Luthers Gesichter
Der Reformator Martin Luther (1483 bis 1546) war ein Medienstar. Von keinem Menschen seiner Zeit gibt es mehr Bilder. Aber: Wenn Lucas Cranach unter ein Porträt von Luther einst eine Jahreszahl schrieb: War es die Jahreszahl der Werksvollendung? Oder wollte er dem Bildbetrachter sagen „So sah Luther beispielsweise im Jahre 1522“aus?
Um das herauszubekommen, stehen nun die Naturwissenschaftler in Erlangen und an der Technischen Hochschule Köln mit ihren Apparaten bereit. Sie sollen 20 000 Drucke, die Martin Luther darstellen, unter modernste Scanner legen, die das Alter von Holz, Farben, verwendeten Druckplatten und Papier genauestens bestimmen können. Aber sie erkennen auch haargenau die Schemata, die den Abbildungen zugrunde liegen. „Das sind Peanuts für sie“, versichern die Computerfachleute. Und so sollen digitale Mustererkennung und physikalische Analysen Licht in ein kunsthistorisches Durcheinander bringen.
Geklärt werden soll, welches Lutherporträt wann entstanden ist. Die Untersuchungen sollen in einen kritischen Katalog der Lutherbildnisse münden. „In manchem Saal mit Kunst aus der Zeit der frühen Reformation wird es kahl werden“, sagt Projektleiter Anselm Schubert und sieht schon Museumsmitarbeiter weltweit Lutherbildnisse in andere Säle umhängen. Auch manches Standardwerk zu Luther müsse neu bewertet werden. Die Frage, welche Bilder man als Quellen benutzen könne und welche nicht, stelle sich neu. Und: Wann setzte der „evangelische Heiligenkult“um Martin Luther in protestantischen Kirchen ein? Ist das Bild von Luther als Junker Jörg zuvor ein Selbstbildnis von Lucas Cranach gewesen?