„This is the American Forces Network“
Der vor 75 Jahren gestartete amerikanische Soldatensender AFN brachte den Rock’n’Roll nach Deutschland. Und nicht nur das. Noch heute hat er Kultstatus und viele Fans
Radiohören, sagt Rainer Holbe, sei in seiner Jugend außerordentlich spannend gewesen. Kein Wunder: Es gab ja sonst nichts. Das deutsche Fernsehen hat zwar 1953 seinen Sendebetrieb aufgenommen, aber nur die wenigsten Haushalte besaßen ein Empfangsgerät. Deshalb erinnert sich der in Frankfurt aufgewachsene 78-jährige TV-Moderator mit Begeisterung an AFN.
Holbes bekannteste Show ist die „Starparade“im ZDF (1968 bis 1980), aber in den 70ern hat er auch für Radio Luxemburg moderiert. In dieser Zeit sei AFN ein großes Vorbild gewesen. „Und das nicht nur, weil sie immer die neueste Musik hatten. Uns hat vor allem die Lässigkeit sehr imponiert“, sagt er. American Forces Network startete am 4. Juli 1943 in London. Der Soldatensender erreichte zwar nur eine deutsche Minderheit, aber diese beeinflusste er stark, sagt Historikerin Anja Schäfers.
Unter den jugendlichen AFNFans seien auffällig viele spätere Multiplikatoren gewesen, erklärt sie. Lehrer, Künstler und Schriftsteller, Politiker wie etwa Joschka Fischer und Rundfunkschaffende. Sie alle haben noch die Ansage im Ohr: „This is the American Forces Network Europe.“Schäfers, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni Münster, hat ihre Dissertation über AFN geschrieben. „Ich war
neugierig, was hinter der Legende steckt“, sagt sie. Die Legende geht so: AFN habe den Rock’n’Roll nach Deutschland gebracht und den hiesigen Hörfunk revolutioniert. Schäfers 2014 im Franz Steiner Verlag erschienenes Buch trägt jedoch nicht umsonst den Titel „Mehr als
Rock’n’Roll – Der Radiosender AFN bis Mitte der sechziger Jahre“: „Für viele Eltern, Lehrer und Hörfunkredakteure war der Sender ein rotes Tuch“, sagt Schäfers. „Sie betrachteten ihn als Dudelfunk, der nur ‚Negermusik‘ spielt.“Dabei habe es bei AFN nicht nur jede Art von Musik gegeben, sondern auch Info- und Bildungssendungen. Anders als heute war aber nur ein Bruchteil der Bevölkerung des Englischen mächtig. Umso höher ist Schäfers Wertschätzung für diese Minderheit, die sie als „neugierig, weltoffen und in gewisser Weise sogar abenteuerlustig“einstuft.
Diese Hörer hätten auch ohne größere Englischkenntnisse spüren können, dass die AFN- Moderatoren ein anderes Verhältnis zu ihrer Hörerschaft hatten als ihre deutschen Kollegen mit ihrem Bekenntnis zur Hochkultur, sagt Schäfers. „Bei AFN waren zum ersten Mal Moderatoren zu hören, die sich nicht als Oberlehrer aufspielten.“Für die sogenannte Flakhelfergeneration, also die Jahrgänge um 1930, sei AFN zudem ein Symbol für die Befreiung vom Nationalsozialismus gewesen.
Selbst in den 60er Jahren, ergänzt der 1953 geborene Medienwissenschaftler Gerd Hallenberger, war AFN „angesichts des spärlichen Beat- und Rockangebots bundesdeutscher Sender eine Oase inmitten musikalischer Ödnis“. Außerdem habe der Sender ganz erheblich zum Spracherwerb beigetragen. Das konnte allerdings auch unliebsame Nebenwirkungen haben: Schülerinnen, deren Englisch amerikanisch klang, wurden schief angeschaut. Aber nicht, weil sie AFN hörten, sondern weil ihre Lehrer vermuteten, sie hätten heimlichen Umgang mit amerikanischen Soldaten.