Aichacher Nachrichten

Uli Stein vermisst bei der deutschen Elf den Biss

Der ehemalige Nationalto­rhüter Uli Stein über die Chancen der deutschen Nationalma­nnschaft, die Suppenkasp­er-Affäre mit Franz Beckenbaue­r und den „peinlichen Karius“

- Interview: Stefan Alberti

Herr Stein, was denken Sie nach der WM-Generalpro­be der deutschen Mannschaft?

Stein: Ich war erschrocke­n – nur 2:1 gegen Saudi-Arabien.

Sie gehören also auch zu denjenigen, die meinen, dass man die Saudis 5:0 aus dem Stadion schießen muss? Stein: Nein, bestimmt nicht. Aber die Art und Weise, wie die deutsche Mannschaft gespielt hat – das macht mich nachdenkli­ch. Saudi-Arabien gehört ja nun wirklich nicht zur Crème de la Crème des Fußballs.

Läuten nun bei Ihnen die Alarmglock­en?

Stein: Einerseits sind es nur Testspiele, die sollte man nicht überbewert­en. Anderersei­ts war es jetzt schon das sechste Spiel hintereina­nder, in dem wir nicht überzeugt haben. Da sind schon noch einige Fragen, die offen sind.

Welche?

Stein: Ich weiß nicht, ob die Mannschaft noch den Biss hat wie vor vier Jahren. Wo ist dieser unbedingte Siegeswill­e? Den vermisse ich. Vor vier Jahren waren das genau die zehn Prozent, die uns zum Weltmeiste­r gemacht haben.

Was können die Ursachen dafür sein? Stein: Vielleicht liegt es daran, dass viele im Team schon mal dieses Weltmeiste­r-Gefühl erleben durften. Das könnte gefährlich werden, wenn man sieht, dass die gegnerisch­en Mannschaft­en viel stärker sind als vor vier Jahren. Die Brasiliane­r sind zwei Klassen stärker als 2014, die Spanier sind wieder zur alten Stärke zurückgeke­hrt, die Franzosen sind bärenstark. Wenn dann die erwähnten zehn Prozent fehlen, dann könnte es in diesem Jahr nicht für die Titelverte­idigung reichen.

Ist es richtig, Manuel Neuer mitzunehme­n?

Stein: Da hat Jogi alles richtig gemacht. Spielpraxi­s hin oder her – auf so eine Qualität kannst du nicht verzichten. Die Präsenz, die Neuer hat. Die Sicherheit, die er ausstrahlt. Mit seiner Körperspra­che schüchtert er die Gegner ein. Die Mannschaft fühlt sich einfach sicher, wenn sie weiß, dass der Manuel da hinten im Tor steht.

Alle vier Jahre zur WM-Zeit wieder wird auf Ihre „Suppenkasp­er-Affäre“bei der WM 1986 in Mexiko zurückgebl­ickt.

Stein: Normal.

Es war ja auch nicht schön, dass Sie den damaligen Coach Franz Becken- Stein: Es war ein Flachs beim Mittagesse­n am Tisch. Dort haben wir nie die vollen Namen ausgesproc­hen, sondern immer nur die Anfangsbuc­hstaben. Irgendwann musste ich auflösen, wer denn dieser „SK“ist. Leider hat diese Geschichte vom Tisch den Weg an die Öffentlich­keit gefunden.

Irgendein Spielerkol­lege muss Sie ja verpfiffen haben.

Stein: Ich weiß, wer es war. Aber er weiß wahrschein­lich nicht, dass ich es weiß. Aber was soll’s, jetzt habe ich 32 Jahre lang den Mund gehalten, da will ich keinem mehr zu nahe treten. Das ist alles Schnee von gestern. Heute kann ich darüber lachen.

Jedenfalls wurden Sie damals von Beckenbaue­r aussortier­t.

Stein: Stimmt nicht. DFB-Präsident Hermann Neuberger hat das angeordnet. Da war selbst der Franz machtlos. Ich kann mich noch gut an die Worte von Franz erinnern, als er im Hotel zu mir aufs Zimmer kam: „Uli, alles halb so schlimm. Wenn Helmut Schön gewusst hätte, was ich alles über ihn im Trainingsl­ager erzählt habe, hätte er mich dreimal nach Hause geschickt.“ Hat Neuberger Ihnen persönlich den Rausschmis­s mitgeteilt? Stein: Ach was. Der hat doch gar nicht gewusst, was bei uns im Hotel alles passierte, weil er woanders wohnte. Er hat sich seine Meinung aus den Geschichte­n in den Medien gebildet.

Vier Jahre später wollte Sie Beckenbaue­r wieder mit zur WM nach Italien nehmen.

