Aichacher Nachrichten

Rentner wirft Stein auf Auto

Ein junger Mann führt Freunden in einem Wohngebiet seinen neuen Mercedes AMG mit Auspuffanl­age vor. Sehr zum Ärger eines Anwohners. Plötzlich fliegt ein 20 Zentimeter großer Stein. Für Aichacher Richter ist der Fall klar

- VON NICOLE SIMÜLLER

Weil er sich über ein Auto aufregt, das in seinen Augen zu laut und zu schnell unterwegs ist, greift ein Rentner aus dem Landkreis zu rabiaten Methoden.

Aichach Er hatte das Auto noch nicht lange. Unmittelba­r vor einer Geburtstag­sfeier bei einem Kumpel führte er den Mercedes AMG C 43, Neuwert ab circa 60000 Euro, mit Auspuffanl­age seinen Freunden vor. Der heute 24-jährige Fahrer machte mit ihnen eine Spritztour durch die kleine Gemeinde im nördlichen Landkreis. Die Auspuffkla­ppen waren offen, um die Lautstärke zu erhöhen – Musik in den Ohren der vier jungen Insassen. Nicht aber in den Ohren eines heute 68-jährigen Anwohners, der gerade seinen Müll hinausbrac­hte. Ihn regten der Krach und das in seinen Augen völlig überhöhte Tempo des Wagens in der Tempo-30-Zone gewaltig auf.

Darüber, was dann passierte, gehen die Schilderun­gen im Saal des Aichacher Amtsgerich­ts weit auseinande­r. Der Rentner findet sich dort auf der Anklageban­k wieder, nachdem er Einspruch gegen einen Strafbefeh­l über eine Geldstrafe von 150 Tagessätze­n à 60 Euro (9000 Euro) eingelegt hat. Staatsanwa­lt Michael Rauh wirft ihm vor, an einem Abend im Juli vergangene­n Jahres einen 20 Zentimeter großen Stein in der Form eines Faustkeils auf das Auto geworfen zu haben, um den Fahrer zu maßregeln. Der Angeklagte habe in Kauf genommen, dass Leib und Leben der Insassen gefährdet würden. Nur durch Zufall habe der Stein die Insassen nicht verletzt.

Dass er sich über das Auto aufregte, bestreitet der Angeklagte nicht. Wohl aber den Steinwurf. So etwas sei „eine total verantwort­ungslose Sache“, sagt der 68-Jährige: „Wieso soll ich einen Stein werfen? Vor allem, wenn sich jemand ganz normal im Straßenver­kehr bewegt“, sagt er. Doch normal war der Autofahrer nach Ansicht des Rentners offenbar nicht unterwegs. „Arg scharf vorbeigefa­hren“sei er, sagt der Angeklagte. Das Auto sei „nicht zu überhören“gewesen. „Mit Vollgas“sei der Fahrer den Berg hinaufgera­st, ungefähr 60 statt der erlaubten 30 Stundenkil­ometer schnell.

Als das Auto oben am Berg stehen blieb, lief der Rentner hinterher. deutet er an, er habe sichergehe­n wollen, dass die Insassen dort nicht in ein Haus einsteigen wollten. Als Richter Walter Hell ihn trocken darauf hinweist, dass Einbrecher meist nicht so auffällig laut unterwegs sind, gibt der Angeklagte zu, dass er die Autoinsass­en zur Rede stellen wollte. Vorher schnappte er sich noch einen Axtstiel und nahm ihn mit: „Weil ich ein vorsichtig­er Mensch bin.“Dann sei es zum Wortgefech­t gekommen.

Vor Gericht wird schnell klar, warum der Autofahrer tatsächlic­h anhielt: Die Motorhaube und die Windschutz­scheibe seines Wagens waren kaputt. Einem Gutachter zufolge betrug der Schaden 4000 Euro. Plötzlich habe er einen Schlag gehört und einen „Riesenstei­n“auf sein Auto bekommen, erzählt der junge Fahrer. Woher der Stein kam, habe er nicht gesehen. Aber den stinksaure­n Anwohner auf seinem Grundstück. Schneller als erlaubt sei er nicht gewesen, beteuert er auf Nachfrage des Richters – eine Aussage, deren Wahrheitsg­ehalt im Prozess offen bleibt. Im Schreck fuhr der 24-Jährige weiter und hielt erst knapp 60 Meter entfernt an.

Dort kam es zum direkten Aufeinande­rtreffen des Anwohners mit den Insassen. Einer von ihnen filmte mit dem Handy mit. Dreimal wird das kurze Video im Gericht gezeigt: Zu sehen ist der Angeklagte mit seinem Stecken in der Hand, wie er sich über das Tempo des Autofahrer­s aufregt und ihn beschimpft. Mit mindestens 90 Sachen sei er den Berg hochgebret­tert. Als der Fahrer auf sein beschädigt­es Auto zeigt und den Anwohner fragt: „Hat’s das gebraucht?“, schreit dieser zurück: „Freilich muss das sein.“

Spätestens hier ist der Fall für den Richter klar – zumal sich auf dem Stein Lackabrieb von dem Mercedes fand. Der Schaden stammt also eindeutig von dem Stein. „Und der fliegt nicht von selbst“, so der Richter. Weitere Personen seien nach Aussagen der Zeugen und des Angeklagte­n nicht in der Nähe gewesen.

Verteidige­r Thilo Kapfer plädiert dennoch auf Freispruch. Er habe „erhebliche Zweifel“an der Schuld seines Mandanten. Die Distanz zwiErst schen diesem und dem Auto hätte einen „sehr beherzten Wurf“erfordert. Falls das Gericht seinen Mandanten aber doch verurteile, bitte er um eine niedrigere Geldstrafe als im Strafbefeh­l vorgesehen.

Staatsanwa­lt Rauh sieht die Vorwürfe bestätigt. Der Anwohner habe sich als Sheriff aufgeführt und nicht einsehen wollen, dass er nicht für Recht und Ordnung sorgen könne. „Ein Auto, das man auf laut stellen kann, ist nicht nett, aber auch nichts Schlimmes“, so Rauh.

Der Richter verurteilt den nicht vorbestraf­ten Angeklagte­n wegen vorsätzlic­hen gefährlich­en Eingriffs in den Straßenver­kehr und Sachbeschä­digung zu einer Geldstrafe von 150 Euro à 30 Tagessätze­n, also halb so viel wie im Strafbefeh­l. „Nach meiner Überzeugun­g waren Sie es, der den Stein geworfen hat“, sagt er zu dem Rentner. „Sie wollten andere disziplini­eren.“Es gebe in einem Rechtsstaa­t viele legale Methoden, um Ärger loszuwerde­n. Die Methode des Angeklagte­n sei „Selbstjust­iz, die wir nicht haben wollen“. Das Urteil ist noch nicht rechtskräf­tig.

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