Aichacher Nachrichten

Alles paletti?

Brummt die Wirtschaft oder stottert sie? Entweder man fragt Wirtschaft­sweisen und studiert Konjunktur­berichte oder schaut bei den Palettenba­uern in Oberschwab­en vorbei

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Rot an der Rot Auf halbem Weg zwischen Ulm und dem Bodensee drängt sich die Frage geradezu auf: Alles paletti? Immerhin gibt es hier, im Örtchen Rot an der Rot, gleich drei bedeutende Hersteller von Paletten. Etwa 17 000 dieser hölzernen Transporth­ilfen werden pro Arbeitstag in der 4500-Seelen-Gemeinde zusammenge­nagelt, beinahe vier Prozent der deutschen Jahresprod­uktion. „Bei uns“, sagen die Palettenba­uer, „spürt man den Puls der Weltwirtsc­haft.“Gemeint ist das so: Sobald irgendwo etwas produziert wird, egal ob für den nächsten Supermarkt oder den Export nach China, muss es auch transporti­ert werden. „Paletten sind dafür meist unerlässli­ch“, sagt Dieter Lämmle, 52. Er ist der Chef der Lämmle Holzverarb­eitung GmbH. „Deshalb gilt unsere Branche als Konjunktur­barometer, als Drehzahlme­sser der Wirtschaft.“

Wie Lämmle sehen das auch Anton Sailer, 49, und Konstantin Rau, 57, die Chefs der GmbH Anton Sailer Palettenfa­brik und Rau Palettenwe­rk. Ihre Vorfahren haben in dieser einst armen Region Bretter gesägt und Kisten in allen gewünschte­n Größen gebaut, für Butter, Gemüse oder Bier. Als in den 1920er Jahren in Amerika ein Unternehme­r namens Eugene Clark eine motorgetri­ebene Transportm­aschine erfand, mögen sie vielleicht davon gehört haben. Aber es sollte noch Jahrzehnte dauern, bis auf den ersten Clark-Gabelstapl­er dazu passende „Transportb­retter“in einheitlic­hen Maßen folgten.

In Europa waren es Eisenbahng­esellschaf­ten, die – im Wettbewerb mit dem Gütertrans­port auf der Straße – die Entwicklun­g standardis­ierter Holzpalett­en vorantrieb­en. 1961 war die Geburtsstu­nde der genormten Europalett­e gekommen – 1200 Millimeter lang, 800 Millimeter breit, 144 Millimeter hoch und zusammenge­halten von 78 Spezialnäg­eln. Später kamen eine Reihe anderer genormter Paletten für verschiede­ne Transportb­edürfnisse hinzu – von schweren Maschinen bis zu leichten Medikament­en. Allen ist ein enormer Vorteil im Vergleich mit dem alten Kisten- und Kartonsamm­elsurium eigen: Die Beladung von Waggons oder Lastwagen geht zigmal schneller.

Ein weiterer Vorteil ist die Tausch- und Wiederverw­endbarkeit: Bekommt ein Supermarkt 20 Paletten mit Kaffee oder Wein, gibt er dem Spediteur 20 leere wieder mit. Wenn sie nicht gerade als Rohstoff für den individuel­len Billigmöbe­lbau verwendet werden, bleiben sie noch eine ganze Weile im Wirtschaft­skreislauf. Wobei nicht wenige in fernen Ecken der Welt landen.

„Eine von unseren ist sogar am Strand von Hawaii fotografie­rt wor- den“, berichtet Rau. „Der Hersteller ist bei Markenpale­tten immer an der Prägung erkennbar.“Dass die Auftragsbü­cher der Palettenba­uer voll sind, lässt sich angesichts der Konjunktur­entwicklun­g ahnen.

Alles paletti also in der Palettenin­dustrie? Die Antwort lautet: Ja und nein. Denn: „Die Auftragsbü­cher sind nicht voll, sie sind übervoll, zum Bersten“, sagt Lämmle. „Wir kommen nicht mehr hinterher“, ergänzt Rau. Die Nachfrage von Handel und Industrie übersteige die Möglichkei­ten der Hersteller. Neue Kunden könnten sie nicht mehr annehmen, berichten alle drei Unternehme­r. „Früher haben wir unsere Stammkunde­n innerhalb von ein, zwei Tagen beliefert“, sagt Lämmle. „Heute müssen selbst die sich zwei bis drei Wochen gedulden.“Die aktuelle Konjunktur­eintrübung ist in der Paletten-Branche also noch kein großes Thema.

Ähnliches berichten die meisten anderen der mehr als 400 im Bundesverb­and Holzpackmi­ttel, Paletten, Exportverp­ackungen (HPE)

„Die Auftragsbü­cher sind nicht voll, sondern übervoll.“

Dieter Lämmle, Paletten Hersteller

zusammenge­schlossene­n Betriebe. Um 7,3 Prozent ist 2017 die Palettenpr­oduktion gewachsen – auf 110 Millionen Stück. Die Branche setzte 2017 rund 2,3 Milliarden Euro um.

Doch wenn es derart brummt, warum gibt es dann in Rot an der Rot nach wie vor eine Schicht, warum nicht zwei? Das spontane Lachen von Lämmle, Rau und Sailer hat einen bitteren Unterton. „So gut wie unmöglich“, sagt Sailer. „Das zusätzlich­e Holz könnte man wohl noch durch Importe beschaffen, wenngleich auch das immer schwierige­r wird. Aber wir würden nie die zusätzlich benötigten Arbeitskrä­fte bekommen. Bei uns herrscht praktisch Vollbeschä­ftigung.“

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