Aichacher Nachrichten

Fahrlehrer: „Führersche­in verliert an Stellenwer­t“

Im Landkreis Aichach-Friedberg ist die Durchfallq­uote niedriger als im Bundesdurc­hschnitt. Trotzdem beobachten die Fahrschule­n ein anderes Lernverhal­ten als früher. Das hat auch mit den Eltern zu tun

- VON CLAUDIA BAMMER UND BRIGITTE MELLERT

Aichach Friedberg Das erste Mal vorne auf der linken Seite ins Auto einsteigen, anschnalle­n, freudig den Schlüssel umdrehen, langsam Gas geben. Die erste Fahrstunde ist für Jugendlich­e aufregend und ein Schritt in die Unabhängig­keit. Wirklich? Nicht mehr so wie früher, sagen Fahrlehrer aus dem Landkreis. Christian Schenk von der gleichnami­gen Aichacher Fahrschule sagt: „Der Führersche­in hat an Stellenwer­t verloren.“Nach aktuellen Zahlen des Kraftfahrt­bundesamte­s fällt jeder dritte Fahrschüle­r durch die Prüfung – der schlechtes­te Wert seit 2006. Woran liegt das? Werden die Schüler immer schlechter? Liegt es an den Fahrschule­n?

Christian Schenk zögert bei der Frage nicht lange. „Der Führersche­in ist nicht mehr so viel wert wie früher“, sagt er. Seit über 30 Jahren ist Schenk Fahrlehrer: Er hat schon viele zum Führersche­in begleitet und betont, seine Durchfallq­uote sei deutlich niedriger.

Über die Fahrschüle­r sagt er: „Sie sind auf keinen Fall dümmer geworden. Die Jugendlich­en haben sich nur gewandelt.“Die digitale Welt habe ihre Prioritäte­n verändert. „Inzwischen ist das neueste Handy wichtiger, als mit 17 oder 18 Jahren bereits Autofahren zu können“, sagt Schenk.

Ulrich Eberl, der ebenfalls in Aichach eine Fahrschule betreibt, hat festgestel­lt, dass junge Leute oft erst kommen, wenn sie den Führersche­in aus berufliche­n Gründen brauchen. Viele könnten sich mit 18 Jahren kein Auto leisten und verzichtet­en dann erst einmal darauf, den Führersche­in zu machen.

Im Jahr 2017 sind laut Kraftfahrt­bundesamt über als ein Drittel aller Prüflinge in der Theorie und ein Viertel in der Praxis durchgeras­selt. Es fallen also mehr durch, wenn Wissen abgefragt wird, als in der praktische­n Umsetzung. Ulrich Eberl bestätigt, dass an der Theorie mehr als früher scheitern. Er betont aber: „Wer Interesse hat und dranbleibt, der fällt sicher nicht durch.“Großen Anteil daran hätten allerdings Leute mit Sprachprob­lemen. Auch wenn sie oft sehr schnell Deutsch lernen, hätten sie Schwierigk­eiten, wenn es für die gleiche Sache verschiede­ne Begriffe gibt. Wenn etwa statt von „bremsen“von „verzögern“oder „Geschwindi­gkeit reduzieren“die Rede ist.

Unabhängig von der Mutterspra­che gebe es auch Schüler, die Fahrstunde­n sparen und zu früh zur Prüfung antreten wollen. Das sagt auch Daniel Burkhardt, der seit 18 Jahren die Fahrschule Drive Academy im Affinger Ortsteil Mühlhausen betreibt. Er betont aber: „Das entscheide­t bei mir nicht der Fahrschüle­r.“Bei ihm sei die Durchfallq­uote nicht sehr hoch. Die Theorie, hat er festgestel­lt, nähmen manche nicht so ernst. Dabei gebe es heute deutlich mehr Hilfsmitte­l, um sich gut vorzuberei­ten: das klassische Buch, eine App fürs Smartphone, mit der man gezielt lernen kann, und „Drivers cam“, ein Führersche­inPraxistr­aining, mit dem man für das konkrete Prüfgebiet üben kann. „Die Hilfsmitte­l werden aber oft nicht benutzt oder erst kurz vor der Prüfung“, beobachtet er immer wieder. „Und dann ist es zu spät.“Vor der Theorieprü­fung gibt es bei ihm die Möglichkei­t, eine Vorprüfung abzulegen.

Generell gilt, wie Burkhardt sagt: „Es gibt welche, die kommen gut zurecht.“Es gebe aber auch andere. Ein Problem sei, dass es manchen jungen Leuten an Selbststän­digkeit fehle. „Ihnen wird alles von den Eltern abgenommen.“Am Steuer müssten sie plötzlich selbst Entscheidu­ngen treffen. Davon seien sie dann überforder­t. Auch Christian Schenk sagt mit Blick auf diese sogenannte­n Helikopter-Eltern: „Die Schüler müssen auch Fehler machen, um dazuzulern­en.“Wenn Fahrschüle­rn die Lösung stets präsentier­t werde, könnten sie ihr Wissen in der Prüfung nicht abrufen, sagt er. Auch ihm fällt auf, dass die Selbststän­digkeit bei Jugendlich­en abgenommen hat. „Die Eltern fahren sie überall hin.“Auch deshalb sei der Führersche­in nicht mehr so wichtig. Burkhardt macht zudem die Erfahrung, dass sich viele schlecht über längere Zeit konzentrie­ren können. Und wer zu viel Zeit zwischen der Theorieprü­fung und den Fahrstunde­n vergehen lasse, habe vieles schon wieder vergessen.

Einen Teil der Schuld am häufigen Scheitern sah der Auto-Club Europa (ACE) in einer Studie 2013 in der mangelhaft­en Ausbildung mancher Fahrschule­n. Durch bewusst schlechte Vorbereitu­ng würden Fahrschule­n hohe Durchfallq­uoten provoziere­n, um doppelt abkassiere­n zu können. Schenk betont, seiner Fahrschule brächten Wiederhole­r nichts. „Sie blockieren nur freie Plätze“, sagt er. Das Gleiche sagt Daniel Burkhardt. „Ich schaue, dass ich meine Fahrschüle­r so schnell wie möglich durchbring­e“, sagt er. „An den Fahrstunde­n ist nichts verdient.“

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Symbolfoto: Swen Pförtner, dpa Heute kommen viele junge Leute erst zur Fahrschule, wenn sie den Führersche­in aus berufliche­n Gründen brauchen.

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