Aichacher Nachrichten

Mutig sein wie Erich Kästner

Erwin Grab liest aus Werken des von den Nationalso­zialisten verfemten Schriftste­llers beim Aindlinger Bücherei-Brettl. So manches von Kästners Gedichten ist heute wieder aktuell

- VON MARTIN GOLLING

Aindling Das Bücherei-Brettl – so nennt die Aindlinger Pfarr- und Gemeindebü­cherei die Veranstalt­ungen in ihren Räumen. Schön ist es für die Veranstalt­er, wenn diese „kleinen“Lesungen ebenso ausverkauf­t sind wie es die legendären großen stets waren – mit Zugpferden wie Pierre Brice oder Werner Schmidbaue­r. Als jüngst Erwin Grab aus den Werken Erich Kästners las, blieb kaum ein Platz unbesetzt.

Erwin Grab, der Autor des (ehemaligen) Online-Satiremaga­zins ZYN!, stammt aus Düsseldorf und ist Jahrgang 1944. „Es wird nicht lustig werden, heute. Aber zum Nachdenken bringen einen die Texte Kästners schon. Man weiß oft nicht, ist das vor 1933 geschriebe­n oder erst vorgestern“, warnte er sein Publikum und erzeugte so eine latente Spannung. Grab präsentier­te sich als versierter Vorleser mit einer Stimme, die gerade bei Pointen ein wenig an den verschmitz­t lächelnden Heinz Rühmann erinnerte. Kästner, der Einser-Abiturient und Dresdner Stipendiat, erkannte mit seinem scharfen Verstand schon 1932 die Diskrepanz zwischen technische­m Fortschrit­t und dem ethisch-sozialen Werdegang des Menschen.

In seinem Satiregedi­cht „Die Entwicklun­g des Menschen“sind technisch-wissenscha­ftliche Entwicklun­gen bis hin zu Kernspaltu­ng und Raumfahrt quasi vorausgesa­gt. Kästner folgert aus den Umtrieben seiner Zeit: „Sie haben mit dem Kopf und dem Mund den Fortschrit­t der Menschheit geschaffen. Doch davon mal abgesehen und bei Lichte betrachtet, sind sie im Grund noch immer die alten Affen.“Seine Reime über die Bankiers (1930) behalten auch 2018 ihre Gültigkeit. Ein Jahr nach dem großen Börsencras­h reimt Kästner im „Hymnus auf die Bankiers“: „Das Geld wird flüssig, das Geld wird knapp. Sie machen das ganz nach Bedarf. Und schneiden einander die Hälse ab. Papier ist manchmal scharf.“

Erwin Grab dosiert solch düstere Szenarien und verknüpft sie geschickt mit Äußerungen damaliger Kritiker Kästners, auf die selbiger spitze Antworten findet: „Und immer wieder schickt ihr mir Briefe, in denen ihr, dick unterstric­hen, schreibt: „Herr Kästner, wo bleibt das Positive?“Ja, weiß der Teufel, wo das bleibt.“

1930 war vor allem die Jugend arbeitslos. Kästner ergriff Partei für die „verlorene Generation“, wie sie heute in Griechenla­nd, Italien oder Spanien dieses Gesellscha­ftsphänome­n betiteln: „Ihr habt uns mancherlei gelehrt, Latein und Griechisch bestenfall­s. Nun sind wir groß, doch das ist alles. Und was ihr lehrtet ist nichts wert. (…) Wir werden von euch ausgehalte­n und halten das nicht länger aus! Sind wir denn da, um nichts zu tun? Wir, die gebornen Arbeitslos­en, verlangen Arbeit statt Almosen und fragen euch: Und was wird nun?“

Erwin Grab nimmt sich solcher Arbeiten Kästners an, denkt sie weiter und bringt seine eigenen Verse dazu zu Papier. In den Räumen der Bücherei kommt seine Satire deshalb zum Vortrag – und erntet Beifall. Der gelernte Küchenmeis­ter und spätere Lehrer weiß auch für die Bücherei ein maßgeschne­idertes Menü zu zaubern. Kästners Werke kamen 1933 auf den Index, seine Bücher wurden verbrannt. Der Autor selbst ließ sich das makabre Schauspiel nicht entgehen – und wurde prompt erkannt. Brigitte Lechner zog Parallelen zwischen heute und damals: „Wir bräuchten wieder mehr Mut, so aufzutrete­n wie Kästner. Anlässe dazu gibt es genug.“

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Foto: Martin Golling Im Vordergrun­d stand ein Porträt des Schriftste­llers Erich Kästners, aus des sen Texten Erwin Grab in der Aindlinger Bücherei vorlas.

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