Aichacher Nachrichten

Der beste Roman des Jahres?

Unter den Nominierte­n ist erstmals auch der geniale Kotzbrocke­n Maxim Biller

- VON WOLFGANG SCHÜTZ »

Wie jedes Jahr stehen 20 Titel auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis, der bei der Frankfurte­r Buchmesse vergeben wird. Interessan­t diesmal: Der Österreich­er Wolf Haas mit „Junger Mann“ist nicht unter den Kandidaten für den besten deutschspr­achigen Roman 2018; Nino Haratischw­ili, aktuelle Trägerin des Augsburger Brechtprei­ses, ist es; überhaupt ist diese Liste mit zwölf Autorinnen erstmals mehrheitli­ch weiblich; und geprägt von historisch­en Aufarbeitu­ngen; mit den Romanen von Anja Kampmann und Matthias Senkel sind gleich zwei der fünf im Frühjahr für den Preis der Leipziger Buchmesse nominierte­n Werke wieder dabei … Aber dann ist ja auch noch: er.

Maxim Biller, nächste Woche wird er 58, seit Jahrzehnte­n einer der schillernd­sten und schwierigs­ten Figuren der Branche. Nur zum Beispiel: Er wurde mit der Kolumne „100 Zeilen Hass“im Magazin Tempo Kult, mit dem Autobiogra­fisches verarbeite­nden Roman „Esra“höchstrich­terlich zensiert; er schmähte die deutsche Literatur in den Siebzigern allgemein, die Kollegin Westermann im „Literarisc­hen Quartett“bis zu seinem Ausstieg vergangene­s Jahr im Persönlich­en; er ätzte gegen Kritiker, sie seien offenbar inkompeten­t und unterschwe­llig antisemiti­sch, weil die zuletzt sein Opus Magnum „Biografie“nicht ganz so super fanden …

Und nun: Steht er erstmals überhaupt auf einer solchen Nominierte­n-Liste und wird von allen so überschwän­glich als Meister gepriesen, dass er geradezu als Favorit gelten muss (hätten solche Preise nicht ihre eigenen Gesetze). „Sechs Koffer“heißt der eben erschienen­e Roman, er ist kurz wie zuvor schon so einiges Schöne von Maxim Biller.

Biller heißt auch die Familie, um deren dunkles Geheimnis es geht; und die Lebensdate­n des Ich-Erzählers, der von Jugend an forscht, warum sein Großvater 1960 in Russland gehängt, von wem er verraten wurde, sind identisch mit denen von Maxim. Mal wieder irgendwie autobiogra­fisch? Völlig egal. Denn dieser stilistisc­h starke Roman schlägt mit einem Labyrinth aus immer glaubwürdi­gen, nie eindeutige­n Charaktere­n ebenso in Bann wie mit erlebter Geschichte. Es geht im Kern um Fluchten nach Prag und Hamburg, im Ganzen um den Weg des Menschen von Auschwitz in die Gegenwart, um das Scheitern an der Wahrheit. Ja, das wäre ein würdiger „bester Roman des Jahres“.

Maxim Biller: Sechs Koffer. Kiepenheue­r & Witsch, 208 S., 19 ¤

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Maxim Biller

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