Aichacher Nachrichten

Wie alt ist der junge Flüchtling wirklich?

Ein Pakistani macht sich um sechs Jahre jünger, weil er auf bessere Startchanc­en hofft. Er lebt im Heim, fliegt später wegen Betrugs auf, steht in Aichach vor Gericht und muss jetzt mit der Ausweisung rechnen. Ein Fall wirft Fragen auf

- VON CHRISTIAN LICHTENSTE­RN

Aichach Friedberg Junge Leute machen sich manchmal älter – für den Eintritt bei einer Veranstalt­ung oder um an Alkohol zu kommen. Wenn’s auffliegt, gibt es ziemlich sicher mächtig Ärger, aber es bricht nicht die ganze Welt zusammen. Als er in Deutschlan­d ankam, war er 22 und machte sich jünger – gleich um sechs Jahre. Warum? Als unbegleite­ter minderjähr­iger Flüchtling hoffte er auf bessere Startchanc­en. Für einen Pakistani beendet diese Lüge seinen Lebenstrau­m. Er wurde vor Kurzem am Aichacher Amtsgerich­t wegen Betrugs zu einem Jahr Freiheitss­trafe auf Bewährung verurteilt und muss jetzt als abgelehnte­r und vorbestraf­ter Asylbewerb­er mit seiner Ausweisung rechnen (wir berichtete­n).

Das ist beileibe kein Einzelfall und wirft Fragen auf. Regelmäßig gibt es Berichte über falsche Altersanga­ben und nach Straftaten junger Migranten wird die Frage gestellt, wieso sich die zuständige­n Behörden anlügen lassen. Im Fall des heute 28-jährigen Pakistani, der 2012 ins Land kam und sich in einer Erstaufnah­meeinricht­ung als Minderjähr­i- ger ohne Papiere meldete, war ein Jugendamt an der Grenze für die Altersprüf­ung zuständig, sagt Wolfgang Müller, Pressespre­cher des Landratsam­tes, auf Anfrage unserer Zeitung. Dort finde eine Art Interview mit den Flüchtling­en statt. Erscheint die Selbstausk­unft schlüssig, wird der „Jugendlich­e“in Obhut genommen. Dem Jugendamt in Aichach werden dann später solche Flüchtling­e zugewiesen. Derzeit sind es 42 unbegleite­te minderjähr­ige Flüchtling­e, so Müller. Deutlich weniger als vor zwei Jahren, als der Kreis zum Höhepunkt der Flüchtling­swelle für über 90 junge Menschen zuständig war.

Wer noch nicht volljährig ist, wird nach dem Jugendhilf­erecht beurteilt und nicht nach dem Asyloder Ausländerr­echt. Zumindest solange er nicht volljährig ist, wird er altersgere­cht betreut und kann beispielsw­eise nicht abgeschobe­n werden. Die Betreuung von Jugendlich­en verursacht generell hohe Kosten – ob Deutscher oder Migrant: Rund 40000 Euro im Jahr gibt der Kreis im Schnitt für einen jungen und unbegleite­ten Flüchtling aus, so Jugendamts­leiter Bernd Rickmann bei einer Vorstellun­g seines Budgets für das vergangene Jahr im Kreistag. Die Kalkulatio­n wurde dabei bereits deutlich gegenüber früheren Ansätzen reduziert, weil nicht jeder dieser Jugendlich­en vollstatio­när (also im Heim) betreut werden muss.

Der jetzt in Aichach vor Gericht stehende Pakistani wurde verurteilt, weil er das Gemeinwese­n um rund 45 000 Euro betrogen hat. Er hat das Geld aber nicht direkt bekommen, wie das Urteil auch fälschlich interpreti­ert wurde. Diese Leistungen sind für seine Unterbring­ung in einem Heim ausgegeben worden, bestätigt Pressespre­cher Müller. Im Glauben, er sei minderjähr­ig, beantragte seine Betreuerin beim Jugendamt sogenannte Hilfe zur Erziehung. Bewilligt wurden über 35 000 Euro. Für einen Erwachsene­n hätte der Kreis im gleichen Zeitraum weniger als 5000 Euro ausgegeben. Beim zweiten Antrag verursacht die falsche Altersanga­be 15 000 Euro an Mehrkosten.

Der Schwindel sei in diesem Fall aufgefloge­n, weil sich der Flüchtling im laufenden Asylverfah­ren in Widersprüc­he verheddert­e, erläutert Müller. Sein Antrag wurde zwar abgelehnt, doch weil der junge Mann mittlerwei­le eine Arbeitsste­lle hatte und integriert war, bestand die Chance für eine Aufenthalt­serlaubnis. Die Behörden machten aber Druck und wollten jetzt Personalpa­piere sehen. Ein Onkel aus seinem Heimatland besorgte ihm eine Geburtsurk­unde. Die machte ihn um die sechs Jahre jünger, fiel bei den zuständige­n Behörden aber offenbar schnell als Fälschung auf, sagt Pressespre­cher Müller. Die schalteten die Staatsanwa­ltschaft ein.

Schlepper raten jungen Menschen auf der Flucht, sich jünger zu machen, um dadurch Vorteile zu erlangen. Das wissen natürlich auch die Behörden. Bei „erhebliche­n Zweifeln“an der Selbstausk­unft könne das Jugendamt eine Prüfung des Alters durch einen Arzt anordnen, beschreibt Müller die Vorgehensw­eise. Allerdings sei die auch nicht genau und könne um ein halbes oder gar um ein Jahr differiere­n.

Bis dato sind solche medizinisc­hen Prüfungen in Deutschlan­d auch eher die Ausnahme. Diese Untersuchu­ng darf nämlich nicht gegen den Willen des Betroffene­n erfolgen. Immer wieder werden Stimmen laut, die eine obligatori­sche medizinisc­he Altersbest­immung fordern, wenn sich Flüchtling­e als minderjähr­ig melden. In Schweden ordnete die Regierung 2016 die Altersüber­prüfung aller mutmaßlich minderjähr­igen Flüchtling­e an, an deren Altersanga­ben Zweifel bestanden. Bei rund 8000 untersucht­en Jugendlich­en wurde festgestel­lt, dass knapp 80 Prozent älter waren als 18.

Flüchtling hat das Geld nicht direkt bekommen

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Symbolfoto: M. Diemand Er besorgte gefälschte Papiere – so flog auf, dass der Flüchtling bei der Altersanga­be ge logen hatte.

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