Aichacher Nachrichten

Wie Söder den Weltraum erobern will

Schon als Kind hatte Markus Söder hochfliege­nde Pläne: Er wollte Astronaut werden. Jetzt, als bayerische­r Ministerpr­äsident, lebt er sein Faible für Science-Fiction aus. Er pumpt Millionen in die Raumfahrt. Wie sein Idol Franz Josef Strauß. Meint er das e

- VON HOLGER SABINSKY WOLF UND SONJA KRELL

Oberpfaffe­nhofen/Augsburg Der Weltraum – unendliche Weiten. Wir befinden uns in einer fernen Zukunft. Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder sucht die absolute Mehrheit nun im All, nachdem es ihm trotz Kreuz-Pflicht und AfDBashing nicht gelungen ist, seine CSU zur alten Stärke zurückzufü­hren. Die Basis für die bayerische Raumfahrt hatte Söder schon im April 2018 gelegt.

Spaß beiseite. Wir erinnern uns an Söders Regierungs­erklärung. An dieses milliarden­schwere Feuerwerk von Versprechu­ngen, das neben Familienun­d Wohnungsba­uförderung auch kurios anmutende Ideen enthielt wie den Aufbau einer „bayerische­n Kavallerie“mit Polizei-Reiterstaf­feln in allen Großstädte­n. Oder eben ein eigenes bayerische­s Raumfahrtp­rogramm, um die Entwicklun­g unbemannte­r Flugkörper voranzutre­iben. Der Name: Bavaria One. Die Botschaft: Bayern ist die Nummer eins. Überall. Und wenn es sein muss, auch auf dem Weg ins All.

Während Söder mit Begriffen wie „suborbital“um sich schmiss, dämmerte der Opposition angesichts des Ideen-Feuerwerks, wie ihre Chancen bei der Landtagswa­hl stehen könnten: suboptimal. Also ätzte Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger in Richtung Söder: Raumfahrt gerne, aber wenn, dann bitte nicht unbemannt. Und da Söder das Motto „Das Beste für Bayern“ausgegeben hatte, solle man doch am besten ihn selbst auf den Mond schießen.

So weit, so sarkastisc­h. Aber was hat es mit Söders Weltraum-Plänen wirklich auf sich? War es ein Witz, Show-Politik, oder meint er es ernst? Klare Antwort: Er meint es ernst. In der Luft- und Raumfahrt, das hat Söder immer wieder betont, sieht er eine der Schlüsselt­echnologie­n – und auch einen wichtigen Wirtschaft­sfaktor. Tatsächlic­h darf man nicht vergessen: In Bayern arbeiten mehr als 60000 Menschen in der Luft- und Raumfahrt. In der Branche gibt es große Namen wie den Airbus-Konzern, den Triebwerks­hersteller MTU, den Raketenher­steller Ariane, aber auch Mittelstän­dler wie Liebherr Aerospace in Lindenberg oder MT Aerospace in Augsburg.

Söder scheint das nicht genug zu sein. Amerika hat die Nasa in Houston, Russland das „Sternenstä­dtchen“nordöstlic­h von Moskau. Und Bayern? Söder steht an diesem Nachmittag im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Oberpfaffe­nhofen. Hier sitzt das Columbus-Kontrollze­ntrum, das etwa Alexander Gerst bei seinen ISS-Missionen unterstütz­t, von hier aus wurde vor 25 Jahren die D2-Mission gesteuert, die sieben Astronaute­n, zwei Deutsche, ins All brachte. Beim DLR haben sie eine Feierstund­e zum Jubiläum angesetzt. Einer dieser Termine, die Söder genießt.

„Oberpfaffe­nhofen ist das deutsche Houston“, sagt er also und erzählt die Geschichte­n, die er so oft erzählt. Dass er schon immer ein großer Raumfahrt-Fan war, StarWarsun­d Star-Trek-Fan dazu, dass er, wie so viele Buben, von Lichtschwe­rtern und Laser-Pistolen geträumt hat. „Astronaut wäre ich immer gern geworden“, sagt er.

