Der Fußballfan bringt Opfer Die Kolumne von Udo Muras über zwölf WM Turniere mit der deutschen Mannschaft
Morgen geht sie also los, meine zwölfte WM. Dreimal habe ich sie schon gewonnen, dreimal kam ich ins Endspiel. Die anderen sechs Turniere rangieren unter ferner liefen. Die haben die Wohlstandsjünglinge leider vergeigt. Ich darf doch so sprechen? Sprechen wir nicht alle so alle vier Jahre, in den Wochen nationaler Hysterie? Und das mit einigem Recht. Wer sein Leben auf den Kopf stellt und dem Spielplan anpasst, Arbeit, Studium, Freunde und Freundinnen vernachlässigt, sein hart verdientes Geld in Kneipen mit Großbildfernsehern lässt, der hat ja wohl seinen Anteil am Triumph seiner Mannschaft. Der spielt doch immer mit, schlägt jede Flanke und verwandelt sie noch selbst. Auch der Fan bringt Opfer bei einer WM, wem muss ich das sagen?
Im italienischen Sommer 1990 reiste ich den Kickern gar hinterher. Das Geld reichte nur für die Vorrunde, aber immerhin. Quälend lange Busfahrten vom Gardasee nach Mailand, Polizeikontrollen, meinen Regenschirm haben sie mir abgenommen in San Siro. Und je- Abend Pizza. Alles für den Titel. Mit drei Tribünen-Einsätzen in Mailand fühle ich mich als Weltmeister. Für dieses Gefühl braucht man keine Prämie vom DFB, die Prämie bemisst sich in Adrenalin und Bildern im Kopf, die nie erlöschen.
Natürlich kommt mit dem Alter die Vernunft – Ausnahmen bestätigen die Regel und sind in jeder Familie bekannt – und als Erwachsener merkt man dann, dass sich durch einen Sieg bei einer WM im Leben doch nicht ganz so viel ändert. Darf ich noch mal von 1990 erzählen? Ich war Student in der linken Hochburg Marburg und vielen Kommilitonen höchst suspekt. Ich interessierte mich a) für Fußball, b) schrieb sogar darüber – und c) feuerte die deutsche Mannschaft an. Hallo, geht’s noch? Mit so einem wollte man damals eher nichts zu tun haben. Ich sah also das Endspiel nur mit meinem besten Freund. Elfmeter in Rom, Brehme schießt nach unten links, wir holen das Ding. Plötzlich Party. Hunderte entdecken ihre verschüttete Vaterlandsliebe, sind auf den Straßen, singen den ganzen Kader rauf und runter. Unsere Gruppe wird größer. Das Klischee von den wildfremden Menschen, die sich plötzlich in den Armen liegen – es ist wahr. Der Fußball macht’s möglich. Nachts um zwei werfen sie uns aus der Kneipe, die Bedienung ist nicht schwarz-rot-gold angemalt und will Feierabend machen.
So endet meine erste Weltmeisternacht (1974 musste ich ins Bett und da hat eh keiner gefeiert), aber noch auf dem Nachhauseweg beschließt eine Handvoll junger Männer: Morgen fahren wir zum Römerberg und feiern die Weltmeister. Treffpunkt Mensa. Meine Wenigkeit erscheint pünktlich und mit Deutschland-Schal, erworben an einem Souvenirstand in San Siro. Quasi eine Reliquie. Von den anderen kommt nur die Hälfte und sie sagen: ach, fahr du mal alleine.
Bin ich dann auch nicht. Mein Gefühl der Freude hat zwar etwas länger gehalten, aber dann kam die nächste Klausur und bei der konnte mir Andy Brehme auch nicht helfen. Das Leben geht weiter, egal, was die da jetzt in Moskau zusamden menkicken. Ich will keinem die Freude auf das Spektakel nehmen, aber sie wird genauso vorbeirauschen wie die Enttäuschung – wie über Cordoba 1978 oder über New York 1994, als Thomas Häßler in ein von vorneherein verlorenes Kopfballduell mit einem Bulgaren musste. Wie über Lyon 1998, als wir gegen die Kroaten ausschieden.
Da war ich schon Journalist in Hamburg, sah das 0:3 in der Redaktion und schaute trübe drein. „Nimmt dich das wirklich mit?“, fragte ein Kollege verständnislos. Ja, nimmt es. Viele nimmt es mit. Identifikation mit seinem Land ist keine Schande. Diesen Satz muss man anderswo erst gar nicht schreiben. Aber wie so oft kommt es auf das richtige Maß an. Ich zitiere den ehemaligen DFB-Präsidenten Egidius Braun, der nach dem WM-Aus 1998 sagte: „Das Wichtigste ist: bescheiden sein im Sieg und anständig in der Niederlage.“Unser Land, das nicht nur mir bei der WM 2006 weit fröhlicher vorkam, ist in einer schwierigen Phase.
Politiker sprechen von Spaltung und Pulverfässern und nicht jeder, der jetzt eine schwarz-rot-goldene Fahne schwenkt, steht für Weltoffenheit. Wir stehen weiter vor der Frage, wie wir mit all den Ausländern umgehen, die zu uns gekommen sind und weiter kommen. Es lässt sich nicht beweisen, aber mancher wird auch gekommen sein wegen der schönen Bilder im Sommer der Liebe 2006. Da haben wir am Ende auch nicht gewonnen, jedenfalls nicht den Pokal. Aber etwas viel Wichtigeres, das anhält, wenn eine WM längst vorbei ist: Ansehen und Respekt. Also dann, feiert schön!
Hinweis: Während der WM schreiben Udo Muras, TV-Kommentator Marcel Reif und Ex-Nationaltorwart Toni Schumacher als Kolumnisten für unsere Zeitung.