Aichacher Nachrichten

Die fünfte Jahreszeit: Modular

Die Besucher genießen bei diesem Jugendfest­ival noch einmal die Idylle im Grünen, hören glänzende Weltmusik, werfen mit Strohhüten und erleben entzückend­en Irrsinn

- VON WOLFGANG SCHÜTZ UND MIRIAM ZISSLER

Zum Abschied aus dem Park gab’s einen nahezu perfekten ModularSam­stag. Besseres bekommt man auf einem Festival dieser Größe wohl nicht so leicht geboten. Das lag natürlich auch am Wetter, das wieder traumhaft war: mit leichter Bewölkung ein Sommergefü­hl ohne zu große Hitze. Das lag aber vor allem am Programm. Um nur mal die Vielfalt anzudeuten und die Höhepunkte zu nennen: freudigen Punk zum Auftakt mit Naked Superhero und Go Go Gazelle; echte Indie-Perlen mit Von Wegen Lisbeth aus Berlin, Talisco aus Bordeaux und Cassia aus Manchester; ein starkes Songwriter-Solo von L. A. Salami mit der witzigsten Ansage mitten im Programm: „Äh, ich bin gleich wieder da, ich muss nur jetzt mal wirklich auf die Toilette“; glänzende Weltmusik aus Tel Aviv mit the Angelcy; und zum Abschluss einen würdigen Festival-Headliner mit der wuchtigen Show von WhoMadeWho. Wobei natürlich peinlich war, dass die Dänen so lange für ihnen Soundcheck gebraucht haben, dass das Konzert eine Viertelstu­nde später anfing und damit auch kürzer bleiben musste. Und eine zweite Peinlichke­it: Der eigentlich heiß erwartete Hip-Hop-Höhepunkt des Samstags, die internatio­nal gefeierten Hamburger Ace Tee & Kwam.e – eine Poser-Show! Aber ganz ohne Schatten würde das viele Licht ja auch nicht so strahlend wirken.

***

Die Bewohner des Hotelturms konnten die Konzerte aus der Ehrenloge verfolgen. Bei WhoMadeWho sorgte ein Anwohner für seine Lichtshow: Rote, grüne und blaue Lichtpunkt­e wechselten sich auf der Decke seines Balkons ab. Den Sound bekam er frei Haus. Ein Nachbar einige Stockwerke weiter oben zündete zu den Liedern der Dänen riesige Wunderkerz­en an, ein anderer Nachbar stand einsam auf dem Balkon. Allein war er nicht – die Musik brachte die Menschen zusammen. Gefeiert wurde aber auf dem Festivalge­lände.

***

Ihren Festtag hatten die Hip-HopFans schon am Freitag erlebt. Da war die größte Bühne, die am Turm, ja den ganzen Tag von Beats in Beschlag. Und nicht nur die Berliner Shake One nachmittag­s und Trettmann zum Abschluss wurden ausgiebig gefeiert – es war auch ein echtes Helden-Heimspiel für Errdeka. Und als Olli Gottwald dann auch noch singend dem Augsburger Rapper assistiert­e, war das fast schon richtig hitverdäch­tig. Der Hit fürs Modular in Sachen Gitarre am Freitag war das Gastspiel von Milliarden. Die punkigen Berliner sind gerade ein heißer Tipp auf den nächsten Durchbruch, wie ihn in den vergangene­n Jahren im Deutschspr­achigen etwa AnnenMayKa­ntereit oder Wanda erlebt haben. Lustigerwe­ise gefeiert wurde aber das Quatschkon­zert der Augsburger Roberto Bianco & die Abbruzanti Boys viel mehr.

***

Und gefeiert werden muss im Nachhinein neben all den Ehrenamtli­chen auch das heimische Theter Ensemble. Die nämlich sorgten auf dem Festivalge­lände immer wieder für herrlich außerirdis­che Begegnunge­n, weil sie in Verkleidun­g der diesjährig­en Maskottche­n mit Wischmopp auf dem Kopf oder Spielzeugs­chubkarre vor dem Gesicht durch die Gegend hoppelten. Entzückend­er Irrsinn.

*** Irdischer und nicht immer entzückend ein Modetrend unter Besuchern: Denn die große Rückkehr der Blumenmust­er vollzieht sich zwar auch auf netten Kleidern und kessen Jumpsuits, ist sogar bei manchem Herrenhemd noch ein Zeichen von Geschmack oder gelungenem Witz – aber spätestens in Kombinatio­n verschiede­ner Muster auf Tasche und Bluse etwa führt das zur Erblindung­sgefahr bei Umstehende­n.

***

Einem geschenkte­n Gaul sieht der Augsburger selten ins Maul: 2017 gab es als Sponsoreng­eschenk grün umrandete Sonnenbril­len, die ein Teil der Besucher wieder mitbrachte, aufsetzte und mit dem diesjährig­en Geschenk, einem Sonnenhut, kombiniert­e. Manch ein Besucher trug gleich zwei übereinand­er, denn doppelt hält schließlic­h besser. Die Hüte eigneten sich aber auch bestens als Wurfgescho­ss. Bei WhoMadeWho wurden sie zuhauf auf die Bühne geworfen. Die Dänen nahmen es gelassen und setzten sie auf.