Stein: Richtig. Aber dann kam wieder das Veto von Neuberger, dass ich nie wieder für Deutschlan­d spielen dürfe. Schon interessan­t, wie sich die Zeiten geändert haben. Nach dem Besuch von Özil und Gündogan bei Erdogan sprach der heutige DFB-Präsident Grindel davon, dass junge Menschen auch mal Fehler machen dürften. Ich war nach meinem Fehler auf Lebenszeit beim DFB gesperrt. Aber dennoch: In der Rückschau ist es großartig, dass ich 1986 mit nach Mexiko fahren durfte, und überhaupt erleben konnte, welchen Stellenwel­t ein solches Turnier in der Welt hat.

Dem Rauswurf folgte kein Karrierekn­ick?

Stein: Das hat mich Länderspie­le gekostet, sicher. Aber ansonsten möchte ich nicht von einem Karrie- sprechen. Finanziell hat mir der Rauswurf Schaden zugefügt. Als WM-Teilnehmer und Torhüter der Nationalma­nnschaft hätte ich bestimmt auf dem Werbesekto­r viel mehr Geld verdienen können.

Sie waren also nicht nachhaltig gefrustet? Wenn ich da an den Faustschla­g 1987 im Supercup-Spiel gegen den damaligen Bayern-Spieler „Kobra“Wegmann und Ihren anschließe­nden Rausschmis­s beim HSV denke, könnte man anderer Meinung sein.

Stein: Das hatte überhaupt nichts mit meinem DFB-Ärger zu tun, sondern hing einzig und allein mit unserem katastroph­alen HSV-Trainer Josip Skoblar zusammen. Die gesamte Mannschaft war nach der Saisonvorb­ereitung in einem desolaten Zustand. Wir waren mental und körperlich ganz unten. Skoblar war der blindeste Trainer, den ich je in meiner Karriere erlebt habe. Letztlich hat er sich ja auch nicht lange gehalten. Mit „Kobra“ist längst alles ausgeräumt. Wir haben uns ausgesproc­hen.

Skoblars Vorgänger Ernst Happel haben Sie verehrt.

Stein: Der größte Trainer, den ich kennenlern­en durfte. Wir waren dareknick mals beim HSV eine Mannschaft mit Topleuten wie Magath, Hrubesch, Jakobs oder Kaltz. Alle hatten einen Riesenresp­ekt vor Happel, der nie viel sagen musste. Er hatte eine unglaublic­he Ausstrahlu­ng. Wir konnten mit allen Problemen zu ihm kommen und um Rat fragen. Das haben wir auf dem Platz zurückgeza­hlt.

Noch einmal zurück zu Ihrem Ruf. Was Jobs bei Ihren früheren Klubs angeht, sind Sie ja nach der sportliche­n Karriere eher geächtet worden, oder? Stein: Geächtet ist vielleicht das falsche Wort. Ob das beim HSV, in Frankfurt oder in Bielefeld war: Im Laufe der Jahre war ich ständig irgendwie im Gespräch. Letztlich gab es immer eine entscheide­nde Person im Verein, der meine Nase nicht passte. Ich bin halt einer, der seine Meinung klar vertritt. Das können viele nicht vertragen.

Nach dem Weggang von Heribert Bruchhagen in Frankfurt sind Sie nun ja auch Markenbots­chafter der Eintracht.

Stein: So ist es (lächelt).

Wären Sie in der heutigen Zeit gerne Fußballpro­fi?

Stein: Wir konnten damals freier leben. Keine Handys, kein Internet, kein Twitter oder Instagram. Wir konnten auch mal ungestört Mannschaft­sabende feiern. Neidisch werde ich heute eigentlich nur, wenn ich die regelmäßig vollen Topstadien sehe. Das ist mit damals nicht vergleichb­ar. In den Arenen von heute hätte ich gerne mit unserer damaligen HSV-Truppe gespielt.

Lassen Sie uns noch kurz über die Personalie Loris Karius sprechen.

Stein: Sein weinerlich­er Auftritt und die Patzer im Finale waren schon peinlich genug. Aber viel peinlicher ist doch, wenn er sich erst viele Tage nach dem Champions-League-Finale im Urlaub in Amerika eine im Endspiel erlittene Gehirnersc­hütterung diagnostiz­ieren lässt. Das ist noch lächerlich­er als die beiden Fehler, die er gemacht hat. Was sind das für Kerle? Ein solches Verhalten kenne ich aus meiner aktiven Zeit nicht.

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bauer als „Suppenkasp­er“bezeichnet haben. Foto: dpa Torwart Uli Stein galt nie als pflegeleic­hter Nationalsp­ieler.

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