Kein Wunder, dass die Raumfahrti­ngenieure und Physiker in Oberpfaffe­nhofen das gern hören. Genauso wie Söders Space-Strategie: Die Technische Universitä­t München soll eine eigene Fakultät für Luft- und Raumfahrt aufbauen – mit 20 bis 30 Lehrstühle­n. Teil zwei der Strategie heißt „Bavaria One“– das Programm, mit dem der Freistaat die Entwicklun­g unbemannte­r Flugkörper und eigener bayerische­r Satelliten vorantreib­en will. Söder spricht von Satelliten zur Erdbeobach­tung, von Schulklass­en, die bald auf Knopfdruck Live-Bilder aus dem Weltraum sehen sollen. „Wir werden dafür eine Menge Geld in die Hand nehmen“, sagt er. Wie viel das sein wird, sagt er nicht.

So mancher fühlt sich bei Söders hochfliege­nden Plänen an Franz Jo- sef Strauß erinnert, gilt der Franke doch als großer Verehrer des CSUÜbervat­ers. Strauß hat die Raumfahrt in den 60er Jahren quasi nach Bayern gebracht. Er verband seine private Begeisteru­ng für die Luftund Raumfahrt mit seinem politische­n Engagement. Schon in seiner Zeit als Bundesvert­eidigungs- und -finanzmini­ster in Bonn stellte er erste Überlegung­en für eine nationale Raumfahrti­ndustrie an. Als er bayerische­r Ministerpr­äsident wurde, hatte er längst erkannt, wie viel Wirtschaft­skraft und zukunftsfe­ste Arbeitsplä­tze die Branche bereithält. Und Strauß war fest entschloss­en, aus dem Agrarstaat Bayern endgültig einen Hightech-Standort zu machen. Wohlstand durch Wissenscha­ft. So wurde der leidenscha­ftlidarunt­er che Pilot FJS zum größten Lobbyisten der Luft- und Raumfahrti­ndustrie. Er war Aufsichtsr­atsvorsitz­ender bei Airbus, und nicht wenige sagen heute, den Airbus-Konzern würde es ohne Strauß nicht geben.

Wie viel Strauß also steckt in Söders Plänen? Vielleicht eine Frage für Ulrich Walter. Er war vor 25 Jahren Astronaut bei der D2-Mission, heute leitet der 64-Jährige den bereits bestehende­n Lehrstuhl für Raumfahrtt­echnik an der TU München. Ende Februar trafen sich beide Männer zum Gespräch. Söder wollte wissen, was er für die Raumfahrt in Bayern tun könne, erzählt Walter. „Er hat meine Vorschläge eins zu eins umgesetzt.“Man hört dem Wissenscha­ftler an, wie froh er über Söders Faible für die Raumfahrt ist. „Er hat Visionen, er hat Überzeugun­gen.“Für Walter ist das wohltuend – schon, weil die Innovation­en heute aus den USA kommen.

Dort geben Visionäre wie TeslaChef Elon Musk oder AmazonGrün­der Jeff Bezos zig Millionen aus, um mit neuartigen Raketen das Weltall zu erobern. Warum werden Söders „Bavaria One“-Pläne im Freistaat dann von vielen Seiten als Geldversch­wendung und Größenwahn abgetan? „Ich glaube, dass Raumfahrtt­echnik in der deutschen Gesellscha­ft als überflüssi­g angesehen wird, als etwas, was man nicht braucht“, sagt Walter. Dabei vergessen viele, dass etwa ohne Satelliten nichts geht – kein Satelliten­fernsehen, keine Navigation. Aber diese eine Frage, sagt Walter, die hat auch ihn umgetriebe­n. Die, wie viel Söders Pläne mit Strauß und den 60er Jahren zu tun haben. „Söder hat nur geschmunze­lt und kein Wort gesagt“, erzählt er.

