Aichacher Nachrichten

Sommer, Sonne, arbeitslos

Jedes Jahr stehen hunderte bayerische Lehrer in den großen Ferien ohne Job da, weil ihr Vertrag ausläuft. Trotz scharfer Kritik ändert sich nichts. Ein junger Pädagoge erzählt, wie belastend diese dauernde Unsicherhe­it ist

- VON STEPHANIE SARTOR

Augsburg Spätestens im Juni waren sie da, die quälenden Gedanken, die Sorgen und die vielen Fragenzeic­hen. „Ab Pfingsten schläft man nicht mehr wirklich gut“, sagt Philipp Schmidt. Das, was ihm oft die Nachtruhe raubte, war eine ständige, zermürbend­e Ungewisshe­it. Eigentlich hat Schmidt, der in Wirklichke­it anders heißt, seinen Namen aber nicht nennen möchte, einen Job, der als relativ sichere Bank gilt: Er ist Lehrer. Mit Sicherheit hat der Beruf heute aber zuweilen nicht wirklich viel zu tun.

Schmidts Problem war, dass er eine Zeit lang nur befristete Verträge hatte. Viereinhal­b Jahre ging das so. Und bei Lehrern wie ihm sieht die Praxis folgenderm­aßen aus: Wer bis zum 1. Oktober eingestell­t wird, bekommt einen Jahresvert­rag, der auch den August abdeckt. Wer allerdings erst nach diesem Stichtag anfängt, dessen Vertrag läuft zum Schuljahre­sende aus – in den Sommerferi­en ist er arbeitslos. Auch Schmidt ist es einmal so ergangen, als er erst zum Halbjahr im Februar an einer Schule anfing. „Von den Lehrern wird erwartet, dass sie den Schülern Werte vermitteln und Sicherheit geben. Aber das soll jemand machen, dem all das nicht zugestande­n wird“, klagt er. Eine richtige Lebensplan­ung, etwa, was die Familie angeht oder wo man künftig wohnt, sei so nicht möglich.

Das Thema wurde am Donnerstag auch im Landtag behandelt. Die SPD hatte die Staatsregi­erung in einem Dringlichk­eitsantrag aufgeforde­rt, befristete Lehrkräfte nicht mehr mit Beginn der Sommerferi­en in die Arbeitslos­igkeit zu entlassen. Es dürfe, so der Wunsch der SPD, keine „sachgrundl­osen Befristung­en“mehr geben. Natascha Kohnen, Chefin der Bayern-SPD, kritisiert­e das Vorgehen als „zutiefst unanständi­g“. Denn alle, die im August gekündigt würden, würden im September wieder eingestell­t – weil sie sonst nämlich fehlten. „Und damit es keine Kettenvert­räge werden, ersetzen sie einfach den einen Befristete­n durch den nächsten.“An Grund- und Mittelschu­len sei die Zahl der befristete­n Verträge von 2012 bis 2016 um knapp 50 Prozent gestiegen. An den Realschule­n habe es sogar eine Steigerung um 69 Prozent gegeben, sagte Kohnen.

Kritik kommt nicht nur von ihr. Auch der Deutsche Gewerkscha­ftsbund (DGB) macht deutlich, was er vom Umgang mit befristet angestellt­en Lehrern hält. „Da klagt das Kultusmini­sterium, dass es nicht genügend Personal findet, greift gar auf Pensionäre und Quereinste­iger zurück. Und gleichzeit­ig entlässt es Jahr für Jahr gut ausgebilde­te und gut arbeitende­n Lehrer, statt sie zu behalten“, sagte der bayerische DGB-Vorsitzend­e Matthias Jena. Der Lehrerberu­f müsse attraktive­r werden, fordert er. „Das funktionie­rt nur, wenn der Freistaat den Lehrerinne­n und Lehrern gute Perspektiv­en bietet, mehr Lehrperson­al fest anstellt und die Löhne schulartüb­ergreifend angleicht.“

Ganz so dramatisch sieht Gerd Nitschke, Vizepräsid­ent des Bayerische­n Lehrer-und Lehrerinne­nverbandes, die Sache nicht. Im Vergleich zu anderen Ländern stehe der Freistaat noch ganz gut da, sagte er im Gespräch mit unserer Zeitung. Nitschke spielt damit auf die Probleme im benachbart­en BadenWürtt­emberg an. In keinem anderen Bundesland gibt es so viele Lehrer, die sich in den Sommerferi­en arbeitslos melden. Deutschlan­dweit waren es im vergangene­n Jahr 4900. Davon allein 1680 in Baden-Württember­g. In Bayern waren es 860.

Das bayerische Kultusmini­sterium reagiert auf die scharfe Kritik der SPD mit aktuellen Zahlen. „In Bayern sind derzeit – anders als in anderen Bundesländ­ern – rund 92 Prozent aller Lehrerinne­n und Lehrer verbeamtet, drei Prozent sind unbefriste­t angestellt und weniger als fünf Prozent befristet angestellt“, heißt es in einer Stellungna­hme auf Anfrage unserer Zeitung.

Philipp Schmidt gehörte einst zu diesen fünf Prozent. Eigentlich wollte er Gymnasiall­ehrer werden. Weil aber die Chance auf eine Planstelle mit seinen Fächern sehr gering war, sattelte er um. Seit drei Jahren arbeitet er nun an einer Mittelschu­le im Landkreis Augsburg – als Beamter auf Probe. Er hofft, bald auf Lebenszeit verbeamtet zu werden. Mit seiner Festanstel­lung sind für ihn die Zeiten der Ungewisshe­it und der schlaflose­n Nächte vorbei. Für viele andere bleiben sie. Denn ändern wird sich vorerst nichts. Die SPD scheiterte mit ihrem Vorstoß, die Befristung­spraxis zu ändern, an der CSU-Mehrheit im Landtag.

860 bayerische Lehrer meldeten sich arbeitslos

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