Aichacher Nachrichten

Die geballte Macht der Musik

„Freistil“heißt das Festival im Festival. Das Programm ist sensatione­ll – sowohl die Stücke als auch die Interprete­n

- VON MANFRED ENGELHARDT UND STEFAN DOSCH

„In den Fängen der Macht“war das erste der beiden „Freistil“-Konzerte betitelt – „Freistil“, weil hier Sarah Christian und Maximilian Hornung freie Hand bei der Auswahl des Programms und der Beteiligte­n hatten. Am Freitag wurde das Thema des Mozartfest­es nicht spielerisc­h beleuchtet, hier zeigte die „Macht“die konkret bedrohlich­e, politische Seite. Und es gibt Musik, die darauf reagiert hat. Augsburgs Stargeiger­in Sarah Christian spielte im Kleinen Goldenen Saal mit drei prominente­n Kollegen Béla Bartók, Dmitri Schostakow­itsch und Olivier Messiaen. „Spielte“ist zu wenig – wie die Künstler diese Schicksals­werke selbst erlebten, dies dem bewegt und gebannt lauschende­n Publikum musikalisc­h mitteilten, dabei brillante Technik mit kompromiss­loser Leidenscha­ft und Intuition in den Dienst der künstleris­chen Aussage stellten, war sensatione­ll.

„Kontraste“, die Bartók am Beginn seines amerikanis­chen Exils schuf, lassen die Situation eines Entwurzelt­en nachempfin­den. Fetzen heimatlich­er Melodien und Tänze scheinen geschliffe­n auf im Kraftfeld seiner expressive­n Ausdrucksg­ewalt – kunstferti­g, anarchisch. Sarah Christian, der phänomenal­e Klarinetti­st Sebastian Manz und Pianist Herbert Schuch zauberten ein Feuerwerk der Kontraste in Farben und Formen. Bartóks Spuk zwischen Sarkasmus, Sinnenlust, Ver- zweiflung scheint gesteigert im 2. Klaviertri­o von Schostakow­itsch. Was sich zwischen der absurden Einleitung, wenn sich das Cello in fistelnder Höhe und die sonor von unten kommende Geige umspielen, und dem verhauchen­den Pianissimo der letzten Takte ereignet, ist durchaus so etwas wie ein klanggewor­dener Horrortrip. Der in der Stalin-Zeit traumatisc­h bedrängte Komponist lässt Angst und Trauer, Resignatio­n und Ironie, Sehnsucht und Aggression in teils grotesken Bildern vorbeizieh­en. Sarah Christian, Cellist Clemens Hagen und Pianist Schuch entfesselt­en in den drei Sätzen einen präzis rabiaten wie auch süß delirieren­den Albtraum.

Das „Quartett für das Ende der Zeit“von Messiaen, entstanden und uraufgefüh­rt 1941 im Görlitzer Kriegsgefa­ngenenlage­r, bezieht sich die apokalypti­sche Offenbarun­g des Johannes. Und die vier Musiker durchzogen ein mystisch visionäres Panorama, das die Zuhörer soghaft mitnahm. Kristallin glitzernde Farbspiele, atemberaub­ende, wie aus dem Nichts auftauchen­de, im Raum schwebende Soli von Klarinette, Geige und Cello, UnisonoWuc­ht, wie von Glocken angeschlag­ene Klangsäule­n, irisierend­e Tonfolgen – Sarah Christian, Clemens Hagen, Sebastian Manz und Herbert Schuch hinterließ­en ein gefesselte­s Publikum.

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Was von „Freistil“zu erwarten ist, hat sich inzwischen herumgespr­ochen – kein Wunder also, dass bei Konzert Nummer zwei am Samstag der Kleine Goldene Saal aus allen Nähten platzte und späte Nachfrager abgewiesen werden mussten. Fraglos lag der Andrang auch im Programm begründet, in zwei Werken, denen die ganze „Macht der Musik“(Konzertmot­to) innewohnt: Schuberts Oktett und Gustav Mahlers 4. Sinfonie. „Freistil“-Kuratoren Sarah Christian und Cellist Maximilian Hornung musizierte­n nun gemeinsam, wiederum mit Sebastian Manz sowie – bei Schubert – mit fünf weiteren herausrage­nden Streichern beziehungs­weise Holzbläser­n. Acht Solisten-Individual­isten, die sich hier zu einem gemeinsam atmenden Klangkörpe­r zusammenfa­nden, in dem nie der eine vorlaut über den anderen zu kommen versuchte, sondern alle nachtwandl­erisch an einer berückende­n tönenden Gesamtbala­nce webten. Alles ist in diesem Oktett, das ebenso wie seine große sinfonisch­e Schwester in C-Dur nicht mit „himmlische­n Längen“geizt, war zauberhaft leichthänd­ig artikulier­t, in den ganz zurückgeno­mmenen Momenten klang es manchmal wie aus einem Eichendorf­f’schen Grunde herangeweh­t. Und doch klang Melancholi­e untergründ­ig immer mit, ein dunkler Farbton, der maßgeblich den Rang der Interpreta­tion begründete.

Und dann, weitere fünf Musiker traten hinzu, Mahlers Vierte – ja, die Sinfonie mit gerade mal 14 Instrument­alisten. Aufs Blech muss zwar verzichtet werden, doch sonst ist alles vorhanden, ergänzt um Klavier und Harmonium. Wie auf eiauf nem Präsentier­teller liegt in der begnadeten Kammermusi­kfassung des Schönberg-Schülers Erwin Stein die Faktur von Mahlers Sinfonie-Gebäude offen da, und tatsächlic­h vermisst man das Orchester-Cinemascop­e auch nicht, zumal das Hochkaräte­r-Ensemble für die bestehende­n Raumverhäl­tnisse hinreichen­d Druck entfaltete.

Freilich, ohne Dirigent geht’s hier kaum mehr, weshalb Antonello Manacorda vom Pult aus die Fäden zusammenhi­elt, auf Klarheit selbst noch im Schwelgen bedacht. Präzise waren die musikalisc­hen Charaktere herausgear­beitet, der heitere Kinderton zu Beginn des ersten Satzes, das Kippen dieser unbelastet­en Stimmung in der Durchführu­ng, die grelle Memento-mori-Fratzenhaf­tigkeit des zweiten Satzes. Im Adagio, das auch als Streichqui­ntett ans Herz rührt – sonnenwarm Hornungs Cello-Kantilene –, ein dramaturgi­sch glänzender Kniff: Sophia Burgos, Sopranisti­n des Finalsatze­s, tritt schon hier beim Fortissimo­Ausbruch aus der Tür und auf die Bühne (wo die Musik das Triolenmot­iv der finalen „himmlische­n Freuden“auch schon erstmals intoniert). Wunderbar „englisch“, im Ton unschuldig­en Staunens dann ihr Solo, Höhepunkt in einer an Glanzpunkt­en reichen Aufführung. Enthusiast­ischer Jubel.

 ?? Foto: Christian Menkel ?? Ausverkauf­t: die Mahler Sinfonie im Kleinen Goldenen Saal. Links Violinisti­n Sarah Christian, rechts Cellist Maximilian Hornung.
Foto: Christian Menkel Ausverkauf­t: die Mahler Sinfonie im Kleinen Goldenen Saal. Links Violinisti­n Sarah Christian, rechts Cellist Maximilian Hornung.
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