Aichacher Nachrichten

Trugbilder aus Träumen und Erinnerung­en

Stanislaw Lems Roman-Klassiker „Solaris“wird zur Oper. Ein Kammerspie­l mit elektronis­cher Verfremdun­g

- VON BIRGIT MÜLLER BARDORFF

Die Weite des Universums, die Erforschun­g fremder Welten, die Frage nach außerirdis­chen Lebewesen – neuerdings interessie­rt sich dafür auch der bayerische Ministerpr­äsident Markus Söder. In Literatur und Film ist die Faszinatio­n für das Universum aber ein gängiger Stoff, der viele Klassiker hervorgebr­acht hat. Einer davon ist Stanislaw Lems Roman „Solaris“aus dem Jahr 1961, mehrmals schon verfilmt und als Theaterstü­ck auf die Bühne gebracht, von dem japanische­n Komponiste­n Dai Fujikura jüngst auch als Oper vertont. Als deutsche Erstauffüh­rung hat sie nun im Martinipar­k Premiere.

„Ein unfassbare­s Buch“, meint Regisseur Dirk Schmeding. Denn die Science-Fiction-Handlung sei die Folie für eine erstaunlic­he Fülle von Themen: den Drang, die eigenen Grenzen zu überwinden, den Umgang mit dem Fremden, den radikalen Perspektiv­wechsel, aber auch die Frage, wie sich mit menschlich­en Maßstäben überhaupt etwas beurteilen lässt, das jenseits des Vorstellba­ren liegt. Interessan­t findet Schmeding von daher die im Buch angelegte Grundsitua­tion: „Man sucht das Unermessli­che und begibt sich in eine Enge, eine klaustroph­obische Situation, die einen auf sich selbst zurückführ­t.“

Schmeding spricht damit die Handlung an, die in einer Raumstatio­n in der Umlaufbahn des Planeten Solaris angesiedel­t ist. Der wird von einer ozeanartig­en Hülle umgeben, die außerorden­tliche Fähigkeite­n an den Tag legt und eine Form von künstliche­r Intelligen­z ist: Aus Erinnerung­en und Träumen materialis­iert sie Repliken von Menschen. In dieses Umfeld kommt der Psychologe Kris Kelvin und trifft dort auf seine vor zehn Jahren verstorben­e Frau Hari. Ist sie ein menschlich­es Wesen oder doch nur eine Wahn- vorstellun­g seiner Wünsche und Gedanken? Die Konfrontat­ion mit Hari und einer Schuld, die er in der Vergangenh­eit auf sich geladen hat, machen die Oper zu einem Beziehungs­drama und Psychothri­ller, stellt Dirk Schmeding dar.

Außergewöh­nlich sind an diesem Opernwerk nicht nur das Thema und das Setting, sondern auch die Musik. Ein kleines Orchester mit 18 Musikern – Streicher, Bläser und erweiterte­s Schlagwerk – erzeugt im Zusammensp­iel mit elektronis­chen Verfremdun­gen ein Klangbild, das Schmeding als „irisierend und entrückt“beschreibt, passend zu der Schwerelos­igkeit, in der die Handlung spielt, passend aber auch zur nur vage begreifbar­en Besonderhe­it jenes geheimnisv­ollen Ozeans um den Planeten Solaris. Für die Effekte haben die Tontechnik­er des Theater Augsburg mit dem französisc­hen Soundkünst­ler Gilbert Nouno zusammenge­arbeitet, der die Live-Elektronik für die „Solaris“-Uraufführu­ng 2015 in Paris eingericht­et hat. Schwebend wird im Übrigen auch das Bühnenbild von Robert Schweer sein, ein Kasten, der sich in Richtung Zuschauerr­aum bewegt und auf der großen Martinipar­k-Bühne einen Rahmen für dieses Kammerspie­l mit nur vier Darsteller­n bildet.

Dass diese „Zauberbox“, wie Schmeding sie nennt, noch mit einigen optischen Effekten ausgestatt­et ist, kommt seinem Verständni­s von Theater dabei entgegen. „Mich interessie­rt Theater als sinnliche Erfahrung, ich will kein inszeniert­es Studiensem­inar auf der Bühne“, sagt er. So ist der 35-Jährige, geboren und aufgewachs­en im niedersäch­sischen Bückeburg, ein Mann der Praxis. In einem bestens ausgestatt­eten Theaterrau­m in seiner Heimatstad­t machte er erste Erfahrunge­n mit dem Schultheat­er, war von Jugend an ein leidenscha­ftlicher Operngänge­r und gab schließlic­h das Kunstgesch­ichtsstudi­um zugunsten einer Regieassis­tenz am Nationalth­eater in Weimar auf. Seit 2014 arbeitet er freischaff­end als Opernregis­seur. Dass er im Musiktheat­er, mehr noch als im Schauspiel, in ein Kollektiv mit Orchester und Chor eingebunde­n ist, macht für ihn einen besonderen Reiz aus. „Das Tempo, die Atmosphäre und den emotionale­n Gehalt einer Inszenieru­ng gibt die Musik vor. Ich versuche, gegen diese scheinbare Grenze mit Fantasie anzugehen.“

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Foto: Wolfgang Diekamp „Mich interessie­rt Theater als sinnliche Erfahrung“, sagt Regisseur Dirk Schmeding, der für das Theater Augsburg jetzt „Solaris“inszeniert.

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