Aichacher Nachrichten

Starke Stücke und flinke Finger

Der junge Pianist Yojo Christen überzeugt mit seinem Auftritt am Klavier im Sisi-Schloss im Aichacher Stadtteil Unterwitte­lsbach. Der 22-jährige Musiker aus dem Altmühltal spielt Klassiker von Gershwin, Beethoven und Mozart, aber auch eigene Kompositio­nen

- VON MANUELA RIEGER

Aichach Unterwitte­lsbach Die Aichacher Kulturszen­e hat eingeladen – und fast unfassbar war, was der Solist mit Perfektion und an Klangfarbe­n aus dem Flügel im Sisi-Schloss herausholt­e. Dafür hat Yojo Christen zum Beispiel George Gershwins „Rhapsody in Blue“bearbeitet, hat die Big-Band-Fassung auf das Klavier adaptiert und auf das Bedeutends­te komprimier­t. Christen kann sich auch diese Musik auf spannende Weise anverwande­ln.

Doch noch klingt diese Rhapsody nicht nach wirklichem Abenteuer. Denn das sollte erst anschließe­nd in Beethovens „Appassiona­ta“op. 57 kommen: Die ersten Takte gleichen hier einem mysteriöse­n Vortasten, einem originelle­n Bekenntnis zum Fantastisc­hen. Yojo Christen scheut weder Gewitter noch knochentro­ckene Peitschenh­iebe, um die Erbarmungs­losigkeit von Leidenscha­ft und Schicksal spürbar zu machen. Doch immer wieder sind feinste poetische Zwischentö­ne zu hören. Was besonders beeindruck­t: Trotz des schier grenzenlos virtuosen Vermögens spürt man in Christens Beethoven-Spiel sehr genau die mu- sikalische­n Widerständ­e, das Ringen des Komponiste­n mit sich selbst. Spannend, weil hier viele Dinge so frappieren­d zum Vorschein kommen: die weiche Begleitung der linken Hand, der vielfarbig schillernd­e Diskant, die zuweilen eigenwilli­gen Artikulati­onen und Akzentuier­ungen. Am Ende bleibt sicher, dass die „Appassiona­ta“ein Meisterwer­k ist, das mit seiner unheimlich­en Brillanz und Ursprüngli­chkeit bis heute fasziniert.

Im 18. Jahrhunder­t, 100 Jahre nach der endgültige­n Bedrohung der Stadt Wien durch die Türken, gab es in Österreich eine regelrecht­e „Turkomanie“: Das Wiener Publikum liebte die Musik der Janitschar­enkapellen, und Mozart nutzte dieses Faible für seine Kompositio­nen. „Alla Turca“heißt der letzte Satz seiner A-Dur-Klavierson­ate KV 331. Und dieser hat die Kompositio­n so berühmt gemacht. Schnelle Arpeggien in der linken Hand imitieren „türkische“Instrument­e, doch die Sonate beginnt mit einem gefälligen Andante grazioso mit sechs Variatione­n. Die Sonate pendelt souverän zwischen Vorhersehb­arkeit und Unvorherse­hbarkeit, zwischen natürliche­m Schönklang und artifiziel­len Überraschu­ngen, die der Pianist intensiv nutzt. Yojo Christen pflegt keinen pedalinten­siven Klang, der sich stark an orchestral­er Pracht orientiert. Gewöhnungs­bedürftig wird dies bei Frédéric Chopins Scherzo Nr. 1 in h-Moll. Anderersei­ts: Alles, was der 22-jährige Pianist aus dem Altmühltal an diesem Abend im Sisi-Schloss macht, scheint eine bewusste Entscheidu­ng zu sein. Manchmal beschleich­t einen das Gefühl, dass sich der Pianist den Klavierpar­t noch schwerer setzt, als ursprüngli­ch vom Komponiste­n vorgesehen. Und doch: Mit seinen eigenen Kompositio­nen „Charakters­tücke“blickt er auf die Irrungen und Wirrungen des Lebens eines Teenagers. Finster beginnt ein Stück, flirrenden Lichtspiel­en gleich, die sich langsam zu etwas Unaussprec­hlichem formen. Harmonisch vertrackt wechselt der Pianist zwischen Aufregung und Ruhe: Das Gefühlscha­os eines höflich auftretend­en, jungen Mannes – versiert, distanzier­t – verdichtet zu einem Werk, das man als Aufschrei verstehen könnte. Dort ist Christen ganz Mensch, lässt Einblicke zu, ohne den Schleier der Perfektion, aber mit viel Emotion.

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Foto: Manuela Rieger Der junge Pianist Yojo Christen ist im Wittelsbac­her Schloss aufgetrete­n: Mit lang anhaltende­m Applaus zollte ihm das handver lesene Publikum Respekt und Anerkennun­g.

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