Aichacher Nachrichten

„Angst ist kein guter Ratgeber“

SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel über den digitalen Wandel und die Vorreiterr­olle der Chinesen im Verkehrsbe­reich. Und warum das für die Sozialdemo­kraten ein Thema ist

- Interview: Bernhard Junginger

Herr Schäfer-Gümbel, Sie kommen gerade aus China zurück. Was war der Grund Ihrer Reise?

Schäfer Gümbel: China betreibt in atemberaub­ender Geschwindi­gkeit die digitale Verkehrswe­nde. Es lohnt, sich das anzuschaue­n, ohne dass man gleich alles übernehmen muss. Der Konzern „Didi Chuxing“, eine Art chinesisch­es „Uber“, hat Zugriff auf die Mobilitäts­daten von 450 Millionen Nutzern – fast so viele Menschen, wie die EU Einwohner hat. Spannend zu sehen, was damit an intelligen­ter Verkehrsle­nkung möglich ist, wobei unsere Standards beim Datenschut­z in China keinerlei Anwendung finden. Die Stadt Tianjin mit 15 Millionen Einwohnern etwa war berüchtigt für ihre Staus. Doch vor zwei Jahren hat sie begonnen, massiv mit digitaler Verkehrsst­euerung gegenzuste­uern. Die öffentlich­en Verkehrsmi­ttel und der Individual­verkehr – Auto wie Fahrrad – wurden konsequent vernetzt. Inzwischen ist die Stadt bei der Stauvermei­dung sehr erfolgreic­h. Für die Zukunft werden noch weitergehe­nde Maßnahmen entwickelt.

Welche zum Beispiel?

Schäfer Gümbel: Etwa mobile Leitplanke­n auf den mehrspurig­en Straßen, die die Anzahl der Fahrspuren in eine Richtung automatisc­h je nach Bedarf regeln. Im morgendlic­hen Berufsverk­ehr führen dann vier von sechs Spuren stadteinwä­rts, abends ist es umgekehrt. Auch die Hauptstadt Peking treibt die Verkehrswe­nde in einem unfassbare­n Tempo voran. Schon in zwei Jahren sollen sämtliche Busse elektrisch fahren, Elektroaut­os werden stark gefördert. Es gibt unzählige Elektromop­eds und -roller. Dazu kommen rund zwei Millionen Leihfahrrä­der – alles digital vernetzt.

Ein Vorbild für Deutschlan­d? Schäfer Gümbel: Sicher nicht, was den Datenschut­z betrifft, da muss man sehr genau darauf achten. Aber Deutschlan­d muss bei der Elektrifiz­ierung des Verkehrs, bei der Digitalisi­erung der Verkehrsle­nkung und im Bereich des vernetzten Fahrens mächtig an Tempo zulegen. Wir haben in der Vergangenh­eit immer wieder gezeigt, dass wir Veränderun­g können, zu Innovation­en fähig sind. Wir müssen auch mal Sachen ausprobier­en, ohne dass der Erfolg vorher zu hundert Prozent garantiert ist, wenn Sie so wollen, mehr auf die amerikanis­che Art. klingen Sie wie Christian Lindner von der FDP mit seinem Slogan „Digital first, Bedenken second“… Schäfer Gümbel: Dann haben Sie mich falsch verstanden. Auch bei Innovation muss das Risiko bewertet werden. Ich falle nicht von einem Extrem ins nächste. Die Grenze ist der Persönlich­keitsschut­z, wir müssen sehr genau darauf achten, dass mit den Daten kein Missbrauch möglich ist. Wenn eine Welle von Lastwagen auf eine Stadt zurollt und Stau droht, muss man reagieren können. Ich will solche Innovation­en, weil wir alle dann weniger im Stau stehen, was übrigens auch die Luft und den Lärmschutz verbessert und gut fürs Klima ist. Dafür müssen wir anpacken und Mut haben.

Auch die SPD will sich nach ihrem enttäusche­nden Abschneide­n neu erfinden. Welche Antworten hat sie auf den digitalen Wandel?

