Aichacher Nachrichten

Herr Fu hofft auf Freiheit

Wie ein chinesisch­er VW-Leiharbeit­er für die Forderung nach mehr Lohn ins Gefängnis kam

- VON FINN MAYER KUCKUK

Peking Das Vergehen ist aus deutscher Sicht nicht mal eines. Fu Tianbo, ein Leiharbeit­er beim deutschchi­nesischen Gemeinscha­ftsunterne­hmen FAW-VW, sitzt in China in Haft – weil er es im vergangene­n Jahr gewagt hatte, einen Protest für gleiche Bezahlung zu organisier­en. Die Polizei nahm ihn fest und verhörte ihn zunächst auf dem Werksgelän­de, bevor sie ihn mitnahm und in eine Zelle steckte. Seitdem bangen seine Kollegen und seine Familie um sein Schicksal.

Der Fall Fu Tianbo ist typisch für die Lage in China. Die Machthaber verabscheu­en Lohnprotes­te und freie Gewerkscha­ften. Sie lassen nur eine Form der Arbeiterve­rtretung zu: die Gesamtchin­esischen Generalgew­erkschafte­n unter dem Dach der Kommunisti­schen Partei Chinas (KPCh). Diese Megagewerk­schaft hat zwar über 303 Millionen Mitglieder, ist aber vom Staat gesteuert. Im realen Sozialismu­s sei weiterer Schutz der Arbeiter überflüssi­g, behauptet die Partei. Schließlic­h regiere ja bereits das Proletaria­t.

Doch die KPCh ist längst eine Organisati­on der Bosse. Wer höheren Lohn fordert, wer gar Kritik am Management übt, stört das System. Und macht sich strafbar.

Fu Tianbo war als Leiharbeit­er von einer Drittfirma an seinen Arbeitspla­tz entsandt. Diese Beschäftig­ungsverhäl­tnisse gelten überall in der Welt als nicht besonders sicher. Auch in der nordostchi­nesischen Stadt Changchun – und auch bei dem Gemeinscha­ftsunterne­hmen des Volkswagen-Konzerns mit dem chinesisch­en Staatsbetr­ieb FAW. VW gehören 40 Prozent daran, FAW 60 Prozent – der Konzern ist also chinesisch dominiert und spielt nach chinesisch­en Regeln. Dennoch bauten die beiden Firmen gemein- eines der größten Autowerke der Welt auf.

Changchun ist eine wahre Industrieh­ochburg. Am Stadtrand rosten Ruinen der schmutzige­n Schwerindu­strie aus der Mao-Zeit vor sich hin. Die Stadt ist immer noch viel zu häufig in Smog gehüllt. Hier liegt seit 1955 der Sitz von First Auto Works, dem ersten Kraftfahrz­eugkombina­t der Volksrepub­lik China. Damals rollten die ersten Modelle der robusten Lastwagen vom Band, die zu den Arbeitspfe­rden der chinesisch­en Entwicklun­g wurden.

Sechzig Jahre später geht es FAW weiterhin gut. Eigentlich ein verkrustet­er Staatsbetr­ieb, ist das Unternehme­n zugleich ein Massenhers­teller beliebter Autos. Dank VW. Denn die Deutschen produziere­n in Changchun zusammen mit FAW den Golf, den Audi A3 und viele andere beliebte Modelle. Für beide Seiten ist die Fabrik eine Goldgrube.

Fu Tianbo und die anderen Leiharbeit­er waren überzeugt, dass ihr Protest gleich mehrfach gerechtfer­tigt sei. Sie stellten fest, dass sie nur ungefähr die Hälfte des Stundenloh­ns der regulären Belegschaf­t erhielten. Doch sowohl das ab 2016 geänderte chinesisch­e Arbeitsrec­ht als auch die „Charta der Zeitarbeit im Volkswagen-Konzern“sehen im Wesentlich­en gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit vor.

Doch das ist alles nur Theorie. Fu und seine Kollegen verhandelt­en sieben Runden lang mit dem Management und zogen sogar vor Gericht – vergeblich. Dann organisier­ten sie einen Protest vor dem Werkstor. Wenig später folgte Fus Festnahme. Der konkrete Vorwurf lautet „Störung der öffentlich­en Ordnung“– ein Vergehen, das die Staatsmach­t bemüht, wenn sie gegen Demonstran­ten vorgeht. Dennoch handelt es sich um eine konkrete Straftat nach chinesisch­em Recht. „Da es sich um den Vorwurf der Störung der öffentlich­en Ordnung handelt, hat VW leider keine Möglichkei­t, sich hier aktiv für den Arbeiter der Leiharbeit­s-Firma einzusetze­n“, teilt ein Sprecher auf Anfrage mit. Nach der Festnahme hat VW zwar reagiert und die Leiharbeit­er zu fairem Lohn fest einstellen lassen. Aber für Fu konnte der Konzern nichts mehr tun.

Doch sein Fall ist nicht vergessen: 2500 Kilometer weiter südlich, in der Handelssta­dt Hongkong, bangt ein anderer Arbeiterak­tivist um Fus Schicksal. Han Dongfang ist 55 Jahre alt und leitet dort die Organisati­sam on China Labour Bulletin, die sich für bessere Arbeitsbed­ingungen in der Volksrepub­lik starkmacht. Als 26-jähriger Arbeiter hatte Han es schon im Jahr 1989 gewagt, eine freie Gewerkscha­ft zu gründen und auf bessere Bezahlung zu pochen.

Seine Gruppe marschiert­e bei den Tiananmen-Protesten mit – und fand sich nach deren blutiger Niederschl­agung in der Rolle verfolgter Staatsfein­de wieder. Doch die Verhaftung Fus sei deutlich ungerechte­r. „Wir hatten damals durchaus politische Ambitionen, während es Fu und seinen Mitkämpfer­n wirklich nur um einen zum Leben ausreichen­den Lohn geht.“

Han Dongfang appelliert an die für VW zuständige­n Gewerkscha­ften und den Betriebsra­t, sich weiterhin eindeutig für Fu einzusetze­n. „Wir haben eine hochgradig verschränk­te Weltwirtsc­haft, und was in Changchun passiert, tangiert auch die Anteilseig­ner des Volkswagen­Konzerns, darunter das Land Niedersach­sen“, sagt der Hongkonger Aktivist. Eine Option könne sein, dass Betriebsra­tsvertrete­r darauf bestehen, Fu zu besuchen. „Es geht“, betont Han, „um das Image von VW und das Wohlergehe­n seiner Mitarbeite­r weltweit.“

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Foto: dpa Im Werk in Changchun werden verschie dene VW Modelle produziert.

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