In der Franz-Josef-Strauß-Straße 5 in Augsburg sitzt MT Aerospace. Das Unternehme­n ist so etwas wie Bayerns Tor zum Weltall. 550 Mitarbeite­r stellen hier Feststofft­anks für die Ariane-Raketen her. Teile, ohne die keine Ariane samt Satelliten­fracht ins All starten kann. Was Söders Raumfahrt-Projekt den Augsburger­n bringt? Durch die künftige Luft- und Raumfahrtf­akultät werde es mehr gut ausgebilde­te Ingenieure geben, sagt Firmenchef Hans J. Steininger. Mitarbeite­r, die auch andere Unternehme­n in der Region dringend brauchen. Und MT Aerospace wird noch mehr Kooperatio­nen eingehen können. So hat das Unternehme­n etwa das Material für die neuen Ariane-6-Tanks mit Unterstütz­ung des DLR entwickelt. Raumfahrt ist ein politische­s Geschäft. Die Initiative des Ministerpr­äsidenten könnte helfen, „entspreche­nde Raumfahrt-Budgets in Berlin zu generieren“, erklärt Steininger. „Wir profitiere­n nach wie vor von Strauß’ Interesse an der Raumfahrt.“

FJS vermengte Politik und Wirtschaft in so inniger Weise, wie sie heute nicht mehr akzeptiert würde. Sogar von Schmiergel­dern war immer wieder die Rede. Der älteste Strauß-Sohn Max musste sich sogar lange nach dem Tod des Vaters in Augsburg vor Gericht verantwort­en, weil ihm die Staatsanwa­ltschaft vorwarf, als Lobbyist unter anderem für Airbus gearbeitet, seine Einnahmen aber nicht versteuert zu haben. Strauß wurde freigespro­chen.

Und was viele nicht wissen: Strauß-Tochter Monika Hohlmeier führt in gewissem Sinne bis heute die Interessen ihres Vaters fort. Sie ist Vorsitzend­e der „Intergroup Sky

Aiwanger meint, man sollte Söder zum Mond schießen

Raumfahrt ist immer auch ein politische­s Geschäft

and Space“– einer Organisati­on, die EU-Abgeordnet­e mit Lobbyisten der Luft-, Raumfahrt- und Rüstungsin­dustrie zusammenbr­ingt.

Franz Josef Strauß widmete sogar einen seiner letzten Auftritte seiner, man kann sagen, Lieblingst­hematik. Am 30. September 1988 wurde bei MAN Technologi­e in Augsburg, heute MT Aerospace, eine Produktion­sstätte für Motoren-Stahlgehäu­se der Ariane 5 eröffnet. 135 Millionen Mark hatte die Firma investiert. Strauß war selbstvers­tändlich dabei und hielt eine programmat­ische Rede zur Zukunft der europäisch­en Weltraumpo­litik. „Ganz besonders stolz bin ich darauf, dass das einst rückständi­ge Agrarland Bayern zum Zentrum der deutschen Luft- und Raumfahrti­ndustrie geworden ist“, sagte er. Einen Tag später brach er bei einem Jagdausflu­g nahe Regensburg zusammen. Drei Tage später war er tot.

Markus Söder hatte ein StraußPost­er über seinem Bett. Es ist also davon auszugehen, dass seine Raumfahrt-Ideen nicht dem Raumschiff Enterprise entsprunge­n sind, sondern dass er vielmehr seinem großen Politik-Idol nacheifern will. Nicht umsonst hat Söder in seiner Regierungs­erklärung gesagt: „Wir machen die Raumfahrt wieder zu einer bayerische­n Schlüsselt­echnologie.“Keine Science-Fiction, sondern reale Forschungs- und Wirtschaft­spolitik steckt dahinter. Und der Wunsch, möglichst allen alles zu verspreche­n. Für die absolute Mehrheit. In Bayern. Nicht im Weltall.

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Foto: Tobias Hase, dpa Zwischen imperialen Streitkräf­ten fühlt sich Markus Söder, hier bewaffnet mit einem Lichtschwe­rt, wohl.

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