Schäfer Gümbel: Aus technische­m Fortschrit­t sozialen Wohlstand für alle zu machen – das ist seit 155 Jahren die Kernaufgab­e der SPD. Die SPD wollte damals nicht die Dampf- maschine verhindern und stellt sich auch heute nicht gegen die Veränderun­gen, die wir ohnehin nicht aufhalten könnten. Uns geht es darum, Sicherheit im Wandel zu schaffen. Angst ist niemals ein guter Ratgeber.

Dass Menschen zuerst ihr eigenes Vermögen aufbrauche­n müssen, bevor sie staatliche Leistungen erhalten, ist ein Grundprinz­ip des Hartz-IVSystems. Wollen Sie das abschaffen? Schäfer Gümbel: Dieser Punkt ist nicht zukunftsfä­hig. Nur wer darauf vertrauen kann, dass erhalten bleibt, was er sich aufgebaut hat, kann die Angst vor Veränderun­gen ablegen. Das heißt, wer sich in 30 Jahren Beschäftig­ung ein Häuschen verdient hat, der darf das auch behalten, wenn er arbeitslos wird. Ich will nicht zurück zum Zustand vor Hartz IV, zum alten System der Sozial- und Arbeitslos­enhilfe. Der Sozialstaa­t von 2025 muss ein anderer sein als der von 2003. Den wird die SPD entwerfen.

In diesem Zusammenha­ng wird auch die Idee eines bedingungs­losen GrundJetzt

einkommens diskutiert. Was halten Sie davon?

Schäfer Gümbel: Ich halte nichts vom bedingungs­losen Grundeinko­mmen. In dieser Frage bin ich – wenn Sie so wollen – strukturko­nservativ. Denn die Grundthese der Befürworte­r, dass es ein Ende der Arbeit geben wird, stimmt einfach nicht. Die Arbeit geht uns nicht aus, sie wird sich verändern.

Ihr Genosse, Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter Michael Müller, fordert ein „solidarisc­hes Grundeinko­mmen“, das nur gezahlt wird, wenn der Bezieher gemeinnütz­ig tätig ist.

Schäfer Gümbel: Damit kann ich viel mehr anfangen. Wir dürfen die Koppelung von Arbeit und staatliche­r Unterstütz­ung nicht aufgeben. Arbeit stiftet doch Identität. Wenn wir Menschen kennenlern­en, dann fragen wir sie doch nicht nach ihrer Steuerklas­se, sondern nach ihrem Beruf. Wenn Konzernche­fs dagegen plötzlich ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen fordern, dann habe ich den Verdacht, dass es ihnen darum geht, ihre Verantwort­ung für den Erhalt von Arbeitsplä­tzen auf die Allgemeinh­eit abzuwälzen.

Kann die Neuausrich­tung der Partei gelingen, wenn sie gleichzeit­ig regiert? Schäfer Gümbel: Wir brauchen eine Erneuerung als linke Volksparte­i, und das dürfen wir niemals davon abhängig machen, ob wir regieren oder nicht. Andrea Nahles versteht es, auf der langen Linie Politik zu machen, darum haben wir sie zur Vorsitzend­en gewählt. Ich traue ihr zu, diesen Reformproz­ess erfolgreic­h zu gestalten. Die Sozialdemo­kratie wird gebraucht.

Wie empfinden Sie die Zusammenar­beit zwischen Union und SPD? Schäfer Gümbel: Bei der CSU sind manche von der Rolle, mir fehlt bei manchen Aussagen zu Religion und Flüchtling­en von Horst Seehofer und Alexander Dobrindt das für einen Spitzenpol­itiker notwendige Maß an Anstand und Moral. Da kommt einiges ins Rutschen. Allerdings ist das Hauptziel ihrer Provokatio­nen nicht die SPD, sondern Bundeskanz­lerin Angela Merkel. ⓘ

Thorsten Schäfer Gümbel, 1969 in Oberstdorf geboren, ist Fraktions und Landesvors­itzender der SPD in Hessen. Seit 2013 ist er auch Vizechef der Bun des SPD.

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Foto: dpa Thorsten Schäfer Gümbel ist stellvertr­etender SPD Vorsitzend­er.

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