es gibt Musik, die darauf reagiert hat. Augsburgs Stargeigerin Sarah Christian spielte im Kleinen Goldenen Saal mit drei prominenten Kollegen Béla Bartók, Dmitri Schostakowitsch und Olivier Messiaen. „Spielte“ist zu wenig – wie die Künstler diese Schicksalswerke selbst erlebten, dies dem bewegt und gebannt lauschenden Publikum musikalisch mitteilten, dabei brillante Technik mit kompromissloser Leidenschaft und Intuition in den Dienst der künstlerischen Aussage stellten, war sensationell.
„Kontraste“, die Bartók am Beginn seines amerikanischen Exils schuf, lassen die Situation eines Entwurzelten nachempfinden. Fetzen heimatlicher Melodien und Tänze scheinen geschliffen auf im Kraftfeld seiner expressiven Ausdrucksgewalt – kunstfertig, anarchisch. Sarah Christian, der phänomenale Klarinettist Sebastian Manz und Pianist Herbert Schuch zauberten ein Feuerwerk der Kontraste in Farben und Formen. Bartóks Spuk zwischen Sarkasmus, Sinnenlust, Ver- zweiflung scheint gesteigert im 2. Klaviertrio von Schostakowitsch. Was sich zwischen der absurden Einleitung, wenn sich das Cello in fistelnder Höhe und die sonor von unten kommende Geige umspielen, und dem verhauchenden Pianissimo der letzten Takte ereignet, ist durchaus so etwas wie ein klanggewordener Horrortrip. Der in der Stalin-Zeit traumatisch bedrängte Komponist lässt Angst und Trauer, Resignation und Ironie, Sehnsucht und Aggression in teils grotesken Bildern vorbeiziehen. Sarah Christian, Cellist Clemens Hagen und Pianist Schuch entfesselten in den drei Sätzen einen präzis rabiaten wie auch süß delirierenden Albtraum.
Das „Quartett für das Ende der Zeit“von Messiaen, entstanden und uraufgeführt 1941 im Görlitzer Kriegsgefangenenlager, bezieht sich die apokalyptische Offenbarung des Johannes. Und die vier Musiker durchzogen ein mystisch visionäres Panorama, das die Zuhörer soghaft mitnahm. Kristallin glitzernde Farbspiele, atemberaubende, wie aus dem Nichts auftauchende, im Raum schwebende Soli von Klarinette, Geige und Cello, UnisonoWucht, wie von Glocken angeschlagene Klangsäulen, irisierende Tonfolgen – Sarah Christian, Clemens Hagen, Sebastian Manz und Herbert Schuch hinterließen ein gefesseltes Publikum.
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Was von „Freistil“zu erwarten ist, hat sich inzwischen herumgesprochen – kein Wunder also, dass bei Konzert Nummer zwei am Samstag der Kleine Goldene Saal aus allen Nähten platzte und späte Nachfrager abgewiesen werden mussten. Fraglos lag der Andrang auch im Programm begründet, in zwei Werken, denen die ganze „Macht der Musik“(Konzertmotto) innewohnt: Schuberts Oktett und Gustav Mahlers 4. Sinfonie. „Freistil“-Kuratoren Sarah Christian und Cellist Maximilian Hornung musizierten nun gemeinsam, wiederum mit Sebastian Manz sowie – bei Schubert – mit fünf weiteren herausragenden Streichern beziehungsweise Holzbläsern. Acht Solisten-Individualisten, die sich hier zu einem gemeinsam atmenden Klangkörper zusammenfanden, in dem nie der eine vorlaut über den anderen zu kommen versuchte, sondern alle nachtwandlerisch an einer berückenden tönenden Gesamtbalance webten. Alles ist in diesem Oktett, das ebenso wie seine große sinfonische Schwester in C-Dur nicht mit „himmlischen Längen“geizt, war zauberhaft leichthändig artikuliert, in den ganz zurückgenommenen Momenten klang es manchmal wie aus einem Eichendorff’schen Grunde herangeweht. Und doch klang Melancholie untergründig immer mit, ein dunkler Farbton, der maßgeblich den Rang der Interpretation begründete.
Und dann, weitere fünf Musiker traten hinzu, Mahlers Vierte – ja, die Sinfonie mit gerade mal 14 Instrumentalisten. Aufs Blech muss zwar verzichtet werden, doch sonst ist alles vorhanden, ergänzt um Klavier und Harmonium. Wie auf eiauf nem Präsentierteller liegt in der begnadeten Kammermusikfassung des Schönberg-Schülers Erwin Stein die Faktur von Mahlers Sinfonie-Gebäude offen da, und tatsächlich vermisst man das Orchester-Cinemascope auch nicht, zumal das Hochkaräter-Ensemble für die bestehenden Raumverhältnisse hinreichend Druck entfaltete.
Freilich, ohne Dirigent geht’s hier kaum mehr, weshalb Antonello Manacorda vom Pult aus die Fäden zusammenhielt, auf Klarheit selbst noch im Schwelgen bedacht. Präzise waren die musikalischen Charaktere herausgearbeitet, der heitere Kinderton zu Beginn des ersten Satzes, das Kippen dieser unbelasteten Stimmung in der Durchführung, die grelle Memento-mori-Fratzenhaftigkeit des zweiten Satzes. Im Adagio, das auch als Streichquintett ans Herz rührt – sonnenwarm Hornungs Cello-Kantilene –, ein dramaturgisch glänzender Kniff: Sophia Burgos, Sopranistin des Finalsatzes, tritt schon hier beim FortissimoAusbruch aus der Tür und auf die Bühne (wo die Musik das Triolenmotiv der finalen „himmlischen Freuden“auch schon erstmals intoniert). Wunderbar „englisch“, im Ton unschuldigen Staunens dann ihr Solo, Höhepunkt in einer an Glanzpunkten reichen Aufführung. Enthusiastischer Jubel.