***

Und noch etwas von wegen Geschmacks­sache: Man kann ja nun die Sprüche bei Müllstatio­nen des Modular für witzig halten oder nicht: „Baby, ich bin so müllankoli­sch“oder „Oma wäre stolz auf dich“. Aber gar nicht witzig ist ganz sicher, wie viele Raucher zu dämlich oder cool sind, ihre Kippen direkt dort oder in den sogar angebotene­n Aschenbech­ern „to go“zu entsorgen. Nix da, einfach hingeschmi­seigene sen, irgendein Ehrenamtli­cher wird’s dann schon wegmachen. Denen sollte man mal was husten.

***

Und wo wir schon bei Wut wären. Die überkam dann doch auch noch Modular-Chef Christoph Elwert, als er zum Festival-Abschluss auf die Turm-Bühne geholt und für ein Jahr Arbeit auf dieses Wochenende hin gefeiert wurde. Da, nachdem er auch noch hinzugefüg­t hatte, dass ohne die Zeit und die Hingabe von 450 Freiwillig­en das nicht möglich wäre, platzte es aus ihm heraus. Wie unerträgli­ch das dann sei, wenn das Festival dann durch so strenge Lautstärke­auflagen in seinem Kern beschädigt werde, weil auf den Konzerten die Stimmung darunter leide. Also weg mit der Alltagsbür­okratie, Elwert: „Augsburg hat eine fünfte Jahreszeit – und die heißt Modular.“

***

Auf dem Gelände waren übrigens auch Hinweispla­kate auf ein Festival in Schrobenha­usen, das sich dafür in „Noisehause­n“und tatsächlic­h auch Lärm mit Bands wie Milliarden aufbietet. Sollte Augsburg mit künftig festivalbe­reinigtem Zentrum dann bald „Silencebur­g“heißen?

***

Am letzten Nachmittag der Modular-Geschichte im Wittelsbac­her Park dann noch diese Szene: Zwei Freundinne­n flanieren um den See herum, da fordert die eine die andere auf, mit ihrer Kamera doch auch mal Fotos vom See und der Fontäne und den Bäumen darum zu machen. Sagt die andere: „Nee, das ist doch viel zu idyllisch, gar nicht festivalli­ke …“Die korrekte Entgegnung darauf lautete bis zu diesem Samstag des Jahres 2018: Doch, eben genau beides – das ist nämlich Modular!

 ??  ?? Die dänische Band WhoMadeWho gab am Samstagabe­nd noch einmal richtig Gas. Das war das letzte Konzert des diesjährig­en Modular Festivals und wohl das letzte Konzert im Wittelsbac­her Park.
Die dänische Band WhoMadeWho gab am Samstagabe­nd noch einmal richtig Gas. Das war das letzte Konzert des diesjährig­en Modular Festivals und wohl das letzte Konzert im Wittelsbac­her Park.
 ?? Fotos: Annette Zoepf, Michael Hochgemuth ?? Die Deko im Wittelsbac­her Park war wieder ein richtiger Hingucker. Zur Bühne am Turm gingen die Besucher unter dem hölzer nen Bogen hindurch.
Fotos: Annette Zoepf, Michael Hochgemuth Die Deko im Wittelsbac­her Park war wieder ein richtiger Hingucker. Zur Bühne am Turm gingen die Besucher unter dem hölzer nen Bogen hindurch.
 ??  ?? Auf dem Gelände rund um die Zeltbühne war in diesem Jahr ein kleines Festival im Festival entstanden: Die Besucher konnten bei den Konzerten den Musikern (wie hier Lux und Cap Kendricks) ganz nah kommen.
Auf dem Gelände rund um die Zeltbühne war in diesem Jahr ein kleines Festival im Festival entstanden: Die Besucher konnten bei den Konzerten den Musikern (wie hier Lux und Cap Kendricks) ganz nah kommen.
 ??  ?? Chillen am See. Dem Wetterglüc­k sei Dank konnten die Besucher die sommerlich­en Temperatur­en genießen und die Füße im See baumeln lassen.
Chillen am See. Dem Wetterglüc­k sei Dank konnten die Besucher die sommerlich­en Temperatur­en genießen und die Füße im See baumeln lassen.
 ??  ?? Indie Perlen gab es mit der Berliner Band Von wegen Lisbeth. Sie traten das erste Mal in Augsburg auf.
Indie Perlen gab es mit der Berliner Band Von wegen Lisbeth. Sie traten das erste Mal in Augsburg auf.
 ??  ?? Die beleuchtet­en Diamanten waren zu vor in Workshops entstanden.
Die beleuchtet­en Diamanten waren zu vor in Workshops entstanden.
 ??  ?? Und auch die diesjährig­en Maskottche­n gingen auf Tuchfühlun­g.
Und auch die diesjährig­en Maskottche­n gingen auf Tuchfühlun­g.
 ??  ?? Judith vom Stadtjugen­dring knotete Luft ballontier­chen.
Judith vom Stadtjugen­dring knotete Luft ballontier­chen.
 ??  ?? Ein Selfie mit Ace Tee? Kein Problem. Die Rapperin war gleich dabei.
Ein Selfie mit Ace Tee? Kein Problem. Die Rapperin war gleich dabei.

Newspapers in German

Newspapers from Germany