Ein Abend zum Vergessen
Beim 2:1 gegen Saudi-Arabien liefert die Nationalmannschaft eine schwache Partie ab. Nach der Einwechslung von Gündogan Mitte der zweiten Halbzeit kippt die Stimmung vollends
Leverkusen Lange Zeit lief der letzte Test der deutschen Nationalmannschaft so, wie ihn sich Joachim Löw gewünscht haben dürfte. Seine Mannschaft zeigte sich gegen SaudiArabien spielerisch verbessert und Jérôme Boateng bestand nach zweimonatiger Verletzungspause die Belastung unter Wettkampfbedingungen. Eine Woche vor dem Start in die WM mit dem Spiel gegen Mexiko am kommenden Sonntag hätte die Welt also in Ordnung sein können für Löw und sein Team.
Dann aber wechselte der Trainer in der 56. Minute Ilkay Gündogan für den agilen Marco Reus ein – und die gute Stimmung war dahin. Mehr noch, sie kippte ins Gegenteil. Zu diesem Zeitpunkt führte das deutsche Team nach Treffern von Timo Werner (8.) und einem Eigentor von Osama Hawsawi (43.) mit 2:0. Doch das interessierte zu diesem Zeitpunkt niemanden. Als sich Gündogan an der Seitenlinie für seinen Einsatz bereit machte, erklangen die ersten Pfiffe. Sie wurden lauter, als er schließlich das Feld betrat, und gehörten fortan bei jedem Ballkontakt des 27-Jährigen zum Spiel. Mats Hummels hob beschwichtigend die Arme in Richtung der Zu- schauer. Vergebens. Seit sich Gündogan zusammen mit Recep Tayyip Erdogan, dem Präsidenten der Türkei, fotografieren ließ und ihm noch ein Trikot mit der Widmung „Für meinen verehrten Präsidenten“überreichte, ist er bei vielen Anhängern nicht mehr wohlgelitten. Bundestrainer Löw sagte nach dem Spiel: „Dass ein Nationalspieler so ausgepfiffen wird, hilft niemandem. Ich frage mich, was Ilkay noch tun soll. Er hat sich gestellt und gesagt: Ich lebe die deutschen Werte. Da ist das Thema auch mal vorbei – oder?“
Offenbar nicht. Welche Tragweite es immer noch besitzt, deutete sich bereits kurz vor dem Spiel an. Da blaffte NationalmannschaftsManager Oliver Bierhoff den ARDReporter Alexander Bommes an. „Sind wir doch ehrlich, ihr beendet das doch nicht. Ihr bringt das Thema doch wieder auf, weil ihr nichts anderes zu berichten habt, oder warum auch immer.“
Der ebenfalls in der Kritik ste- hende Mesut Özil musste wegen einer Knieprellung passen. Statt ihm initiierte Marco Reus in der Mittelfeldzentrale die Angriffe des deutschen Teams. Auf dem linken Flügel spielte Julian Draxler. Der bis zur Einwechslung Gündogans gelungene Test hatte neben manch personeller Veränderung im Vergleich zum Österreich-Spiel freilich auch mit den überschaubaren Qualitäten der Araber zu tun. Anders als die Österreicher haben die sich zwar für die WM qualifiziert, verfügen aber nicht über deren Klasse.
Abgesehen von den Pfiffen gegen Gündogan zeigte sich, dass die Alltagsarbeit Löws wieder einmal wirksam gewesen sein dürfte. Ein erstes Indiz dafür war der frühe Führungstreffer Werners. Dabei hebelte Joshua Kimmich mit einem weiten Ball die aufgerückte Abwehrreihe geschickt aus. Die feine Ablage Reus’ musste der Stürmer nur noch ins Tor drücken. Dass weitere Treffer bis kurz vor dem Halbzeitpfiff ausblieben, lag zum einen an fehlendem Schussglück wie bei einem Pfostentreffer des agilen Reus wie auch an einigen schöpferischen Pausen, die sich das deutsche Team genehmigte. So waren die Deutschen auf die Mithilfe des Gegners angewiesen, um sich mit einem 2:0 in die Pause verabschieden zu können. Von Thomas Müller irritiert, leitete Hawsawi eine Hereingabe Werners ins eigene Tor weiter (43.). Neben den Phasen reiner Verwaltung dürfte Löw vor allem die Nachlässigkeit in der Defensivarbeit missfallen haben. Daraus resultierte auch der Gegentreffer (84.) zum 2:1-Endstand. Einen von Sami Khedira verursachten Foulelfmeter konnte Marc-André ter Stegen noch halten. Gegen den Nachschuss von Taiseer Al-Jassim war er machtlos. Das alles aber wurde von der Stimmung nach Gündogans Einwechslung überschattet. Der letzte Test vor der WM: Er ist nicht gelungen.
„Dass ein Nationalspieler so ausgepfiffen wird, hilft niemandem.“
Bundestrainer Jogi Löw zu Gündogan
Deutschland Neuer (Bayern – 46. ter Ste gen, Barcelona) – Kimmich (Bayern – 81. Ginter, Mönchengladbach), Boateng (46. Süle), Hummels (alle Bayern München), Hector (1. FC Köln) – S. Khedira (Juventus), Kroos (Real Madrid) – T. Müller (Bayern München – 74. Brandt, Bayer Leverkusen), Draxler (Paris Saint Germain) – Reus (Bo russia Dortmund – 57. Gündogan, Man chester City) – Werner (RB Leipzig – 62. Gomez, VfB Stuttgart)
Zuschauer 30 210 (ausverkauft) Tore 1:0 Werner (8.), 2:0 Om. Hawsawi (43., Eigen tor), 2:1 Al Jassim (84.) Bes. Vorkomm nis Al Sahlawi verschießt Foulelfmeter (83., Khedira an Al Jassim)