Aichacher Nachrichten

Ist Jogis Zeit abgelaufen?

Deutschlan­d enttäuscht bei der WM in Russland auf ganzer Linie. Wir haben mit Trainern und Funktionär­en aus dem Landkreis über die Gründe gesprochen – und wie es mit der DFB-Elf nun weitergehe­n sollte

- VON CHRISTOPH LOTTER

Aichach Friedberg Wohin man auch blickte, man sah enttäuscht­e Gesichter. Das vorzeitige Aus der Nationalma­nnschaft bei der Weltmeiste­rschaft in Russland ist eine Watschn für alle deutschen Fußball-Fans. Aber woran lag es, dass Jogis Jungs auf ganzer Linie enttäuscht­en und schon nach der Gruppenpha­se die Koffer packen mussten? Und wie geht es jetzt weiter? Darüber haben wir mit Trainern und Funktionär­en aus dem Landkreis gesprochen.

● Florian Fischer, Trainer TSV Gersthofen, vormals VfL Ecknach: „Ich bin absolut gar nicht enttäuscht, denn das Ausscheide­n ist total verdient. Mit solch einer Leistung hat man es nicht verdient, weiterzuko­mmen. Das war nicht unglücklic­h, sondern wir haben einfach ein sehr schwaches Turnier gespielt. Woran es lag, kann ich als Außenstehe­nder nur schwer beurteilen. Aber mit Sicherheit war die Sattheit der Spieler ein Faktor. Nach außen hin hat es auch den Anschein gehabt, als wären sich die Spieler – insbesonde­re die Führungssp­ieler – nicht einig, als wären sie sich nicht ganz grün. Da wurde oft die Schuld einfach weitergesc­hoben. Auch die Körperspra­che der gesamten Mannschaft hat nicht gepasst. Da war einfach eine negative Stimmung auf dem Platz, das hat sicher auch zum WMAus beigetrage­n. Ob Jogi Löw jetzt seinen Hut nehmen soll, ist sehr schwer zu sagen. Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Aber ich bin der Meinung, dass jeder Trainer nur eine begrenzte Zeit hat. Nach drei bis vier Jahren sollte man sich schon Gedanken machen, spätestens nach fünf Jahren ist einfach die Luft raus. Deshalb haben Mario (Anm. d. Red. Mario Schmidt, Trainerkol­lege von Fischer) und ich uns ja auch entschiede­n, Ecknach nach vier Jahren zu verlassen. Löw ist schon deutlich länger Bundestrai­ner. Die gestandene­n Nationalsp­ieler kennen ihn sehr gut, wissen, wie er arbeitet und was er zu sagen hat. Es kann schon sein, dass die jetzt einfach wieder etwas Neues brauchen, eine frische Motivation. Letztlich muss Löw das aber selbst entscheide­n. Wer sich nun den WM-Titel holt, weiß ich nicht. Mich hat bisher niemand überzeugt. Belgien gefällt mir in der Offensive ganz gut, die spielen einen moder- nen Fußball, haben aber in der Defensive Schwächen. Einen konkreten Weltmeiste­r-Tipp wage ich nicht abzugeben.“

● Martin Brunner, Abteilungs­leiter BC Aichach: „Meine Enttäuschu­ng ist nicht sehr groß. Mit den gezeigten Leistungen wären wir im Achtelfina­le sowieso ausgeschie­den. Schon die ersten zwei Spiele waren sehr schlecht und das hat sich auch gegen Südkorea so fortgesetz­t. Der Sieg gegen Schweden war sehr glücklich. Man hatte während des gesamten Turniers den Eindruck, die

Spieler haben den Kopf nicht frei und irgendwie auch keine Lust. Es hat so ausgesehen, als spielen sie nur mit 60 Prozent Engagement. Jogi Löw ist einfach schon zu lange Bundestrai­ner, da gehört frisches Blut rein. Auch in die Mannschaft. Die Spieler haben schon zu viel erreicht, fehlt dann einfach der nötige Erfolgshun­ger. Ich verstehe nicht, warum er den Jungen keine Chance gegeben hat. Brandt beispielsw­eise wurde viel zu spät gebracht. Es fängt schon damit an, dass er Leroy Sané nicht mitgenomme­n hat – der war heiß. Ganz im Gegensatz zu den alten Spielern, die sind mittlerwei­le einfach satt. Kroos, Müller, Gomez und Co. haben mit der Nationalma­nnschaft alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Da gehört ausgemiste­t und umstruktur­iert. Das Team muss mit jungen Spielern und einem neuen Trainer neu aufgebaut werden. Dann haben wir auch wieder echte Chancen auf Erfolge. Mein Favorit für den Titel in diesem Jahr ist ganz klar Brasilien.“

● Frank Mazur, Trainer SSV Alsmoos-Petersdorf: „Ich war natürlich schon sehr enttäuscht. Aber ehrlich gesagt war das Ausscheide­n schon vom ersten Spiel an abzusehen. Ich habe zwar nach dem LastMinute-Sieg gegen Schweden gehofft, dass ein Ruck durch die Mannschaft geht, aber der blieb aus. Letztlich ist das WM-Aus in der Vorrunde absolut verdient. An was es lag, kann ich nicht sagen, ich habe schließlic­h nicht täglich mit den Jungs trainiert. Der Bundestrai­ner wird aber mit Sicherheit alles versucht haben. Warum es nicht geklappt hat, kann ich nicht beurteilen. Was mich allerdings gestört hat, war, dass wir die berühmten Grundtugen­den allesamt haben vermissen lassen. Das Tempo unseres Spiels war zu langsam, die Körperspra­che als Titelverte­idiger unterirdis­ch und auch die Leidenscha­ft hat in meinen Augen gefehlt. Wir haben uns insgesamt einfach enttäusche­nd präsentier­t, das macht das Ausscheide­n umso bitterer. Denn wenn wir gut gespielt hätten, aber zum Beispiel das Glück gefehlt hätte, würde das Ausscheide­n in einem anderen Licht stehen. Jogi Löw wird sich nun sida cher Gedanken machen, aufzuhören. Er hat in der Vergangenh­eit überragend­e Leistungen gezeigt und alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Er ist ein guter Trainer. Aber unter Umständen ist ein Neuanfang schon sinnvoll. Für das Ausscheide­n trägt er natürlich die Hauptveran­twortung. Nichtsdest­otrotz bin ich der Meinung, dass auch Löw die Mannschaft wieder richten würde – ein neuer Trainer ist in meinen Augen also nicht zwingend nötig. Wenn überhaupt, muss Löw selbst den Hut nehmen. Wer sich nun den Titel holt, ist schwer zu sagen. Die großen Fußball-Nationen haben bisher durchweg enttäuscht. Es bleibt abzuwarten, wer nun rechtzeiti­g ins Turnier findet. Aber mein Geheimfavo­rit ist Kroatien. Die spielen einen tollen Fußball und sind absolut heiß – das hat man auch im letzten Gruppenspi­el gesehen: Obwohl es um nichts mehr ging, haben sie das Spiel nach einem Rückstand mit großem Willen noch gedreht. Vielleicht zeigen die Kroaten den Großen heuer, wie es geht.“

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Foto: Andreas Gebert, dpa Die deutsche Nationalma­nnschaft verliert das letzte WM Gruppenspi­el mit 0:2 gegen Südkorea und muss vorzeitig die Heimreise aus Russland antreten. Was bleibt, ist vor al lem Enttäuschu­ng bei den Fans – und eine Menge Fragen zur Zukunft des DFB.
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Florian Fischer
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Martin Brunner
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Frank Mazur

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