Wie alt ist der junge Flüchtling wirklich?
Ein Pakistani macht sich um sechs Jahre jünger, weil er auf bessere Startchancen hofft. Er lebt im Heim, fliegt später wegen Betrugs auf, steht in Aichach vor Gericht und muss jetzt mit der Ausweisung rechnen. Ein Fall wirft Fragen auf
Aichach Friedberg Junge Leute machen sich manchmal älter – für den Eintritt bei einer Veranstaltung oder um an Alkohol zu kommen. Wenn’s auffliegt, gibt es ziemlich sicher mächtig Ärger, aber es bricht nicht die ganze Welt zusammen. Als er in Deutschland ankam, war er 22 und machte sich jünger – gleich um sechs Jahre. Warum? Als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling hoffte er auf bessere Startchancen. Für einen Pakistani beendet diese Lüge seinen Lebenstraum. Er wurde vor Kurzem am Aichacher Amtsgericht wegen Betrugs zu einem Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt und muss jetzt als abgelehnter und vorbestrafter Asylbewerber mit seiner Ausweisung rechnen (wir berichteten).
Das ist beileibe kein Einzelfall und wirft Fragen auf. Regelmäßig gibt es Berichte über falsche Altersangaben und nach Straftaten junger Migranten wird die Frage gestellt, wieso sich die zuständigen Behörden anlügen lassen. Im Fall des heute 28-jährigen Pakistani, der 2012 ins Land kam und sich in einer Erstaufnahmeeinrichtung als Minderjähri- ger ohne Papiere meldete, war ein Jugendamt an der Grenze für die Altersprüfung zuständig, sagt Wolfgang Müller, Pressesprecher des Landratsamtes, auf Anfrage unserer Zeitung. Dort finde eine Art Interview mit den Flüchtlingen statt. Erscheint die Selbstauskunft schlüssig, wird der „Jugendliche“in Obhut genommen. Dem Jugendamt in Aichach werden dann später solche Flüchtlinge zugewiesen. Derzeit sind es 42 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, so Müller. Deutlich weniger als vor zwei Jahren, als der Kreis zum Höhepunkt der Flüchtlingswelle für über 90 junge Menschen zuständig war.
Wer noch nicht volljährig ist, wird nach dem Jugendhilferecht beurteilt und nicht nach dem Asyloder Ausländerrecht. Zumindest solange er nicht volljährig ist, wird er altersgerecht betreut und kann beispielsweise nicht abgeschoben werden. Die Betreuung von Jugendlichen verursacht generell hohe Kosten – ob Deutscher oder Migrant: Rund 40000 Euro im Jahr gibt der Kreis im Schnitt für einen jungen und unbegleiteten Flüchtling aus, so Jugendamtsleiter Bernd Rickmann bei einer Vorstellung seines Budgets für das vergangene Jahr im Kreistag. Die Kalkulation wurde dabei bereits deutlich gegenüber früheren Ansätzen reduziert, weil nicht jeder dieser Jugendlichen vollstationär (also im Heim) betreut werden muss.
Der jetzt in Aichach vor Gericht stehende Pakistani wurde verurteilt, weil er das Gemeinwesen um rund 45 000 Euro betrogen hat. Er hat das Geld aber nicht direkt bekommen, wie das Urteil auch fälschlich interpretiert wurde. Diese Leistungen sind für seine Unterbringung in einem Heim ausgegeben worden, bestätigt Pressesprecher Müller. Im Glauben, er sei minderjährig, beantragte seine Betreuerin beim Jugendamt sogenannte Hilfe zur Erziehung. Bewilligt wurden über 35 000 Euro. Für einen Erwachsenen hätte der Kreis im gleichen Zeitraum weniger als 5000 Euro ausgegeben. Beim zweiten Antrag verursacht die falsche Altersangabe 15 000 Euro an Mehrkosten.
Der Schwindel sei in diesem Fall aufgeflogen, weil sich der Flüchtling im laufenden Asylverfahren in Widersprüche verhedderte, erläutert Müller. Sein Antrag wurde zwar abgelehnt, doch weil der junge Mann mittlerweile eine Arbeitsstelle hatte und integriert war, bestand die Chance für eine Aufenthaltserlaubnis. Die Behörden machten aber Druck und wollten jetzt Personalpapiere sehen. Ein Onkel aus seinem Heimatland besorgte ihm eine Geburtsurkunde. Die machte ihn um die sechs Jahre jünger, fiel bei den zuständigen Behörden aber offenbar schnell als Fälschung auf, sagt Pressesprecher Müller. Die schalteten die Staatsanwaltschaft ein.
Schlepper raten jungen Menschen auf der Flucht, sich jünger zu machen, um dadurch Vorteile zu erlangen. Das wissen natürlich auch die Behörden. Bei „erheblichen Zweifeln“an der Selbstauskunft könne das Jugendamt eine Prüfung des Alters durch einen Arzt anordnen, beschreibt Müller die Vorgehensweise. Allerdings sei die auch nicht genau und könne um ein halbes oder gar um ein Jahr differieren.
Bis dato sind solche medizinischen Prüfungen in Deutschland auch eher die Ausnahme. Diese Untersuchung darf nämlich nicht gegen den Willen des Betroffenen erfolgen. Immer wieder werden Stimmen laut, die eine obligatorische medizinische Altersbestimmung fordern, wenn sich Flüchtlinge als minderjährig melden. In Schweden ordnete die Regierung 2016 die Altersüberprüfung aller mutmaßlich minderjährigen Flüchtlinge an, an deren Altersangaben Zweifel bestanden. Bei rund 8000 untersuchten Jugendlichen wurde festgestellt, dass knapp 80 Prozent älter waren als 18.
Flüchtling hat das Geld nicht direkt bekommen