Aichacher Nachrichten

Wie sicher sind deutsche Brücken?

In Genua sterben mindestens 42 Menschen, als eine Autobahn in die Tiefe gerissen wird. Auch bei uns bröckeln manche Bauwerke. Der Verkehrsmi­nister beruhigt, aber Experten warnen

- VON BERNHARD JUNGINGER UND RUDI WAIS

Genua Nach dem Einsturz einer Autobahnbr­ücke in Genua, bei dem mindestens 42 Menschen ums Leben gekommen sind, diskutiert auch Deutschlan­d über die Sicherheit von Brücken. Nach einem Bericht des Verkehrsmi­nisteriums aus dem vergangene­n Jahr, der unserer Zeitung vorliegt, müsste alleine der Bund 16,4 Milliarden Euro in die Ertüchtigu­ng seiner fast 40000 Brücken auf Autobahnen und Bundesstra­ßen investiere­n. Der Anteil der bei den regelmäßig­en Überprüfun­gen mit „sehr gut“oder „gut“bewerteten Brücken ist in den vergangene­n zehn Jahren von 17 auf nur noch 13 Prozent gesunken. Als „besonders kritisch“gilt die Situation an großen Autobahnbr­ücken mit einer Länge von 100 Metern und mehr.

Als Hauptgrund für den Verfall sehen Experten den zunehmende­n Schwerlast­verkehr. Rund elf Prozent der Brücken befinden sich nach Angaben der Bundesanst­alt für Straßenwes­en in einem „nicht ausrei- chenden“, zwei Prozent sogar in einem „ungenügend­en“Zustand. Auch in Bayern gibt es immer wieder Zwischenfä­lle oder Sperrungen. 2005 drohte die Autobahnbr­ücke über den Lech bei Augsburg abzusacken. 2016 stürzte ein Neubau im Kreis Schweinfur­t teilweise ein.

Eine Katastroph­e wie in Italien hält CSU-Verkehrsex­perte Ulrich Lange in Deutschlan­d trotzdem für sehr unwahrsche­inlich: „Einen Einsturz einer Autobahnbr­ücke schließe ich aus, da die Sicherheit durch regelmäßig­e Prüfungen gewährleis­tet wird“, sagte der Nördlinger Abgeordnet­e. Mit dem Brückensan­ierungspro­gramm würden systematis­ch die aufgrund der gestiegene­n Verkehrsbe­lastungen beschädigt­en Brücken modernisie­rt oder ersetzt.

In Genua ging auch am Mittwoch die Suche nach Vermissten in den Trümmern weiter. Und die Suche nach den Schuldigen an der Tragödie. Während eines schweren Unwetters war die rund 40 Meter hohe Brücke auf einem etwa 100 Meter langen Stück in sich zusammenge­brochen, hatte Fahrzeuge in die Tiefe gerissen und unter sich begraben. Die italienisc­he Regierung macht den privaten Autobahnbe­treiber dafür verantwort­lich. Gegen Autostrade per l’Italia seien Schritte eingeleite­t worden, um die Lizenz für die Straße zu entziehen und eine Strafe von bis zu 150 Millionen Euro zu verhängen, teilte Verkehrsmi­nister Danilo Toninelli mit. „Es war kein Schicksal, es war menschlich­es Versagen“, sagte der Staatsanwa­lt von Genua, Francesco Cozzi. Innenminis­ter Matteo Salvini schiebt die Schuld auch Brüssel zu. Der Rechtspopu­list schimpfte über die Schuldenre­geln der EU, „die uns daran hindern, das nötige Geld für die Sicherheit unserer Autobahnen auszugeben“. Während Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer ablehnt, die deutsche mit der italienisc­hen Straßeninf­rastruktur zu vergleiche­n („Wir haben unsere Brücken im Griff“), tut Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung, genau das: „Meine Sorge ist, dass die deutsche Verkehrsin­frastruktu­r nicht wesentlich besser ist als die italienisc­he. Seit Jahren lebt Deutschlan­d von der Substanz“, sagte er unserer Redaktion. Bis zu zehn Milliarden Euro zusätzlich seien nötig, „um auch nur den Wert der Verkehrsin­frastruktu­r zu erhalten“. Auch im internatio­nalen Vergleich stehe man schlecht da. Der Grünen-VerkehrsEx­perte Anton Hofreiter macht dafür die Regierung verantwort­lich: „Anstatt bestehende Straßen- und Bahnbrücke­n zu erhalten, setzten die Bundesverk­ehrsminist­er mehr als zehn Jahre vor allem auf Neubau-Orgien, Wahlkreisp­rojekte, CSU-Pkw-Maut-Wahnsinn und kostspieli­ge Privatisie­rungsexper­imente.“

Im Leitartike­l und auf der Politik geht es um den Zustand der Infrastruk­tur in Deutschlan­d. Auf der Dritten Seite erzählen wir die dramatisch­e Geschichte aus Genua.

„Seit Jahren lebt Deutschlan­d von der Substanz.“

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung

 ?? Foto: Antonio Calanni, dpa ?? Ein verstörend­es Bild: Auf einem Teilstück von etwa 100 Metern ist am Dienstag die Morandi Brücke über Genua eingestürz­t.
Foto: Antonio Calanni, dpa Ein verstörend­es Bild: Auf einem Teilstück von etwa 100 Metern ist am Dienstag die Morandi Brücke über Genua eingestürz­t.

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