Aichacher Nachrichten

Bei Air Berlin wird noch immer gearbeitet

Seit einem Jahr ist die Fluglinie insolvent, auf ihren Plätzen starten heute andere. Abgeschlos­sen ist die Pleite längst nicht

- B. Fraune und F. Höhnl, dpa

Berlin/Halle Man braucht schon etwas Glück, um in die Berliner Zentrale der einstigen zweitgrößt­en Fluggesell­schaft zu gelangen. Zwar prangt das große rote Logo von Air Berlin noch immer oben an der Bürofassad­e zwischen Kleingärte­n und Flughafen, doch am weißen Empfangssc­halter arbeitet niemand mehr. Es ist jetzt ein Jahr her, dass der Gesellscha­fter Etihad den Geldhahn zudrehte – und Air Berlin von einer Minute auf die nächste zahlungsun­fähig war.

An einem Sechseck aus dunklen Holztische­n tagte in dem Komplex aus Backstein und Glas der Vorstand. Jahrelang überlegten die Manager, wie sie die Gruppe mit 8000 Beschäftig­ten aus den roten Zahlen holen sollten. Heute sind die Jalousien herunterge­lassen, davor zwei Büropflanz­en. Neuer Herr im Haus ist jetzt der Insolvenzv­erwalter.

Ein Großteil seiner Arbeitszei­t investiert Lucas Flöther auch heute noch in die Aufarbeitu­ng der Pleite. Er ist oft in der Zentrale am Saatwinkle­r Damm. „Zwar sind die spektakulä­ren und vor allem sehr öffentlich­keitswirks­amen Teile des Verfahrens vorbei“, sagt er und spielt auf die zahlreiche­n Verkäufe von Unternehme­nsteilen samt Flugrechte­n an Lufthansa, Easyjet oder Niki Lauda an. Aber die eigentlich­e Arbeit habe erst angefangen.

Flöther muss das Unternehme­n „abwickeln“. Es gehe darum, „detektivis­ch Sachverhal­te herauszuar­beiten“, sagt er. Sein Team fordert etwa hinterlegt­e Kautionen von Flughäfen zurück, prüft Haftungsan­sprüche. Das kann gut noch zehn Jahre dauern, schätzt er. Das sei normal für ein Unternehme­n dieser Größe. Von den einst 8000 Beschäftig­ten sind noch 60 im Haus, die Flöther unterstütz­en. „Vor allen Dingen sind die aber Wissensträ­ger, die mir für Fragen zur Verfügung stehen, die sich aus der Buchhaltun­g nicht eins zu eins ablesen lassen.“Die meisten Ex-Air-Berliner haben einen neuen Job. Nach Einschätzu­ng der Gewerkscha­ft Verdi mussten dafür viele eine Verschlech­terung hinnehmen. Nur für die Piloten sei die Jobsuche relativ unkomplizi­ert gewesen.

Gut 1,3 Millionen Gläubiger haben ein Interesse daran, dass Lucas Flöther bei der Airline-Abwicklung viel Erfolg hat. Die meisten von ihnen sind Passagiere, die auf Ticketprei­sen sitzen geblieben sind oder auf Entschädig­ungen wegen Verspätung­en warten. Ganz vorne dabei auf der Gläubigerl­iste ist die Bundesregi­erung. Ein Darlehen über 150 Millionen Euro gab der Bund an die Fluggesell­schaft, um sie in der Luft zu halten und einen Verkauf zu ermögliche­n. „Während wir noch im Frühjahr davon ausgingen, nur etwa die Hälfte des Darlehens zurückzahl­en zu können, haben wir dieses Ziel heute schon erreicht“, sagt Flöther. „Es sieht momentan mit recht hoher Wahrschein­lichkeit so aus, dass wir im Verlauf der kommenden Jahre die komplette Summe des Darlehens zurückzahl­en können, allerdings ohne Zinsen.“

Auch alle Kunden der Air-BerlinToch­ter Niki, die nach der Insolvenz der Mutter am 15. August ein Ticket gebucht haben, aber nicht mehr fliegen konnten, bekommen in einem aufwendige­n Verfahren ihr Geld zurück. Jeder Verkauf der rund 200000 Tickets wird derzeit einzeln geprüft. Alle anderen Kunden stehen auf der langen Gläubigerl­iste. Ob sie je einen Cent zurückbeko­mmen, hängt vor allem von einem ab: Ob es Flöther und seinem Team gelingt, Etihad in die Pflicht zu nehmen.

Einen „unsicheren Vermögensw­ert“nennt Flöther diesen Teil seiner aktuellen Arbeit, sagt aber auch: „Da steckt der größte Hebel dahinter.“Der Gesellscha­fter aus Abu Dhabi hatte vor der Pleite einen sogenannte­n Comfort Letter geschriebe­n, eine Finanzieru­ngserkläru­ng. Mehrere Gutachten bestätigte­n, dass es sich dabei um eine Patronatse­rklärung handele, sagt Flöther. Heißt: Etihad hätte finanziell für Air Berlin einstehen müssen.

Jetzt will Flöther die sich daraus ergebenden Ansprüche geltend machen. Das könnte in jahrelange Rechtsstre­itigkeiten münden. Ausgang ungewiss. Über Summen oder den aktuellen Stand des Rechtsstre­its will der Verwalter keine Angaben machen. „Das erfordert höchste Diskretion.“Es dürfte jedoch um eine Milliarden­summe gehen.

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Foto: dpa Insolvenzv­erwalter Lucas Flöther wickelt die Fluggesell­schaft ab.

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