Jüdische Vergangenheit im katholischen Kloster
St. Ottilien diente vor 70 Jahren als Krankenhaus für über 5000 ehemalige KZ-Häftlinge aus Osteuropa. Mit einer Ausstellung aus jüdischer Perspektive wird nun an diese Zeit zwischen 1945 und 1948 erinnert. Die Eröffnung ist am Sonntag
St. Ottilien Jüdische Kinder und Glockenklang hätten ihn empfangen, schrieb der jiddische Dichter Leivick Halpern über seine Ankunft in St. Ottilien im Frühling 1946. Tatsächlich war das Kloster der Missionsbenediktiner im Nachbar-Landkreis Landsberg zwischen 1945 und 1948 eine unfreiwillige Station für über 5000 jüdische Überlebende aus Osteuropa. Hinter ihnen lag das Grauen der Schoah, vor ihnen eine ungewisse Zukunft. St. Ottilien, idyllisch gelegen, medizinisch gut aufgestellt und durch die eigene Landwirtschaft ausreichend versorgt, wurde für sie zu einem Ort der Genesung und Erholung, aber auch des Wartens und Hoffens. Diese bisher wenig thematisierte Facette der Klostergeschichte wird unter dem Ausstellungstitel „Sankt Ottilien – das Benediktinerkloster und seine jüdische Geschichte 1945– 48“ab Sonntag, 10. Juni, an in unterschiedlichen Projekten beleuchtet.
Auf die jüdischen Überlebenden, die sogenannten Displaced Persons (DP), treffen Ärzte und deutsches Pflegepersonal, allmählich aus Krieg und Vertreibung zurückkehrende Mönche, auch Nonnen und amerikanische Militärs. Spuren dieses interkulturellen Miteinanders, das Zusammentreffen der Religionen, sind der besondere Reiz, den der Fotograf Benyamin Reich 70 Jahre danach aufzuspüren versucht.
Den Anstoß zur Erforschung gab Benediktinerpater Cyrill Schäfer. Sensibilisiert wurde er für das Thema, weil immer mal wieder jüdische Überlebende aus den USA zu Besuch ins Kloster St. Ottilien kommen, um ihren Nachfahren zu zeigen, wo sie geboren sind. „Die Zeit als DP-Hospital war vielleicht eine der wichtigsten in der Geschichte des Klosters, denn es hat Menschen eine Zuflucht aus der Hölle geboten“, zeigt sich Pater Cyrill überzeugt. Die Abtei habe diese Vergangenheit lange ignoriert.
Zu ihrer Erforschung holte der Benediktinerpater die Abteilung für Jüdische Geschichte und Kultur am Historischen Seminar der Ludwig-Maximilians-Universität und das Team des Jüdischen Museums München mit ins Boot. „Es gibt viel Forschungsbedarf, und die meisten Quellen sind auf Jiddisch“, sagt Evita Wiecki, Lektorin für Jiddisch an der LMU München. Die Geschichte der Displaced Persons ist auch ein konzeptioneller Schwerpunkt des 2007 in München eröffneten jüdischen Museums, wie Kuratorin Jutta Fleckenstein betonte.
Dort wurde zum internationalen Museumstag eine Installation aufgebaut, die das Publikum auf den Weg in das Benediktinerkloster schickt, um dieses einmal aus einer jüdischen Perspektive zu betrachten. In St. Ottilien versuchten die Menschen, in dieser besonderen Zeit direkt nach Kriegsende relativ schnell wieder ein normales Leben zu führen. Doch der Wohnraum war knapp, die Ausübung der Religion erschwert und Auseinandersetzungen zwischen der amerikanischen Militärverwaltung, mit der Lager-Selbstverwaltung sowie den internationalen Hilfsorganisationen fast unvermeidlich.
Auf die Suche nach den Spuren dieser Vergangenheit machte sich der in Israel geborene und in Berlin lebende Fotograf Benyamin Reich mit seiner Kamera, wobei er sein Augenmerk vor allem auf das interkulturelle Miteinander oder Nebeneinander legte. Ein Mönch mit Talmud in der Hand ist deshalb das Titelbild der Ausstellungsbroschüre.
Die Sammlung religiöser Schriften des Judentums wurde 1946 im katholischen Klostergebäude gedruckt. Elf Stationen bietet die Text-Bild-Ausstellung auf dem Klosterareal und markiert die damaligen Orte wie das Geburtenhaus, die Verwaltungsgebäude und das DP-Lager sowie die Ärztevillen, den Konzertplatz, die Betstube und die Talmudschule, den KZ-Friedhof und die Gräber an der Bahnlinie in Schwabhausen.